Faktencheck: Wie Russland versucht, die Wahl zu beeinflussen
18. Februar 2025Es ist nicht das erste Mal, dass Russland versucht, eine Wahl durch Desinformation zu lenken. Dies war 2024 beispielsweise bei den Präsidentschaftswahlen in den USA und den Europawahlen der Fall. Und schon bei der Bundestagswahl 2021 versuchte Russland laut dem Deutschen Bundestag, die öffentliche Meinung der Wähler zu beeinflussen.
Vier Jahre später ist das nicht anders: Auch zu der anstehenden Bundestagswahl am 23. Februar beobachten Experten großangelegte russische Desinformationskampagnen, die besonders Parteien aus der Mitte diskreditieren sollen. Die meisten Fakes "wenden sich gegen die Grünen, die CDU und die SPD sowie deren Spitzenkandidaten. Die AfD wird selten, wenn dann aber positiv erwähnt", erklärt Lea Frühwirth vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS)der DW. Die gemeinnützige Organisation arbeitet zu den Themen Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Rechtsextremismus.
Spitzenkandidaten Ziel von Falschmeldungen
Hier zwei aktuelle Beispiele: Mehrere X-Nutzer verbreiten seit Anfang Februar ein Video über einen angeblichen psychischen Zusammenbruch des CDU-Spitzenkandidaten Friedrich Merz. Demnach hat Merz angeblich versucht, sich 2017 das Leben zu nehmen. Einer der Postswurde binnen zehn Tagen mehr als 5,4 Millionen Mal angesehen.
Als Beweise werden die Aussage eines vermeintlichen Psychiaters Albert Mertens und ein medizinisches Formular gezeigt. Der Stempel auf dem Formular bezeichnet Mertens als "psychologischen Psychotherapeut". In Deutschland sind Psychotherapeut und Psychiater unterschiedliche Berufsbilder. Die Bundespsychotherapeutenkammer teilt der DW mit, dass unter "Albert Mertens" kein Mitglied im Bundesland Nordrhein-Westfahlen registriert sei. Außerdem sei unter der angegeben Adresse keine Praxis vorhanden, die berechtigt wäre, solche Formulare auszustellen.
Ursprünglich wurde das Video auf der Webseite "Wochenüberblick aus München" veröffentlicht. Ein wichtiges Detail: Beim Teilen des Videos wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Merz Taurus-Raketen für die Ukraine fordert.
Auch der Spitzenkandidat der Grünen, Robert Habeck, und seine Parteikollegin Claudia Roth waren zuletzt Opfer von Desinformation: Laut einem Artikel und einem Videoder Webseite "Narrativ" sollen sie in einen angeblichen Korruptionsskandal im Wert von 100 Millionen Euro verwickelt sein. Es geht dabei um mehrere Gemälde der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die angeblich in die Ukraine gelangten und dann an private Sammler veräußert wurden. Alle Behauptungen in der besagten Publikation sind entweder falsch oder frei erfunden, bestätigt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf DW-Nachfrage.
Was diese vermeintlichen Enthüllungen gemein haben: Sie sind nach dem gleichen Muster produziert mit falschen Zeugenaussagen und gefälschten Dokumenten. Und sie werden zuerst auf Webseiten veröffentlicht, die wie Nachrichtenplattformen aussehen, die aber Desinformation verbreiten. Diese Merkmale sind typisch für die russische Desinformationskampagne mit dem Spitznamen "Storm-1516", erklärt ein Teammitglied des Online-Rechercheprojekts Gnida der DW.
Die Kampagnen: Doppelgänger, Matrjoschka und Storm-1516
In Kooperation mit den Plattformen Correctivund NewsGuardentdeckte das Projekt mehr als hundert deutschsprachige Webseiten, die zunächst mit KI-generierten, pro-russischen Inhalten gefüllt wurden. Später werden die Webseiten genutzt, um Falschmeldungen zu veröffentlichen. Diese werden anschließend auf Plattformen wie X oder Telegram von "befreundeten" oder bezahlten Influencern verbreitet.
Ähnlich funktioniert die sogenannte "Doppelgänger"-Kampagne. Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 verbreitet sie "pro-russische Narrative und Desinformation, welche insbesondere darauf abzielen, westliche Außenpolitik im Allgemeinen und besonders die Unterstützung der Ukraine zu diskreditieren", schreibtdas Auswärtige Amt. Nach der Einmischung in den Wahlkampf in den USA sanktioniertedie US-Regierung die dafür zuständigen russischen Akteure.
Ihren Namen bekam die "Doppelgänger"-Kampagne, weil sie ursprünglich Webseiten und Videos bekannter Medien wie der DW oder der BBC imitierte. Das DW-Faktencheckteam hat dazu einige Faktenchecks veröffentlicht.
Zwar fallen manche dieser Fakes schnell auf. Doch "es geht um Masse statt Klasse", sagt Lea Frühwirth vom CeMAS dem Faktencheck-Team des Bayrischen Rundfunks (BR).
Auch die sogenannte "Matrjoschka"-Kampagne spielt eine Rolle. Eine Armee von Bots sorgt für "Ablenkungsmanöver": Journalisten werden mit angeblichen Hinweisen zu Falschnachrichten überhäuft, mit der Bitte diese zu überprüfen. Auf diese Weise werden Falschbehauptungen weiterverbreitet und zugleich Faktenchecker mit Arbeit "blockiert", berichtetdie französische Nachrichtenagentur AFP.
Die "Matrjoschka"-Bots verbreiteten Ende Januar innerhalb weniger Tage mindestens 15 gefälschte Videos, schreibt das unabhängige russische Medienprojekt "Agentstwo". Die Videos ähnelten beispielsweise denen der DW und des deutschen Boulevard-Mediums Bild. Auf Englisch, Französisch und Spanisch wird darüber berichtet, dass Deutschland vor den Wahlen angeblich mit Terrorbedrohung, Kriminalitätsanstieg und Angst der Wähler zu kämpfen hat.
Russland unterstützt besonders zwei Parteien
Die Ziele Russlands: "Vor allem Unsicherheit zu streuen, Wähler zu polarisieren", erklärt Leonie Pfaller von NewsGuard, einem Anbieter von Tools zur Bekämpfung von Desinformationen, im Interview mit dem BR. Auffällig sei, dass es sehr häufig positive Berichterstattung über die in Teilen rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD) und deren Spitzenkandidatin Alice Weidel gebe. Bereits 2024 wurde durch Recherchen publik: Mit der "Doppelgänger"-Kampagne sollte der Stimmanteil für die AfD auf mindestens 20 Prozent gebracht werden. Aktuellen Umfragen zufolge liegt die AfD kurz vor der Bundestagswahl bei etwa 20 Prozent. Ob hier ein Zusammenhang besteht, lässt sich nicht belegen.
Pfaller vermutet, dass die AfD von russischer Seite unterstützt werde, da sie sich Russland gegenüber freundlicher äußere als andere Parteien. In ihrem Bundestagswahlprogramm fordert die Partei, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland aufzuheben. Zudem verurteilt die AfD den Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht.
Lea Frühwirth von CeMAS erwähnt auch eine andere Partei, die von russischer Propaganda unterstützt werde: das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die Partei bezeichnet in ihrem Wahlprogramm den Krieg in der Ukraine als Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA, der vermeidbar gewesen sei. Zudem will das BSW, dass Deutschland wieder Erdgas von Russland bezieht.
Felix Kartte von der Stiftung Mercator sieht weniger eine Gefahr in der Desinformation zur Bundestagswahl, sondern eher in der langfristigen Strategie Russlands. "Die Themen, die Narrative, die der Kreml seit Jahren besetzen will, sind auch in der deutschen öffentlichen Debatte sehr dominant geworden", sagte er zur DW. Zum Beispiel die Behauptungen, dass alle Regierungen in Europa korrupt seien und sie die Meinungsfreiheit unterdrückten - Narrative, die auch rechtsextreme Parteien in Europa verbreiten.
Wie wehrt sich Deutschland gegen russische Desinformation?
Die Verbreitung von Desinformation "durch ausländische staatliche Stellen in Deutschland ist grundsätzlich nicht strafbar", teilte das Bundesinnenministerium dem Recherchezentrum Correctiv auf Anfrage mit. Dennoch beschäftigt sich laut dem Ministerium eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe mit Bedrohungen wie Desinformation.
Im Mittelpunkt stehe, die Öffentlichkeit für Desinformation zu sensibilisieren und Nachrichten- und Medienkompetenz in allen Altersgruppen zu fördern, schreibt das Ministerium auf BR-Anfrage. Die Regierung steht zudem auch mit anderen Staaten und mit sozialen Netzwerken in Kontakt, um russische Desinformation gemeinsam zu bekämpfen.
Für den Digitalexperten Felix Kartte reicht es nicht, Desinformation mit Fakten zu begegnen. Die Politik müsse auch die emotionalen Grundbedürfnisse in der Gesellschaft erkennen. Kurz: "Bessere Politik machen."
Dieser Artikel entstand im Rahmen der Kooperation der ARD Faktenchecker von ARD-faktenfinder, BR24 #Faktenfuchs und DW Fact check.