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Geberkonferenz für Mazedonien dringend notwendig

25. Februar 2002

- DW-Interview mit dem stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Gernot Erler

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Köln, den 21.2.2002, DW-radio/Mazedonisch

Die Bundeswehr behält die Führung der internationalen Schutztruppe in Mazedonien für die nächsten drei Monate. Die Regierung in Skopje hatte die NATO darum gebeten, den Deutschen über März hinaus die Führungsaufgabe für weitere drei Monate zu übertragen. Dazu befragte DW-radio den SPD-Abgeordneten und außenpolitischen Experten, Gernot Erler.

Frage

: Die NATO hat am Montag ihre Mazedonien-Mission um drei Monate verlängert. Wie es in der Erklärung hieß, wird Deutschland gedankt, dass es sich zur Fortsetzung seiner Führungsrolle bereit erklärt habe. Vorher hatte auch Italien Interesse bekundet, die Führungsrolle in Mazedonien zu übernehmen. Wie kam es, dass Deutschland weiterhin am Ball bleibt, und warum nicht Italien?

Antwort

: Ich bin sehr froh darüber, dass erstens die mazedonische Regierung die Task Force Fox fortsetzen möchte und damit ein stabiles Vorfeld auch für die geplanten Wahlen im Herbst schafft, und dass der Prozess der Erfüllung des Friedensprozesses jetzt fortgesetzt werden kann, auch mit dieser Sicherheitskomponente, die die Task Force Fox ausmacht. Deutschland war in der Pflicht deswegen, weil erstens es ein ausdrücklicher Wunsch der mazedonischen Regierung war, dass Deutschland auch mit der Führungsfunktion weitermacht. Aber wir sind Italien dankbar, dass sie wegen der anderen Anfragen, die an Deutschland gegangen sind, angedeutet haben, dass sie bereit gewesen wären, auch diese Funktion zu übernehmen. Sie wissen ja, dass es auch einen Druck gibt, dass Deutschland eine erweiterte Funktion in Afghanistan bei der ISAF, der Internationalen Sicherheitsgarantie in Kabul, sich stärker engagiert. Vor diesem Hintergrund war das ein sehr positives Angebot Italiens.

Frage

: Es gibt Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und der NATO, besonders auch mit den USA. Was möchten die Europäer?

Antwort

: Ich glaube, wir haben es hier zu tun mit einer bereits erkennbaren Folge des 11. September. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der 11. September den Prozess des Rückzugs der Amerikaner aus der Übernahme konkreter Verantwortung bei europäischen Konflikten beschleunigt, und dass die Europäer erkennen müssen, dass von ihnen auch erwartet wird, dass sie solche Sicherheitsaufgaben wie auf dem Balkan und in Südosteuropa in Zukunft allein übernehmen müssen - und dass letztlich auch nichts daran vorbei führt, die bisherigen Missionen der Amerikaner zu ersetzen. Das ist ja in dem ganzen Mazedonienkonflikt schon der Fall gewesen. Das haben die Europäer, sowohl was die Vermittlung, die Mediation angeht, zwar in enger Absprache mit den Amerikanern, aber letztlich schon allein gemacht - und konsequenterweise jetzt auch bei der Mission Amber Fox allein übernommen. In Zukunft, das ist meine Prognose, werden die Europäer auch alle anderen europäischen Probleme und Konflikte ohne direkte Hilfe lösen müssen. Die Amerikaner werden sich konzentrieren auf den Kampf gegen den Terrorismus, auf globale Aufgaben - und werden auch uns klar die Aufgabe stellen, hier vor der eigenen Haustür und in Europa selber, das ohne direkte Hilfe der Amerikaner zu lösen.

Frage

: Hat Deutschland eine klare Strategie gegenüber Mazedonien oder überhaupt in der Region, auch zum Beispiel eine ganz klare Haltung, was den Kosovo betrifft? Wie können Sie die deutsche Politik zur Zeit beschreiben, was Mazedonien betrifft?

Antwort

: Deutschland legt großen Wert darauf, die gesamte Südosteuropa-Politik im Einvernehmen mit den anderen europäischen Freunden und Partnern zu definieren. Allerdings gibt es schon Überlegungen bei uns über ein Gesamtkonzept des politischen Ansatzes für Südosteuropa. Am 7. Dezember hat die Bundesregierung einen ersten Entwurf für ein solches Gesamtkonzept veröffentlicht, das jetzt im Augenblick im politischen Raum diskutiert wird, auch übrigens transatlantisch diskutiert wird. Wir legen Wert darauf, das auch mit den amerikanischen Partnern durchzusprechen. Das Ziel ist natürlich, einen solch politischen Ansatz dann auch zu einer europäischen Strategie zu machen. Es gibt aber keinen Ehrgeiz, eine eigene deutsche Strategie etwa gegenüber Mazedonien zu verfolgen. Wir wissen, dass in Mazedonien große Erwartungen an uns gerichtet werden. Deswegen sind wir ja auch bereit gewesen, jetzt diese Führungsfunktion bei der Task Force Fox fortzusetzen. Es ist dringend notwendig, dass wir jetzt bald zu der Geberkonferenz kommen, um diesen Friedensprozess weiterhin abzusichern. Auch da kann sich Mazedonien auf das deutsche Engagement verlassen. Aber eine spezifisch, allein deutsche Lösungsstrategie gibt es nicht und wird es auch nicht geben.

Frage

: Es ist im Gespräch, dass vorzeitige Wahlen in Mazedonien stattfinden sollen. Sind die notwendig? Wie schätzen Sie die momentane Haltung der mazedonischen Regierung ein? Ist diese Haltung kooperativ in der Zusammenarbeit mit den westlichen Ländern? Kommen die Probleme nur von der albanischen oder auch von der mazedonischen Seite? Sehen Sie die mazedonische Seite kritisch?

Antwort

: Wir haben natürlich eine pluralistische Situation, was die Parteienlandschaft und die politischen Kräfte in Mazedonien angeht. Es ist ein Kontinuum, dass es hier auch Kräfte gibt in Mazedonien, die im Grunde genommen an einer vertragsgetreuen Erfüllung des Friedensvertrages nicht interessiert sind und insofern auch potenziell Störungsstrategien hier verfolgen können. Dieser Gefahr sind wir uns voll bewusst. Wir haben keine Anzeichen dafür, dass unsere Verhandlungspartner und Vertragspartner bei der mazedonischen Seite etwa solche Störfeuer entfachen könnten. Aber solange nicht die volle Implementierung der Verträge und der Verfassungsänderungen und solange nicht diese Wahlen in ruhiger Atmosphäre durchgeführt sind, rechnen wir damit, dass es auch Provokationen geben kann. Die können von beiden Seiten kommen. Aber die können durchaus auch von mazedonischer Seite kommen - und die dann wieder zu einer erneuten Eskalation führen könnten. Insofern ist es außerordentlich wichtig, dass die Beobachter von der EU und der OSZE weiter auf Posten bleiben und auch beschützt werden, weil ihre bloße Anwesenheit, auch wenn sie gar keine besonderen Vorkommnisse registrieren müssen oder gar eingreifen müssen, schon ein Schutz ist gegen solche möglichen Provokationen.

Frage

: Seit ewigen Zeiten werden die Nachbarn Mazedoniens die 'vier Wölfe' genannt. Es galt immer, den mazedonischen Kuchen zu teilen. Es wird immer wieder darüber nachgedacht, ob Mazedonien geteilt werden sollte, ob die Grenzen überhaupt veränderbar sind. Wie schätzen Sie die Rolle der Nachbarn ein?

Antwort

: Ich glaube, dass in allen Nachbarstaaten Mazedoniens die besonnenen Kräfte die Übermacht haben, die genau so wie die anderen europäischen Staaten an einer Garantie und an einer stabilen Existenz Mazedoniens interessiert sind. Es gibt natürlich trotzdem auch andere Kräfte, die immer noch alten Ideen einer völlig neuen Grenzziehung auf dem Balkan das Wort reden. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass die irgendeine Chance haben, einen wesentlichen Einfluss auf die Politik auszuüben. Außerdem befinden wir uns im Augenblick tatsächlich in einer Entscheidungsphase. Wenn Mazedonien auf diesem Weg dieser Umsetzung des Friedensvertrages und der Verfassungsänderungen fortschreitet - und damit ja auch die eigenen Chancen verbessert, an dem europäischen Integrationsprozess teilzunehmen -, auch über das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, das ja schon abgeschlossen ist mit Mazedonien, und auf der Basis der Mittel, die durch eine Geberkonferenz, die hoffentlich bald stattfindet, dann voranschreitet und auch sich ökonomisch stabilisiert, dann glaube ich, werden die Stimmen verstummen, die immer noch darauf setzen, dass vielleicht Mazedonien zerfallen könnte. Dann haben die keinen Hebel und auch keinen Anlass mehr, auf diese Karte zu setzen. (Interview: Nada Steinmann) (md)