Friedrich Merz will Neuausrichtung der Außenpolitik
24. Januar 2025Friedrich Merz bereitet sich auf seine Kanzlerschaft vor. In einer außenpolitischen Grundsatzrede bei der Körber-Stiftung hat er ein detailliert ausgearbeitetes außen- und sicherheitspolitisches Programm für eine Regierung unter seiner Führung vorgestellt. Der Chef der größten Oppositionspartei, der konservativen CDU, geht davon aus - und wird von den Umfragen bestätigt -, dass er nach der Bundestagswahl am 23. Februar die Nachfolge von SPD-Kanzler Olaf Scholz antreten wird.
Die Weltlage malte der Oppositionsführer in düsteren Farben. Man erlebe mehr als eine "Zeitenwende" (den Begriff hatte Bundeskanzler Scholz geprägt), sondern einen "Epochenbruch". Nicht nur der Angriff Russlands auf die Ukraine zeige: "Wir sind Zeugen einer Erosion der Prinzipien der liberalen, regelbasierten Ordnung." Russland, China, der Iran und Nordkorea arbeiteten zusammen in einer "revanchistischen, antiliberalen Achse". Russland habe es auf weit mehr als die Ukraine abgesehen, und bald könnten atomare nordkoreanische Interkontinentalraketen Nordamerika erreichen.
Minister müssen alltagstaugliches Englisch sprechen
"Selten war ein Bundestagswahlkampf von der Außen- und Sicherheitspolitik so geprägt wie dieser", fuhr Merz fort und findet, die jetzige Regierung habe außenpolitisch versagt. Deutschlands Partner hätten von deutschen Regierungsvertretern vor allem Streit und Unklarheit gesehen. An EU-Ministerräten hätten deutsche Minister oft nicht teilgenommen oder sich bei Abstimmungen enthalten. Das werde sich unter ihm ändern. "Darüber hinaus werde ich für die Union niemanden zum Minister oder Staatssekretär machen, der nicht wenigstens alltagstaugliches Englisch spricht", kündigte Merz an.
Er will im Falle eines Wahlsieges im Kanzleramt einen nationalen Sicherheitsrat einrichten, der eine nationale Sicherheitsstrategie formulieren soll. Auch Universitäten sollten entsprechende Lehrstühle bekommen. Das Thema Außen- und Sicherheitspolitik kommt dem CDU-Chef insgesamt in Deutschland zu kurz.
Entwicklungspolitik soll deutschen Interessen dienen
In Zukunft, forderte Merz, sollten sich nicht nur Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch die Entwicklungspolitik an deutschen Interessen ausrichten, zum Beispiel Absatzmärkte fördern. Und bei Asyl solle gelten: "Ein Land, das seine ausreisepflichtigen Staatsangehörigen nicht zurücknimmt, kann künftig keine Entwicklungsgelder mehr erhalten." Dasselbe gelte für Länder, die "ein zwielichtiges Verhältnis zu Terrorismus" hätten.
Merz äußerte sich später auch zum tödlichen Messerangriff eines ausreisepflichtigen Afghanen im bayerischen Aschaffenburg. Im Fall seiner Wahl werde es deutlich mehr Abschiebungen und an allen Grenzen ein "faktisches Einreiseverbot" für Menschen ohne gültige Papiere geben, auch für solche mit Schutzanspruch. Das sei auch Bedingung für mögliche Koalitionspartner. Seine Partei will kommende Woche im Bundestag Anträge zu einer Verschärfung der Migrationspolitik im Bundestag einbringen und zur Abstimmung stellen. Kritiker stellten allerdings sofort klar, Merz' Äußerung widerspreche der europäischen Asylpolitik und sei europarechtlich nicht umsetzbar.
Die Wahl Donald Trumps als Chance
Gerade europapolitisch sieht Friedrich Merz großen Handlungsbedarf. Die Wahl von Donald Trump ist für Merz kein Grund zur Panik, allerdings ein lauter Weckruf an die Europäer und auch eine Chance.
"Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass andere unsere Probleme lösen." Europa müsse eine eigene Verteidigungsindustrie aufbauen, die es mit den USA aufnehmen könne. Der Weg führe über die "drei S" (auf englisch: simplification, standardisation, scale), also Vereinfachung, Standardisierung und (hohe) Stückzahlen. So habe Europa zahlreiche unterschiedliche Kampfpanzer, die USA nur ein einziges Modell. Eine gemeinsame Finanzierung über europäische Verteidigungsanleihen lehnt der CDU-Vorsitzende aber ab.
Auch unter Donald Trump würden die USA überragend wichtig für Deutschland und Europa bleiben. Merz rät dazu, auf Belehrungen gegenüber der neuen US-Regierung zu verzichten und nüchtern gemeinsame Interessen auszuloten. Nach Trumps angekündigten Einfuhrzöllen müsse man "eine Zollspirale vermeiden, die sowohl Europäer als auch Amerikaner ärmer machen würde".
Merz würde stattdessen Trump eine positive Agenda, darunter ein Freihandelsabkommen anbieten, selbst wenn das Moment unrealistisch erscheine. Die EU solle aber auch Handelsabkommen mit anderen Staaten und Staatengruppen suchen, etwa mit den Mercosur-Staaten Südamerikas. Dem im Dezember 2024 in Montevideo, Uruguay, unterzeichneten Freihandelsvertrag müssen noch die nationalen Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten zustimmen.
Beim Thema Ukraine nähert sich Merz an Scholz an
Beim Thema Ukraine fordert der mögliche nächste Bundeskanzler einen "Frieden in Sicherheit und Freiheit" statt einer "Unterwerfung" an Russland. Die Ukraine müsse den "Krieg gewinnen". Sie müsse ihre territoriale Integrität zurückerlangen und ihre Bündnisse frei wählen können. Gerade die Rückeroberung aller von Russland besetzten Gebiete sehen aber viele westliche Militärexperten als unrealistisch an.
Bei aller geforderten deutschen Unterstützung der Ukraine betonte Merz aber auch: "Deutschland darf nicht Kriegspartei werden." Das deckt sich wörtlich mit dem, was Bundeskanzler Olaf Scholz immer wieder betont.
Scholz zieht daraus allerdings den Schluss, sich mit Waffenlieferungen an die Ukraine, zum Beispiel beim weitreichenden Marschflugkörper Taurus, zurückzuhalten. Merz hat sich dagegen immer wieder für Taurus-Lieferungen eingesetzt, in seiner Grundsatzrede wiederholte er dies allerdings nicht.
Weniger Streit, mehr Führung
In der Europapolitik beklagt Merz, die bisherige Bundesregierung habe die Beziehungen zu Frankreich und Polen schleifen lassen. Er wolle eine "Reparatur" dieser wichtigsten Verbindungen Deutschlands in Europa. Als Kanzler würde er als allererstes diese beiden Länder besuchen.
Aus der Rede wurde auch deutlich, dass Friedrich Merz als Kanzler die Außen- und Sicherheitspolitik wieder stärker selbst bestimmen würde. "Es ist die Aufgabe des Bundeskanzlers, sicherzustellen, dass Meinungsverschiedenheiten in seinem Kabinett intern ausgetragen und Entscheidungen dann gemeinsam nach außen vertreten werden", fügte er hinzu. Er spielte damit auf die Streitereien in Olaf Scholz' SPD-geführter Ampel-Regierung mit den Koalitionspartnern Grüne und FDP an.
Allerdings dürfte Merz als Bundeskanzler für eine Regierungsmehrheit auch wieder auf einen, vielleicht sogar zwei Koalitionspartner angewiesen sein. Welche außenpolitischen Vorstellungen diese möglichen Partner haben, steht auf einem anderen Blatt.