Flüchtlingshilfe wird zur Belastungsprobe
21. August 2015Christina Karafiat und ihre 15-jährige Tochter Lisa parken ihr Auto neben dem türkischen Kulturzentrum in Traiskirchen. Hier wollen sie 25 Caritas-Helfern unter die Arme greifen. Die nächsten drei Stunden werden sie Spenden sortieren, die sie dann später an die Flüchtlinge weitergeben, die im Aufnahmelager um die Ecke auf ihre Registrierung warten. "Es ist eine Schande, dass ein reiches Land wie Österreich das hier nicht besser organisieren kann", sagt Christina Karafiat, die zum zweiten Mal vom 30 Kilometer entfernten Wien nach Traiskirchen gekommen ist, um zu helfen.
Vor dem Aufnahmelager verteilt Melanie Scherzer, eine Sozialarbeiterin Mitte 30 aus Wien, auf eigene Faust Obst, Orangensaft, einige Zelte und Schlafsäcke.
Die vielen Helfer reagieren auf einen Bericht von Amnesty International. Darin wird die Situation im Lager von Traiskirchen als unmenschlich beschrieben. Rund 3000 Menschen leben in einer Einrichtung, die für 1200 Flüchtlinge ausgelegt ist. Sie kommen aus Afghanistan, Irak oder Syrien und müssen stinkende und verstopfte Toiletten benutzen. Frauen und Männer teilen sich die Duschen. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln funktioniert schlecht. Einige Flüchtlinge - und dazu gehören auch Familien mit Babys - müssen im Freien in Zelten übernachten, bei Wind und Wetter. Die Zelte stammen von freiwilligen Spendern und nicht von der Regierung.
Während die Politiker sich gegenseitig die Schuld an der schlechten Situation geben, füllen die Österreicher nun die Versorgungslücken selbst. Doch so manch freiwilliger Einsatz löst die Probleme nicht, sondern schafft neue. Seit zwei Wochen sind die Zufahrten des Aufnahmelagers in Traiskirchen verstopft mit spendenbereiten Menschen in ihren Autos. Und viele der Gaben landen am Ende auf der Müllverbrennungsanlage, weil sie einfach schon zu abgenutzt sind oder weil die mitgebrachte Kleidung und Nahrung für die hauptsächlich muslimischen Flüchtlinge nicht passend sind.
Versagen des Managements?
Im Caritas-Zelt des türkischen Kulturzentrums hält die Koordinatorin Astrid Resatz einen schwarzen Schuh mit einer abgewetzten Sohle und nahezu durchgescheuerten Schnürsenkeln in die Luft. Währenddessen dirigiert sie die anderen Helfer, unter denen auch Christina Karafiat und ihre Tochter sind. Die meisten der Unterstützer sind Frauen zwischen 25 und 50 Jahren. Eine Handvoll junger Flüchtlinge hilft als Übersetzer, Sicherheitswärter oder Kistenträger. "Auch ein Asylsuchender hat keinen Bedarf für abgetragene Dinge", sagt Resatz und zeigt auf den Schuh. Es kämen viele Spendensäcke mit alten, speckigen Stofftieren, zerrissenen Hosen und einzelnen Schuhen bei ihr an.
Ein pinkfarbener Lastwagen einer neuen politischen Partei mit dem Namen Neos bringt noch mehr Spenden vorbei. Doch das freundliche Lachen der Insassen endet abrupt, als Astrid Resatz ihnen erklärt, dass sie keinen Bedarf an dem Sack voller Stiefel, rosa T-Shirts und kurzen Röcken habe. "Die Flüchtlinge tragen einfach nicht dasselbe wie wir", sagt sie behutsam. "Die brauchen Leggins und lange Röcke."
Bereitwillig nimmt sie aber die Windeln und Körperpflegemittel an. Die Zelte, die die Neos-Leute dabeihaben, darf die Caritas nicht weitergeben. Auf Astrid Resatzs Anraten hin fährt Neos-Chef Matthias Strolz zu dem wenige hundert Meter entfernten Aufnahmelager, um die Zelte dort persönlich zu verteilen. Aber dort ist er nicht der einzige.
Vor dem Lager stehen bereits etliche Autos und überschütten die Flüchtlinge förmlich mit Spenden. Bevor der pink leuchtende Wagen von Strolz zum Halten kommt, parkt ein weißer Bus vor ihm. Einige Flüchtlinge laufen auf den Wagen zu. An einem anderen Auto ziehen etliche Menschen an einem Karton, um ihn von der Ladefläche zu bekommen. Er reißt, Bananen fliegen umher, landen auf dem Boden. Die noch intakten Früchte werden eingesammelt, der Rest bleibt liegen. "Diese Zustände müssen beabsichtigt sein. Das ist die einzige Schlussfolgerung, die ich daraus ziehen kann. Das ist ein totales Versagen des Managements", sagt Neos-Chef Strolz.
Spenden im Müll
Währenddessen stochert eine Familie in mehreren Säcken mit Kleidung herum. Sie findet Tüten mit Gummibärchen und eine ausgestopfte Puppe, aber keine passenden Kleidungsstücke. Der Sack bleibt auf der Straße liegen, während die Familie schon zum nächsten Auto geht.
Ibrahim Hamdoni ist 73 Jahre alt und aus Aleppo in Syrien. Er hat ein altes Nokia-Handy in einer verschließbaren Plastikhülle bekommen. "Ich brauche doch arabische Buchstaben und Internet", sagt er. Damit wolle er seinen Sohn in Deutschland anrufen. Der habe es schon geschafft.
Etwas weiter die Straße runter steht ein Karton mit getragenen Herrenschuhen. Daneben liegt kaputtes Spielzeug: Teile eines Puzzles, eine Plastikschiene, etwas weiter entfernt ein schwarzes Spielauto ohne Räder. Zwei Männer streiten sich, ihre Freunde besänftigen die beiden.
Während die Flüchtlinge gierig nach den Zelten und Schlafsäcken greifen, die Melanie Scherzer mitgebracht hat, will niemand ihr Sprudelwasser trinken. Die meisten der Flüchtlinge kennen einfach kein Wasser mit Kohlensäure. "Das wussten wir nicht", sagt Scherzer. "Es gibt einfach keine Absprachen."
"Spenden ist gut", sagt Anton Lojowski vom Stadtrat Traiskirchen und schaut auf die Autos, die auf der Otto-Glöckel-Straße vor dem Aufnahmelager anhalten. Aber das Spenden sei nur sinnvoll, wenn man es auch koordiniere. Seit der Spendenansturm begonnen habe, fülle die Stadt jede Woche zwei Müllcontainer mit ungewollten Spenden.
"Diese Menschen sind Österreich"
Auf der anderen Straßenseite bewegt sich eine Anwohnerin langsam mit ihrer Gehhilfe auf ihr Haus zu. Das Gras ist ordentlich gemäht, die Blumen sind geschnitten und der Weg zur Haustür gefegt. Ihr Blick bleibt an dem Karton mit Herrenschuhen auf der anderen Seite ihres Gartenzauns hängen. Ihren Namen will die Frau nicht nennen. Seit 30 Jahren lebe sie nun schon vor dem Aufnahmelager. Noch nie habe sie solche Probleme gehabt. "Die Menschen kommen hierher und schmeißen ihr ganzes altes Zeug raus", sagt sie und hat Tränen in den Augen. "Jeden Tag bezahle ich jemanden, der das wieder wegmacht."
In diesem Moment kommt Mohammed vorbei. Der 18-Jährige hilft der Caritas als Freiwilliger. Er sieht die Tränen in den Augen der Frau, entsorgt den Karton in einem der Müllcontainer und verspricht, den Rest später auch noch mitzunehmen. Er wirkt glücklich, obwohl er in dem Lager lebt, das Amnesty International als menschenunwürdig beschreibt. "Dieses Aufnahmelager", sagt er, "das ist nicht Österreich. Diese netten Menschen hier, die sind Österreich, und ich bin glücklich, dass ich hier bin."