"Gruselgeschichten" - Verband rechter Kräfte warnt vor "Nationalsozialisten" im neuen russischen Parlament
4. Dezember 2003Moskau, 4.12.2003, WEDOMOSTI, russ., Witalij Iwanow
Die Führung des Verbandes rechter Kräfte jagt der Gesellschaft damit Angst ein, dass ihre Partei und "Jabloko" fast mit Sicherheit die Fünf-Prozent-Hürde in die Staatsduma nicht nehmen werden. Als Ergebnis würden an ihrer Stelle im Parlament "Nationalsozialisten" vertreten sein, zu denen die Rechten zum Beispiel den "Heimat"-Block zählen. Experten gehen jedoch davon aus, dass der Verband rechter Kräfte in der Staatsduma vertreten sein wird, dass diese "Gruselgeschichten" lediglich die Wähler aufrütteln sollen.
Die Führung des Verbandes rechter Kräfte Boris Nemzow, Irina Chakamada und Anatolij Tschubajs sprechen vom erschreckend niedrigem Rating der demokratischen Parteien vor den Wahlen. Auf einer Pressekonferenz bei "Interfax" bezeichnete Chakamada das Rating des Verbandes rechter Kräfte und der "Jabloko"-Partei als "katastrophal". Dabei vergaß sie nicht zu erwähnen, dass die Rechten "die fünf Prozent gerade noch schaffen könnten", die Chancen von "Jabloko" jedoch "geringer" seien.
"Es besteht die reale Gefahr, dass ... wir eine Duma bekommen werden, die wie folgt bezeichnet werden kann – kommunistische und nationalsozialistische Beamten-Duma". So gab Nemzow seiner Befürchtung Ausdruck, dass lediglich die Parteien "Einiges Russland", KPRF, LDPR und der Block "Heimat" von Sergej Glasjew und Dmitrij Rogosin ins Parlament gewählt werden könnten. Die LDPR und der Block "Heimat" werden von der Führung des Verbandes rechter Kräfte als "Nationalsozialisten" bezeichnet, die die Beamten der Präsidentenadministration wie "einen Geist aus der Flasche gelassen haben" und nicht mehr zurückholen können. Die Rechten behaupten, dass der "Heimat"-Block in der Gesellschaft Klassenhass und nationalistische Stimmungen schürt und Russland als Ergebnis nicht nur Nationalsozialisten im Parlament bekommen könnte, sondern auch einen entsprechenden Präsidenten im Jahr 2008. "Dieser Schimmel muss vernichtet werden", betonte Tschubajs. Er versprach ferner für den Fall, dass der Verband rechter Kräfte bei den Wahlen durchfällt, "die Schlägerei von Anfang anzufangen (...)". Und Chakamada hat sogar die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, "Leute auf die Straßen zu führen".
Der stellvertretende Vorsitzende des ZK der KPRF Iwan Melnikow ist nicht einverstanden damit, dass der Block "Heimat" und die LDPR als "Nationalsozialisten" bezeichnet werden. "Heute können alle Parteien und Blöcke, alle Kandidaten in solche aufgeteilt werden, die ihre Position vertreten – egal wie diese aussieht, und diejenigen, die die Position des Kremls widerspiegeln", so Melnikow. "Von diesem Standpunkt ausgehend sind ‚Heimat‘, LDPR und ‚Einheitliches Russland‘ ein und dasselbe." Glasjew hat die Beschuldigungen der Rechten als "Demagogie" bezeichnet, mit deren Hilfe sie "panisch" versuchen, "ihre Wähler zu mobilisieren". "Sonst werden die bald gezwungen sein, Zeugenaussagen zu machen", drohte er. Der stellvertretende "Jabloko"-Vorsitzende Sergej Mitrochin bedauert, dass sich die Führung des Verbandes rechter Kräfte durch "defätistische Stimmungen" einschüchtern lässt. "Uns vorliegenden Angaben zufolge werden sowohl wir als auch die in die Duma gewählt", sagte er.
Die meisten befragten Politologen und politischen Berater kritisieren die Wahlkampagne des Verbandes rechter Kräfte, sind jedoch überzeugt, dass die Partei die Fünf-Prozent-Hürde nehmen wird. Der Leiter der politischen Consulting-Gesellschaft "Senat", Denis Solowjow, bewertet den Anteil der "Demokraten" unter den aktiven Wählern mit "maximal 15 Prozent, die zwischen dem Verband rechter Kräfte und ‚Jabloko‘ aufgeteilt sind". Oleg Matwejtschew, Leiter der Vertretung der politischen Consulting-Gesellschaft Bakster Group, ist überzeugt, dass die Führung der Rechten versucht, mit ihren gestern abgegebenen Erklärungen ihre Wähler zusätzlich zu mobilisieren. "Die Wähler des Verbandes rechter Kräfte lassen sich beeinflussen und sind recht ängstlich, viele werden reflexartig auf Worte wie ‚Faschismus" und ‚Diktatur‘ reagieren", so der politische Berater. (...) Solowjow fügte hinzu, dass der Verband rechter Kräfte nicht nur seine Anhänger zu mobilisieren versucht, sondern auch "die passiven demokratischen Wähler" aufzurütteln versucht. "Gewöhnlich nehmen solche Leute überhaupt nicht an den Wahlen teil, jemand von ihnen könnte aber durch ‚die Gefahr des Faschismus aufgeweckt werden‘", so der Polittechnologe. Der Erfolg dieser Aktion wird jedoch nach Ansicht von Matwejtschew und Solowjow lediglich davon abhängen, wie die "Gruselgeschichten" der Rechten im Fernsehen dargestellt werden.
Eine Quelle der Präsidentenadministration behauptet, dass dem Kreml vorliegenden Angaben zufolge auch "Jabloko" die Hürde nehmen wird, der Block "Heimat" jedoch nicht. Der Beamte regt sich aber darüber nicht auf: "Es genügt, dass sowohl Glasjew und Rogosin als auch noch einige ihrer Kandidaten Direktmandate bekommen werden." (lr)