Polen: Verfassungsrichter wirft Tusk Staatsstreich vor
13. Februar 2025Der Vorsitzende des polnischen Verfassungstribunals, Bogdan Swieczkowski, der in der Vergangenheit auch den Inlandsgeheimdienst ABW geleitet hatte, agiert gewöhnlich im Hintergrund. Doch seit kurzem steht der bullige Jurist im Rampenlicht. Am 5. Februar 2025 informierte er die verdutzten Journalisten, dass er Anzeige wegen Verdachts auf einen Staatsstreich erstattet habe. Der Umsturz soll schon seit dem 13. Dezember 2023 im Gang sein - seit dem Amtsantritt der Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk.
Eine kriminelle Vereinigung sei am Werk, an der Tusk, mehrere Minister seines Kabinetts, die Chefs beider Parlamentskammern sowie einige Richter und Staatsanwälte beteiligt seien, so Swieczkowski.
Staatsstreich ohne Panzer und Soldaten?
Bei dem rechten Fernsehsender TV Republika, der die Nachricht vom Staatsstreich sofort in die Welt trug, riefen etliche beunruhigte Zuschauer an, um mehr Details zu bekommen, weil sie "immer noch weder Panzer noch Soldaten auf den Straßen" sähen.
Dabei können sich viele Polen gut an einen Staatsstreich erinnern. 1981 verhängte General Wojciech Jaruzelski das Militärrecht über das Land, um die Gewerkschaft Solidarnosc zu zerschlagen. In der Nacht zum 13. Dezember fuhren in den polnischen Städten Panzer auf, bewaffnete Soldaten besetzten die wichtigsten Verkehrsknotenpunkte, Polizisten schlugen Türen ein und nahmen Oppositionelle fest, Telefonverbindungen wurden gekappt.
Swieczkowski hatte es so eilig, dass er statt das normale Verfahren in Gang zu setzen, die Anzeige persönlich seinem Vertrauten, dem stellvertretenden Generalstaatsanwalt Michal Ostrowski, in die Hand drückte. Beide gelten als engste Kampfgefährten von Ex-Justizminister Zbigniew Ziobro, der in der PiS-Regierung 2015-2023 die Rolle des Hardliners spielte.
Staatsanwalt suspendiert, Tusk spielt Tischtennis
Ostrowski begann sofort mit Ermittlungen und schaffte es sogar, mehrere Personen zu verhören. Seine Aktion wurde aber schnell gestoppt. Am Dienstag (11.02.2025) suspendierte Justizminister Adam Bodnar, der gleichzeitig auch Generalstaatsanwalt ist, Ostrowski für sechs Monate. Ein Disziplinarverfahren wegen Überschreitung der Kompetenzen soll gegen ihn eingeleitet werden.
Tusk nahm die Vorwürfe auf die leichte Schulter. Er veröffentlichte auf der Kurznachrichtenplattform X (Twitter) einen Videoclip, der ihn beim Tischtennis zeigte. Darüber das Wort "Staatsstreich" mit einem lachenden Emoji. Auf die Frage, was er zum Staatsstreichvorwurf meine, sagte der Regierungschef: "Ach was. Wir haben hier Wichtigeres zu tun. Ich kümmere mich später drum."
Der Vorfall wird als ein weiteres Kapitel in den Auseinandersetzungen zwischen der Mitte-Links-Regierung und den polnischen National-Konservativen gewertet, die im Dezember 2023 die Macht abgeben mussten, aber jede Gelegenheit nutzen, um Sand ins Getriebe zu streuen. Je näher der 18. Mai, der Tag der Präsidentenwahl rückt, desto heftiger wird der Konflikt, der vor allem auf dem Gebiet der Justiz ausgetragen wird.
Ex-Justizminister hält die Justizreformen für illegal
Vor allem Hardliner Ziobro zeigt demonstrativ, dass er die Veränderungen in der Justiz, die Tusks Regierung durchgesetzt hat, für illegal hält. Lange ignorierte er die Vorladungen der parlamentarischen Untersuchungskommission, die den Einsatz der Spionage-Software Pegasus gegen die liberale Opposition klären soll. Am 31. Januar wurde Ziobro endlich von der Polizei ins Parlament gebracht. Er kam jedoch mit so großer Verspätung, dass die Mitglieder des Ausschusses inzwischen nach Hause gegangen waren, so dass der Ex-Justizminister nicht angehört werden konnte. Jetzt hat die Kommission 30 Tage Haft für ihn beantragt.
Swieczkowskis Vorstoß sei "Wasser auf die Mühlen russischer Propaganda", sagte Sejm-Marschall (Parlamentspräsident) Szymon Holownia.
"Die Schlagzeile ‘Staatsstreich in Polen‘ dominiert nur die Titelseiten in Russland, Belarus und Ungarn" schrieb Tusk auf X. "Gute Kooperation. Grotesk aber gleichzeitig gefährlich."
Aus einem Bericht des Forschungsinstituts Data House Res Futura geht hervor, dass die Nachricht über den Umsturz in Polen über soziale Medien weite Verbreitung fand. In Deutschland erreichte sie eine Million Menschen, in Russland 15 Millionen.
Mischten die Russen mit?
Russische Geheimdienste versuchten, das Bild Polens bei den deutschen Nutzern negativ zu beeinflussen, kommentierte die Tageszeitung Rzeczpospolita. Polen solle als ein Land im Chaos und als instabiles Mitglied in der EU und NATO erscheinen.
Aus einer von derselben Zeitung am Donnerstag veröffentlichten Umfrage geht hervor, dass jeder vierte Pole an die These vom Staatsstreich glaubt. Fast 58 Prozent der Befragten tun es nicht. "Das zeigt, dass das Thema kein politischer Brennstoff ist", sagt Bartosz Rydlinski vom Think Tank Daszynski-Zentrum. Selbst Jaroslaw Kaczynski, dem Chef der größten Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), wäre es lieber, wenn sich der Wahlkampf um Inflation und Preisanstieg drehen würde, schreibt Agata Kondzinska in der Gazeta Wyborcza.
Unruhe vor der Präsidentenwahl - droht ein Georgien-Szenario?
Trotzdem beunruhigt viele Staatsrechtler angesichts der bevorstehenden Präsidentenwahl die de facto Doppelherrschaft in der Justiz. Denn über die Wahlbeschwerden entscheidet laut Verfassung die unter der PiS-Regierung geschaffene Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten. Sie wird allerdings wegen ihrer Politisierung weder vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) noch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkannt.
Soeben hat die Regierungskoalition ein Gesetz verabschiedet, das die Kompetenz für Wahlbeschwerden den 15 Richtern des Obersten Gerichtes mit längster Berufserfahrung überträgt. Doch die Chance, dass der Staatspräsident und Kaczynski-Vertraute Andrzej Duda die Vorlage unterschreibt, ist sehr gering.
Und so kann es nach dem 18. Mai dazu kommen, dass bei einem knappen Sieg eines Präsidentschaftskandidaten ein unterlegener Mitbewerber Beschwerde gegen das Wahlergebnis einlegt. Die Folge könnten unklare Verhältnisse und Chaos sein, wie derzeit in Georgien, warnt der deutsche Publizist Klaus Bachmann in der Gazeta Wyborcza.