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Hohe Strompreise: Eine Gefahr für Deutschlands Industrie?

Nadine Mena Michollek
19. Februar 2025

Mitten im Wahlkampf schlägt die Industrie Alarm: Die Stromkosten seien zu hoch. Doch wie schlimm ist die Lage wirklich?

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Ein Arbeiter in einem silbernen Mantel gießt flüssiges Metall in eine Form.
Das kostet viel Energie: Flüssiges Metall wird in Form gegossenBild: Nadine Mena Michollek/DW

Sonnenstrahlen bahnen sich den Weg durch Dampf und Rauch in die graue Fabrikhalle. Ein eisiger Februarmorgen, die Minusgrade sind auch in der Gießerei zu spüren. Doch läuft man an einen der fast zwei Meter hohen Bottiche vorbei, fühlt man die Hitze.

Glühendes, flüssiges Metall wird hier über die Köpfe der Arbeiter hinweg transportiert, hin zu dem Ort, an dem es in Form gegossen wird. Die Gießerei Lößnitz im ostdeutschen Bundesland Sachsen produziert für Audi, BMW oder auch Porsche.  

Max Jankowsky trägt einen weißen Helm. Im Hintergrund sieht man wie zwei Arbeiter Metall aus einem Bottich in einen anderen Behälter gießen.
Der Geschäftsführer Max Jankowsky leitet die Gießerei Lößnitz bereits in dritter GenerationBild: Nadine Mena Michollek/DW

Doch Geschäftsführer Max Jankowsky sorgt sich um seine 85 Mitarbeiter, erzählt er der DW: "Mir tut der Bauch sehr weh bei den jetzigen Strompreisen. Das sind große Unsicherheiten." 

Sein Großvater leitete schon das Unternehmen. 176 Jahre ist die Gießerei alt, hat Wirtschaftskrisen und Weltkriege überlebt. Doch Jankowsky sorgt sich um die Zukunft. 

Hohe Energiepreise 

Die Gießerei in Lößnitz ist kein Einzelfall. Uwe Reinecke, General Manager des 850 Mitarbeiter großen Stahlproduzenten Feralpi Stahl, erklärt der DW, er musste an manchen Tagen zeitweise die Produktion stilllegen.

Die Geschäftsführerin des Stahlproduzenten Georgsmarienhütte,  Anne-Marie Großmann, sagt der DW, ihre mehr als 6000 Mitarbeiter produzieren aktuell nur noch in der Nacht und am Wochenende, wenn die Strompreise günstiger seien.

Feralpi und Georgsmarienhütte schmelzen mit Strom - und davon brauchen sie eine Menge. Nach eigenen Angaben verbraucht allein der Stahlproduzent Georgsmarienhütte im Jahr mehr Strom als eine 150.000-Einwohner-Stadt in Deutschland.  

Herz der Industrie 

Stahlproduzenten und Gießereien sind das Herz der Industrie, denn sie produzieren einen wichtigen Grundstoff der Wirtschaft: Metalle, aus denen dann Autos, Brücken und Schienen hergestellt werden.  

In ihrem "Energiewende-Barometer" befragten die Deutschen Industrie- und Handelskammern (DIHK) 2024 mehr als 300 Unternehmen mit hohem Stromverbrauch zur Umsetzung von Energiewende und Klimaschutz.

Von den Firmen planten oder realisierten fast die Hälfte (45 Prozent), wegen der hohen Kosten die Produktion zurückzufahren oder ins Ausland zu verlagern.  

Schwankende Preise 

Im Jahr 2022 ist der Industriestrompreis in die Höhe geschossen.

Der Industriestrompreis beinhaltet unter anderem Umlagen, Steuern und Netzentgelte. Netzentgelte sind eine Gebühr, die für das Nutzen des Stromnetzes erhoben wird.

Deutschland produziert auch Strom aus Gaskraftwerken. Als Russland im Februar 2022 die Ukraine angriff und die russischen Gaslieferungen nach Deutschland versiegten, stieg der Preis. Seitdem ist der Industriestrompreis aber wieder gesunken - eigentlich auf Vorkriegsniveau.  

International nicht wettbewerbsfähig? 

Achim Dercks, Stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer, teilt der DW mit, dass die Energiepreise in Deutschland zu den höchsten weltweit gehören. Der Wirtschaftsstandort Deutschland sei bei den Energiekosten weder in Europa noch global konkurrenzfähig.  

In den USA ist der Industriestrompreis deutlich günstiger. Im Jahr 2023 lag er bei etwa sieben Cent, in Deutschland bei etwa 20 Cent pro Kilowattstunde.

In China lag der Preis 2023 bei rund 8 Cent pro Kilowattstunde, so eine Studie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). 

In Europa lagen Deutschlands Industriestrompreise im Jahr 2022 etwa im Mittelfeld. Unternehmen mit einem Verbrauch von mehr als 150 Gigawatt pro Stunde zahlten ungefähr zehn Prozent mehr als der EU-Durchschnitt, laut vbw-Studie. Blickt man auf Unternehmen mit einem Verbrauch von 70 bis 150 Gigawatt pro Stunde in ganz Europa, liegt Deutschland sogar im Durchschnitt. Da in diesem Jahr aufgrund des Ukraine-Kriegs die Preise am höchsten waren, bieten sie jedoch eine schlechte Vergleichsgrundlage. 

Vergleiche sind schwer

Wie man hier schon sieht: Es gibt nicht "den" Industriestrompreis. Je nach Größe, Branche und Energieverbrauch gibt es verschiedene Vergünstigungen bezüglich der Stromsteuer oder den Netzentgelten. Eine Großbäckerei zahlt beispielsweise einen ganz anderen Preis als ein Stahlwerk. 

Internationale Vergleiche sind noch schwieriger. Denn Endkundenstrompreise seien auch immer von der Kaufkraft im jeweiligen Land abhängig, gibt der Wissenschaftler Leonhard Probst vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme zu bedenken. "Man vergleicht ja beispielsweise auch nicht den Brotpreis in Deutschland mit dem in Bulgarien", erklärt Probst der DW.  

Der Endkundenstrompreis ist der Preis, den am Ende der Kunde zahlt, inklusive Umlagen, Netzentgelte und Steuern.  

Fazit also: Die Zahlen sind mit Vorsicht zu betrachten und geben nur einen groben Überblick. 

Zukünftige Entwicklung 

Max Jankowsky, der Geschäftsführer der Gießerei Lößnitz, zeigt auf einen Container-großen Haufen Kokskohle vor seiner Fabrikhalle. Weiße Kristalle bedecken die schwarze Oberfläche. Hier wird noch traditionell gegossen.

Doch für die Nutzung fossiler Brennstoffe fällt in Deutschland und in der EU ein zusätzlicher Preis an, der sogenannte CO2-Preis. Der verteuert klimaschädliche Brennstoffe und macht das Schmelzen mit Kokskohle auf Dauer unprofitabel.

Jankowsky will daher umsteigen, doch die Strompreise machen ihm Sorgen. "Wir wollen in Zukunft hier elektrisch schmelzen, aber das fühlt sich grade für mich an wie ein Rennen in ein offenes Messer." Vor allem als mittelständischer Betrieb bräuchten sie mehr Unterstützung bei der Transformation, so Jankowsky.  

Max Jankowsky blickt auf einen Bottich, der mit flüssigem Metall gefüllt wird.
Der Geschäftsführer Max Jankowsky sorgt sich um die Zukunft seiner GießereiBild: Nadine Mena Michollek/DW

Leonhard Probst vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme und Swantje Fiedler, wissenschaftliche Leiterin des Forums für ökologisch-soziale Marktwirtschaft, erwarten jedoch, dass die Strompreise perspektivisch durch den Ausbau erneuerbarer Energien stabilisiert werden und weiter sinken.  

Aber wird "perspektivisch" schnell genug sein für Unternehmen wie die Gießerei Lößnitz? 

Am 23. Februar ist Bundestagswahl und viele Parteien versprechen, die Stromsteuer und Netzentgelte zu stabilisieren oder zu senken.