Faktencheck: Keine "Schauspielerin" in Video zu Sumy-Angriff
16. April 2025Das Narrativ ist nicht neu und doch immer noch wirksam: Nach russischen Angriffen auf Zivilisten in der Ukraine erheben pro-russische Kommentatoren regelmäßig den Vorwurf, alles sei nur inszeniert, ein großes Schauspiel für die Öffentlichkeit.
Nach dem jüngsten russischen Raketenangriff auf die grenznahe ukrainische Stadt Sumy, bei dem nach offiziellen ukrainischen Angaben mindestens 35 Menschen getötet und mehr als 119 Personen verletzt wurden, schreiben russische Medien und Social-Media-Nutzer erneut von "Schauspielern", die das Leid der Zivilbevölkerung in der Ukraine nur inszenieren würden.
Behauptung: "Neues 'Meisterwerk' der ukrainischen Medien: eine Schauspielerin für alle Produktionen", titelt eine russische News-Seiteund berichtet dabei über zwei Videos, die unterschiedliche Vorgänge angeblich mit ein und derselben Person zeigen würden.
Auch Telegram-Nutzer wie hieroder hierverbreiten das gleiche Narrativ: "Weitere Fake News: Die 'Schauspielerin', die 'gestern' die von einem Burjaten vergewaltigte Daria spielte, ist bereits heute das Kindermädchen Kateryna, eine Einwohnerin von Sumy."
DW Faktencheck: Falsch
In den Videos ist keine "Schauspielerin" zu sehen, die unterschiedliche Personen darstellt. Gefilmt und interviewt wurden hingegen Opfer des russischen Angriffs, eine Lehrerin aus Sumy sowie eine Künstlerin aus Kyjiw.
In den Videos berichtete die DW über zwei unterschiedliche Vorgänge: Im jüngsten Videovom 15. April geht es um den russischen Raketenangriff auf Sumy und die Folgen für die Anwohner vor Ort. Im zweiten Videovom 14. April berichtet die DW über eine Ukrainerin, die Opfer sexueller Gewalt durch einen russischen Soldaten wurde.
Lehrerin aus Sumy gedachte getöteten Kindern
Bereits ein direkter Vergleich der Bilder der beiden Frauen belegt, dass es sich um unterschiedliche Personen handelt. Das Faktencheck-Team der DW überprüfte jedoch genau, wer die beiden Frauen sind.
So wurde in Sumy die 23-jährige Kateryna Sitak von einem Journalisten der Nachrichtenagentur The Associated Press (AP) interviewt und gefilmt. Die DW übernahm dieses Material.
Die junge Frau kam zum Ort des Raketenangriffs in Sumy, um ein paar Spielzeuge in Gedenken an die getöteten Kinder niederzulegen. Kateryna Sitak gab gegenüber AP an, dass sie als Kindermädchen und Grundschullehrerin arbeite.
Das Faktencheck-Team der DW hat den AP-Journalisten Alex Babenko, der Sitak interviewte, kontaktiert. Babenko dreht weiterhin in Sumy, wo er die Folgen des Angriffs und die Trauer der Angehörigen filmt.
Zu den Behauptungen über die angebliche "Schauspielerin" in seinem Video schrieb er: "Als AP-Journalist habe ich nie Schauspieler eingesetzt und filme echte Menschen und Ereignisse vor Ort".
In den sozialen Netzwerken fand die DW ein Profil von Kateryna Sitak. Darin gibt es einen Eintrag über ihr Lehrerstudium an der Staatlichen pädagogischen Universität Sumy, sowie ein Foto von der Abschlussfeier an der Universität. Mehrere Profilbilder bestätigen ebenfalls, dass sie die Frau aus dem AP-Video ist.
Bekannte Illustratorin und Künstlerin aus Kyjiw
Die Protagonistin des zweiten Videos aus eigener DW-Produktionist in der Ukraine bekannt: Es handelt sich um die Illustratorin und Künstlerin Daria Zymenko Kyjiw. In ihren Collagen verarbeitet sie ihre Erfahrungen als Opfer der sexuellen Gewalt im Krieg.
Kurz nach dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine wurde sie von einem russischen Soldaten aus Burjatien mehrmals vergewaltigt. Daria spricht offen darüber und ist bei der Unterstützung der anderen Opfer aktiv. "Mein Ziel ist es, diese Verbrechen sichtbar zu machen", sagte sie der DW.
Auch andere Medien (wie hierin KyivPost, hier in SwedenHerald) sowie UN Womenhaben bereits über Daria Zymenko, ihre Kunst und ihren Aktivismus berichtet. Sie ist somit in der Ukraine sowie auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt und könnte sich demnach kaum für jemanden anderen ausgeben.
Bei den Interviewpartnerinnen in den beiden Videos handelt es sich also um zwei verschiedene Frauen, die keine ihnen aufgetragene Rolle spielen, sondern über das sprechen, was sie erlebt haben.