Faktencheck: Falschinformationen zum Angriff auf Sumy
19. April 2025Nach den jüngsten russischen Angriffen auf die Ukraine kursieren in den Sozialen Medien immer wieder prorussische Narrative, die versuchen, Fakten und Ereignisse umzudeuten. So auch im Fall von Sumy.
Behauptung: In einer Talkshow behauptete Margarita Simonjan, Chefredakteurin des russischen Staatssenders RT, die Ukraine könnte ein neues 'Butscha' vorbereiten.
"Ich sagte gestern, dass eine Sache den Frieden in der Ukraine gefährden könnte, und zwar eine fabrizierte Gräueltat, die groß genug wäre, um Trump zu beeindrucken. Heute haben wir Sumy", postete sie nur wenige Stunden nach dem Angriff auf die ukrainische Stadt auf X .
DW-Faktencheck: Falsch.
Margarita Simonjan brachte den russischen Raketenangriff auf Sumy in Zusammenhang mit Butscha. Diese ukrainische Stadt wurde im April 2022 weltweit durch die Massaker der russischen Armee an Zivilsten bekannt.
In der Zeit vom 24. Februar bis zum 31. März 2022 sind dort unter russischer Besetzung allein in der Stadt mindestens 381 Menschengestorben, viele von ihnen wurden von russischen Soldaten erschossen.
Russland behauptete damals, die Gräueltaten seien von der ukrainischen Seite inszeniert worden und die Leichen nur Schauspieler gewesen (hier geht es zum DW-Faktencheck dazu).
Der Angriff am 13. April auf Sumy ist jedoch klar dokumentiert: Mehrere Videosaus der Stadt zeigen die Explosion von zwei Raketen, die am 13. April zwischen 10:15 Uhr und 10:20 Uhr kurz nacheinander im Zentrum einschlugen, sowie die unmittelbaren Folgen des Angriffs. Die Explosion beider Raketen wurde beispielsweise in einem Videowährend des Gottesdienstes festgehalten.
Das DW-Faktencheck-Team hat außerdem dieses Dashcam-Video, das die erste Rakete im Anflug zeigt, anhand der Straßenbahnoberleitungen und der markanten Gebäude verifiziert. Die Aufnahme wurde während der Fahrt am großen gelben Supermarkt-Gebäude vorbei auf der Petropavlivska Straße gemacht.
Das Ziel der ersten Rakete befand sich nur etwa 400 Meter Luftlinie von dem Auto entfernt. Sie traf das Kongresszentrum der Sumy Universität, in dem es mehrere Räumlichkeiten für Konferenzen, Ausstellungen und Foren gab.
Die Detonation der zweiten Rakete ereignete sich laut der Stadtverwaltungvon Sumy in der Luft über der belebten Straße . Die Splitter töteten und verletzten mehrere Passanten, Straßenbahninsassen und die bereits eingetroffenen Rettungskräfte.
Noch am Tag des Angriffs teilteder Leiter des ukrainischen Militärnachrichtendienstes mit, es handele sich um "zwei ballistische Raketen des Typs Iskander-M/KN-23". Der Angriff sei von russischen Einheiten der 112. und 448. Raketenbrigade aus dem Gebiet der russischen Regionen Woronesch und Kursk durchgeführt worden.
Schließlich bestätigteam 14. April auch das russische Verteidigungsministerium, dass es in Sumy "einen Angriff mit zwei operativ-taktischen Raketen des Typs Iskander-M" durchgeführt habe.
Die Behauptung, der Angriff auf Sumy sei eine Inszenierung, ist demnach falsch.
Angriff auf eine Militär-Versammlung?
Behauptung: Laut russischem Verteidigungsministerium wurde in Sumy der Ort angegriffen, an dem "eine Sitzung des Kommandostabs der operativ-taktischen Gruppe Siwersk stattfand". "Bei dem Angriff auf das Ziel kamen über sechzig Angehörige der ukrainischen Streitkräfte ums Leben", so das Ministerium.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow erklärte ebenfalls am 14. April in einem Interview, was das Ziel des Angriffs in Sumy war: "Es gab ein weiteres Treffen ukrainischer Militärführer mit ihren westlichen Kollegen. [...] Es sind Militärangehörige aus NATO-Ländern dort, und sie haben das direkte Kommando". Kyjiw wurde vorgeworfen, die zivile Bevölkerung als Schutzschild für das Militär zu missbrauchen.
DW-Faktencheck: Unbelegt
Weder das Verteidigungsministerium Russlands noch Außenminister Lawrow liefern Belege für ihre Aussage. Noch bevor der Kreml sich äußerte, erschienen in sozialen Netzwerkenund einigen russischen MedienMeldungen, die den Angriff Russlands auf das Stadtzentrum in Sumy rechtfertigten.
Als Beweis wurden Bilder verbreitet, auf denen Militärfahrzeuge und uniformierte Menschen am Ort des Einschlags zu sehen sind. Angeblich war das Ziel eine Versammlung der Offiziere, die für ihre Verdienste in der Kursker Offensive ausgezeichnet werden sollten.
Als Beleg dafür wurde ein Meta-Postder ukrainischen Parlamentsabgeordneten Mariana Besuhla verbreitet. Diese verurteilte unmittelbar nach dem Angriff die Versammlung der 117. Brigade für ihre Feierlichkeiten mitten in der Stadt und beschuldigte damit indirekt die ukrainische Militärführung. Einige weitere ukrainische Politiker haben ähnliche Vorwürfe erhoben.
Unter dem Druck der Öffentlichkeit bestätigteschließlich der Gouverneur des Gebiets Sumy, Wolodymyr Artjuch, es habe eine Versammlung von Militärs im Kongresszentrum zur Zeit des Angriffs gegeben. Weitere Details zu der Art der Versammlung und deren Teilnehmern verriet der Gouverneur aber nicht. Am 15. April hat die ukrainische Regierung die Entlassung von Artjuch bekannt gegeben.
Die DW kontaktierteden Generalstab der Streitkräfte der Ukraine, die 117. Brigade und die Operativ-Taktische Gruppe der Streitkräfte "Siwersk" mit der Bitte zu bestätigen, ob eine Versammlung und Verleihung für Militärs stattgefunden hat, doch sie lehnten eine Stellungnahme ab.
Mittlerweile wurde der Tod von einem ukrainischen Offizier infolge des Anschlags in Sumy bekannt. Die genauen Umstände sind aber nicht klar. Es gibt also bisher keine eindeutigen Beweise, dass es ein Treffen der ukrainischen Streitkräfte mit westlichen Militärvertretern gab, wie von Russland behauptet.
Mitarbeit: Torsten Neuendorff