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Friedrich Merz erhält Antworten auf 551 umstrittene Fragen

Veröffentlicht 28. Februar 2025Zuletzt aktualisiert 13. März 2025

CDU und CSU zweifeln an der Neutralität gemeinnütziger Organisationen und drohen, staatliche Gelder zu streichen. Potenziell Betroffene, zunächst entsetzt, freuen sich jetzt über die Antwort der Bundesregierung.

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Tausende Menschen demonstrieren abends und im Dunkeln vor der Berliner CDU-Zentrale gegen die gemeinsame Abstimmung von CDU, CSU und AfD für eine verschärfte Asylpolitik. Die CDU-Zentrale ist nach dem ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, benannt. Auf einem Plakat ist eine Zeichnung Adenauers zu sehen, auf dem er mit ausgestrecktem Arm dem ebenfalls gezeichneten Friedrich Merz am weitergehen hindert. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass der mutmaßlich nächste Bundeskanzler aus Sicht der Demonstranten beim Schulterschluss mit der AfD zu weit gegangen ist. Über der Zeichnung steht der beleidigende Vorwurf "Fritze, Du Fascho". Womit gemeint ist, Friedrich Merz sei ein Faschist.
Massendemo gegen die gemeinsame Asyl-Abstimmung von CDU/CSU und AfD im Bundestag: Der Unmut richtete sich auch gegen Friedrich Merz, den Kanzlerkandidaten der UnionBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Deutschland, 30. Januar 2025, abends. Draußen ist es dunkel und kalt: Mehrere tausend Menschen demonstrieren trotzdem vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. In dem Gebäude, das nach dem ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland benannt ist, befindet sich die Zentrale der Christlich-Demokratischen Union (CDU). Gegen die Partei und ihren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz richtet sich der Unmut.

Die Leute sind empört, weil die CDU und ihre bayerische Schwesterpartei CSU am Tag zuvor gemeinsam mit der teilweise rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) für einen schärferen Kurs in der Asylpolitik gestimmt haben. Damit wurde aus Sicht der aufgebrachten Menge die sogenannte Brandmauer eingerissen: keine Zusammenarbeit mit der AfD. Die CDU hat das 2018 auf einem Parteitag sogar mit einem Unvereinbarkeitsbeschluss bekräftigt.

Wogegen dürfen "Omas gegen Rechts" demonstrieren?

Die Demonstration in Berlin ist eine von vielen in ganz Deutschland. An diesem Tag und in den folgenden Wochen gehen hunderttausende Menschen auf die Straße. Sie folgen den Aufrufen so unterschiedlicher Organisationen wie "Omas gegen Rechts", Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) oder "München ist bunt".

Deutschland: Omas gegen Rechts

Viele der am Protest beteiligten Vereine und Initiativen erhalten neben Spenden und Mitgliedsbeiträgen auch staatliche Unterstützung. Wenn sie als gemeinnützig anerkannt sind, genießen sie steuerliche Vorteile. Rechtlich bewegen sich solche Organisationen in einem Spannungsfeld: Gesellschaftspolitisch dürfen sie sich engagieren, aber nicht parteipolitisch.

Union stellt staatliche Förderprogramme infrage

Gegen diesen Grundsatz haben sie nach Meinung der CDU und CSU mit ihren Protesten verstoßen. Deshalb kündigte ihr Finanzexperte Mathias Middelberg Mitte Februar in einem Zeitungsinterview an, Förderprogramme des Bundes "sehr scharf hinsichtlich der Begünstigten zu prüfen und gegebenenfalls auch ganz zu streichen".

Diesen Worten ließ die Union Taten folgen: In einer sogenannten Kleinen Anfrage verlangte sie von der Bundesregierung Auskunft. "Hintergrund sind Proteste gegen die CDU Deutschlands, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden", hieß es zur Begründung.

Auf 32 Seiten wurden 551 Fragen gestellt. Dieser Umfang ist auf den ersten Blick ungewöhnlich - aber schnell erklärt: 17 Organisationen hatte die Union ins Visier genommen und zu jeder einzelnen überwiegend die gleichen Fragen formuliert. 

CDU-AfD-Kooperation: Was denken die Wähler?

Das politische Neutralitätsgebot wird unterschiedlich interpretiert

In ihrem parlamentarischen Vorstoß bezog sich die CDU/CSU-Fraktion auf einen Artikel in der "Welt", in der sich mehrere Staatsrechtler sehr kritisch zu den Demonstrationen äußern. "Vereine, die die Brandmauer-Demonstrationen mitorganisiert haben, handeln nicht gemeinnützig", argumentiert Volker Boehme-Neßler von der Universität Oldenburg. "Die Demonstrationen waren einseitig parteipolitisch. Sie haben sich konkret gegen eine Partei, die CDU gerichtet."

Ähnlich sieht es Dietrich Murswieck, der bis 2016 an der Universität Freiburg gelehrt hat: "Wenn ein Naturschutzverein dagegen demonstriert, dass ein Bundestagsbeschluss die 'Brandmauer' nicht beachtet habe, dann hat das mit seinem gemeinnützigen Naturschutzzweck nichts zu tun."

Ganz anders beurteilt der Politikwissenschaftler Maximilian Schiffers von der Universität Duisburg-Essen den auch in Fachkreisen umstrittenen Begriff des politischen Neutralitätsgebots: "Er bedeutet nicht, dass Organisationen bei politischen Themen neutral sein müssen. Es ist ihnen lediglich nicht erlaubt, aktiv für eine bestimmte Partei einzutreten", sagt Schiffers der DW.

Sind Menschenrechte und Umweltschutz neutrale Ziele?

Selbst die deutsche Verfassung sei nicht neutral: "Insbesondere wenn es um Menschenrechte geht, Bürgerrechte, den Schutz der Umwelt und des Klimas und die Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen." Vor diesem Hintergrund müssten auch zivilgesellschaftliche Organisationen nicht neutral sein, meint Schiffers.   

Die aus Spenden und durch Mitgliedsbeiträge finanzierte Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) steht ebenfalls auf Seiten derer, die den Schulterschluss der Union mit der AfD im Bundestag kritisieren. "Das Eintreten für demokratische Grundsätze und eine sachliche Auseinandersetzung mit verfassungsrechtlich problematischen parteipolitischen Positionen sind stets möglich", heißt es in einer Presseerklärung. Zur Verwirklichung eines offenen demokratischen Diskurses im Sinne des Grundgesetzes sei das auch erwünscht, betont die GFF. 

Reporter ohne Grenzen wirft Union Einschüchterung vor

Heftige Kritik am Agieren von CDU und CSU übt auch die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG), die weltweit für Pressefreiheit kämpft. Geschäftsführerin Anja Osterhaus wirft der Union vor, kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft einschüchtern zu wollen. Zugleich betont sie, Anfragen von Parteien seien ein wichtiges Instrument der parlamentarischen Kontrolle.

"Doch es ist besorgniserregend, dass die CDU/CSU-Fraktion zu diesem Mittel greift, um Informationen zu Medienorganisationen anzufordern, die für investigativen Journalismus bekannt sind." Damit spielt Osterhaus darauf an, dass sich die Fragen der Union unter anderem auf "Correctiv" und das "Netzwerk Recherche" beziehen.

Die auch mit staatlichen Geldern unterstützte Plattform "Correctiv" hatte Anfang 2024 über ein Treffen rechtsextremer und konservativer Leute in Potsdam berichtet. Dabei soll es um Pläne gegangen sein, Menschen mit Migrationshintergrund massenhaft aus Deutschland abzuschieben. Die "Correctiv"-Enthüllung hatte in ganz Deutschland Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus und die AfD ausgelöst. 

AfD verbieten?

Warum eine wehrhafte und engagierte Zivilgesellschaft wichtig ist

"Wer Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus und für demokratische Werte einsetzen, unter 'Neutralitätsverdacht' stellt, schwächt unsere Demokratie und spielt rechtsextremen Kräften in die Hände", kommentierte Timo Reinfrank von der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin das Agieren der Union. 

Deren Fragen hat die Bundesregierung inzwischen beantwortet, wie die "Welt" berichtet. Mit dieser Antwort dürften CDU und CSU kaum zufrieden sein: "Die Bundesregierung weist darauf hin, dass es nicht ihre Aufgabe ist, allgemeine Informationen über die Aktivitäten und Kontakte von Organisationen zu sammeln, zu überwachen oder zu bewerten", heißt es. Und weiter: "Die Wichtigkeit der Aufgabe, Hass und Hetze entgegenzutreten und die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu stärken, wurde auch im Deutschen Bundestag immer wieder hervorgehoben."

"Bemerkenswert eindeutige Klarstellung" der Bundesregierung

Die von der Union attackierten Organisationen sind erleichtert und fühlen sich in ihrer Arbeit bestätigt. "Die Bundesregierung hat eine bemerkenswert eindeutige Klarstellung vorgenommen: Zivilgesellschaftliches Engagement ist rechtlich abgesichert und demokratiepolitisch erwünscht", betont Timo Reinfrank von der Amadeu-Antonio-Stiftung. "Organisationen wie die unsere leisten einen wichtigen Beitrag zur politischen Bildung, zur Aufklärung über verfassungsfeindliche Bedrohungen und zur Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt - aber sie sind keine politischen Akteure im engeren Sinne."

Die Vorstellung, dass zivilgesellschaftliche Organisationen als verlängerter Arm einer politischen Agenda wirkten oder gar eine Parallelstruktur zur Regierung bildeten, sei nicht nur falsch, sondern hochproblematisch, betont Reinfrank. "Solche Narrative stammen aus dem verschwörungsideologischen Spektrum und wurden in der Vergangenheit gezielt genutzt, um demokratische Akteure zu diskreditieren."  

Dieser Artikel wurde erstmals am 28.02.2025 veröffentlicht und nach der Antwort der Bundesregierung zuletzt am 13.03.2025 aktualisiert.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland