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Geiseldrama von Beslan, Einschränkung der Pressefreiheit in Russland

10. September 2004

- Petersburger Dialogs in Hamburg

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Bonn, 9.9.2004, DW-RADIO, Christiane Hoffmann, aus Hamburg

In Hamburg begann am Donnerstag (9.9.) zum vierten Mal der "Petersburger Dialog" - ein von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Russlands Präsident Wladimir Putin initiiertes Gesprächsforum zwischen Russen und Deutschen. Am diesjährigen Forum nehmen knapp 150 Vertreter russischer und deutscher Organisationen aus Politik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft teil. Überschattet wird das Treffen von den Terroranschlägen der vergangenen Wochen in Russland. So wurden die Gespräche zwischen der deutschen und russischen Regierung, die traditionell parallel zu denen der zivilen Organisationen stattfinden, abgesagt. Einzelheiten von Christiane Hoffmann:

Weder Gerhard Schröder noch Präsident Wladimir Putin sind nach Hamburg gekommen. Die Terrorattacken in seinem Land haben den russischen Präsidenten seine Teilnahme absagen lassen. Daher werden die Gespräche nur auf der gesellschaftlichen Ebene geführt. Es geht dabei vor allem um das Verständnis zwischen Russen und Deutschen sowie um Zukunftsfragen in Europa, Projekte im Wirtschaftsbereich und einen intensiveren Jugendaustausch. Doch am ersten Tag bestimmten die aktuellen Geschehnisse in Russland die Diskussion. Vor Beginn sei sogar darüber gesprochen worden, die Veranstaltung ganz ausfallen zu lassen, sagte Klaus Mangold, einer der Organisatoren des Petersburger Dialogs:

"Wir sind dann zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es gut wäre, diesen Dialog durchzuführen, weil wir der Meinung sind, dass gerade in Zeiten starker Bedrängnis Solidarität wichtig ist und damit Gespräch und Dialog."

Anstatt über Fragen des Ablaufes der Geiselnahme von Beslan und der schlechten Kommunikation zu sprechen, müsse man jetzt darüber diskutieren, wie man humanitär helfen könne. Außerdem sollte man gemeinsam gegen den internationalen Terrorismus vorgehen.

Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien übte der Kinderarzt Leonid Roschal. Er hatte versucht, mit den Geiselnehmern ins Gespräch zu kommen und zu vermitteln. Es sei viel Falsches berichtet worden und er sehe keinen Zusammenhang mit dem Tschetschenien-Krieg.

Roschal:

"Heute tobt meiner Meinung nach der dritte Weltkrieg. Und es ist ein terroristischer Weltkrieg, wie mir scheint. Das, was in Nordossetien passiert ist, hat überhaupt keine Verbindung zu Tschetschenien. Ich habe das von innen gesehen. Es ist der Versuch, einen neuen Konfliktherd im nördlichen Kaukasus zu erzeugen. Denn es ist so, dass sich die Nordosseten und Inguschen in den vergangenen Jahren nicht gut verstanden haben."

Terroristen würden versuchen, diese Spannungen auszunutzen, um einen islamischen Gottesstaat zu errichten, so Roschal weiter.

Dagegen forderte der ehemalige sowjetische Staatschef und einer der Mit-Organisatoren des Petersburger Dialoges, Michail Gorbatschow, die russische Regierung auf, offen und ernsthaft die Ereignisse in dem Geiseldrama zu untersuchen - das erwarte vor allem die russische Bevölkerung:

"Sie erwarten von der Regierung reale Maßnahmen für eine politische Lösung des Tschetschenien-Konflikts, die dem tschetschenischen Volk ein normales Leben ermöglicht. Sie möchten davon überzeugt sein, dass eine seriöse Untersuchung gemacht wird. Dafür ist unbedingt eine Überprüfung und eine Analyse der Gründe und Folgen der Ereignisse nötig, und das unter Beteiligung des Parlaments und der Gesellschaft. Die russische Gesellschaft erwartet das."

Die fehlende Transparenz in der russischen Gesellschaft kritisierte am Rande des Petersburger Dialoges die Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen." So sei es russischen Medien nicht möglich gewesen, objektiv von der Geiselnahme zu berichten, sagte Aleksej Simionow, Gründer der Stiftung "Glasnost Defense Foundation", die sich in Russland für bedrohte Medien einsetzt. Fünf von sechs Fernsehkanälen gehörten dem Staat, der sechste der Moskauer Regierung. Freie Medien existierten faktisch nicht mehr. Bei der Geiselnahme in Beslan führte das dazu, dass in russischen Medien darüber kaum berichtet wurde:

"Die Informationsträger haben selbst ihre Glaubwürdigkeit zerstört. Nach einer Umfrage des Radiosenders Echo Moskwy glauben 92 Prozent der Hörer daran, dass das Fernsehen sie belügt bzw. einen Großteil der Wahrheit verschweigt."

Dass die russische Regierung wenig an Offenheit und Pluralität interessiert sei, zeige sich auch auf dem Petersburger Dialog. Russland habe nur wenig Vertreter unabhängiger Organisationen nach Hamburg entsandt, so Simionow:

"Die russische Seite ist durch uninteressante Leute vertreten, die für ihre Worte nicht verantwortlich gemacht werden können. Deshalb müssen die Deutschen verstehen, dass sie dafür nicht gerade stehen werden und das man so keinen Dialog führen kann." (lr)