Faktencheck: Der Mythos um die Opferzahlen 1945 in Dresden
13. Februar 2025Am späten Abend des 13. Februars 1945 begannen britische und US-amerikanische Bombergeschwader verheerende Luftangriffe auf Dresden. Bis zum Mittag des 15. Februars breiteten sich großflächige Brände aus, die Tausende Menschen das Leben kosteten und die Altstadt nahezu vollständig in Trümmer legten.
Nach den Luftangriffen stapelten die Überlebenden die Toten, um sie zu verbrennen und so Seuchen vorzubeugen. Die Bilder des Fotografen Walter Hahn haben sich in das Gedächtnis vieler Deutscher gebrannt.
Selbst 80 Jahre nach der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg hält sich die Diskussion um die Opferzahlen hartnäckig. Dahinter steht oft der Versuch, die Luftangriffe für eigene politische Zwecke zu instrumentalisieren.
Behauptung: "Wenn Sie noch nie von den Brandbomben auf Dresden gehört haben, haben Sie einen bedeutenden Teil der Geschichte verpasst. Es war im 2. Weltkrieg, wo die Alliierten eine zivile Stadt in Deutschland bombardierten. Hunderttausende von unschuldigen Menschen verloren ihr Leben. Im Geschichtsunterricht wird das meist übergangen, weil es nicht in die Erzählung passt....", behauptet dieser X-Post vom 17. Januar 2025. Ein anderer X-User spricht von 100.000 bis 130.000 Opfern. Auch die Zahl 250.000 kursiert unter Rechtsextremen, wie dieses Transparent einer Gruppe Aktivisten im niedersächsischen Ort Einbeck 2020 zeigt.
DW-Faktencheck: Falsch.
Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, die eine Historikerkommission in jahrelanger Arbeit zusammengetragen und 2010 veröffentlicht hat, waren es deutlich weniger als Hunderttausende. Die Forschenden sprechen von "bis zu 25.000 Menschen", die bei den Luftangriffen vom 13. bis zum 15. Februar getötet wurden.
Schätzung der Opferzahl der DDR
Nach der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 wurde Dresden Teil der sowjetischen Besatzungszone, die 1949 zur Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurde. "In der DDR wurden die ehemaligen Alliierten und nun Westmächte zu 'Kriegstreibern' stilisiert. Dresden war das Symbol dafür", sagt die Dresdner Soziologin Claudia Jerzak.
Auf Basis einer Analyse des SED-Funktionärs Max Seydewitz, die er 1955 in seinem Buch "Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden" veröffentlichte, bezifferte das DDR-Regime die Zahl der Toten mit 35.000 und stellte dies bis zu seinem Ende 1989/90 nicht mehr in Frage.
Nach der Friedlichen Revolution 1989/90, die in der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten mündete, habe sich dann der Nationalismus Bahn gebrochen, sagt Soziologin Jerzak. Dabei hätten dann Rechtsextreme die nationalsozialistische Propaganda aufgegriffen, die den "Mythos Dresden als Bild der sinnlos zerstörten unschuldigen Kunst- und Kulturstadt" geschaffen hatte. Um zumindest den immer wiederkehrenden Spekulationen über die Opferzahlen entgegenzuwirken, beriefen der Oberbürgermeister der Stadt Dresden und der sächsische Landtag 2004 eine Historikerkommission ein.
Ergebnisse der Dresdner Historikerkommission
Nach mehr als fünf Jahren Arbeit legten die Wissenschaftler 2010 ihren Abschlussbericht vor. Demnach geht aus Berichten des Dresdner Polizeipräsidiums hervor, dass die damaligen Behörden die Zahl der Toten insgesamt auf 25.000 schätzten. Die Historikerkommission hat die Register mit zahlreichen weiteren Quellen und Untersuchungen abgeglichen und für plausibel und nachvollziehbar befunden.
Anhand der minutiösen Aufzeichnungen der nationalsozialistischen Behörden konnten die Historiker auch die verbreitete These widerlegen, dass sich Zehn- oder gar Hunderttausende Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten in Dresden aufhielten und undokumentiert umkamen. "Jeder Flüchtlingszug, der in einem Dresdner Bahnhof Halt machte, musste die Stadt binnen 24 Stunden wieder verlassen, weil die Raumkapazitäten in der Kriegssituation extrem angespannt waren", erklärt Kommissionsmitglied Matthias Neutzner im Gespräch mit der DW. "Das heißt, wir können davon ausgehen, dass die Zahl geflüchteter Menschen, die in dieser Nacht in Dresden war, im Bereich einiger 1000 Menschen liegt."
"Wir sind 50 Jahre lang von einer Zahl von 35.000 Toten ausgegangen, nun konnten wir mit wissenschaftlichen Methoden nachweisen, dass es 25.000 waren", sagt der gebürtige Dresdner Thomas Kübler, Leiter des Stadtarchivs und ebenfalls Mitglied der Historikerkommission, im DW-Interview. Diese Erkenntnis habe viele Gemüter erregt. Beispielhaft dafür ist ein X-Post, in dem die AfD Saarland behauptet, die Zahlen würden "bis heute kleingehalten".
Woher kam die Falschbehauptung von mehreren Hunderttausend?
Bereits kurz nach den Angriffen kursierten unterschiedliche Zahlen. Die schwedische Zeitung "Svenska Dagbladet" etwa hatte bereits am 25. Februar 1945 eine Schätzung abgegeben: "Wie viele Menschen starben, weiß noch niemand genau, (...), aber nach Angaben einige Tage nach der Verwüstung liegt die Zahl eher bei 200.000 als 100.000."
Diesen Artikel griff das Auswärtige Amt in einem Telegramm auf, in dem es die diplomatische Vertretung in Bern anwies, genau diese Formulierung in der Kommunikation über Dresden zu zitieren. Eine Kopie des Dokuments findet sich im Bundesarchiv.
Die Historikerkommission ordnet diese Order in die "intensive und erfolgreiche Kampagne der Auslandspropaganda (...) gegen die Kriegführung der Alliierten" ein. Belege für ihre Schätzung führt "Svenska Dagbladet" nicht an. Die wenigen verbliebenen Korrespondenten aus dem neutralen Schweden in Berlin hätten wohl einfach die überhöhten Zahlen übernommen, die ihnen auf Pressekonferenzen der NS-Behörden präsentiert wurden.
Spätere Opferzahlen entbehren belastbare Quellen
Wie andere Social-Media-User macht sich auch das russische Außenministerium nicht die Mühe, Quellen zu nennen, als es in einem X-Post unter anderem die Zahl 135.000 Tote ins Spiel bringt.
Dieselbe Zahl führt der höchstumstrittene Autor und notorische Holocaust-Leugner David Irving bereits 1966 in einer der Neuauflage seines Buches "Der Untergang Dresdens" (Ersterscheinung 1963) an.
Bei der Opferzahl von Dresden bezieht sich Irving auf einen angeblichen "Tagesbefehl 47" eines Höheren SS- und Polizeiführers vom 22. März 1945. Dabei sah der langjährige Oberbürgermeister der Stadt Dresden, Walter Weidauer, es im selben Jahr in seinem Buch"Inferno Dresden" als "erwiesen" an, "dass der ominöse 'Tagesbefehl Nr. 47' eine Fälschung ist". Weidauer, wie auch später der britische Historiker Richard J. Evans, der im Jahr 2000 als Gutachter in einem Gerichtsprozess gegen seinen Landsmann Irving aussagte, kommen zu dem Schluss, dass dieser um die fehlende Aussagekraft dieses Dokuments - und anderer - gewusst haben müsse.
Im Jahr 2005 machte der Zeitzeuge und Buchautor Wolfgang Schaarschmidt Furore mit der These, dass in einem Wald nahe Dresden 40.000 Opfer des Bombardements heimlich bestattet wurden. Die Historikerkommission konnte jedoch zeigen, dass die angeführten Indizien dafür keine Aussagekraft haben. Eine heimliche Bestattung an diesem Ort sei aus propagandistischen und logistischen Gründen zudem vollkommen unplausibel.
Kampf um die Deutungshoheit über "Dresden"
Wie Neonazis und andere Rechtsextreme den revisionistischen Mythos Dresden bis heute am Leben erhalten, zeigt auch etwa ein Flugblatt der neonazistischen Kleinpartei Der Dritte Weg aus dem Jahr 2021: "Die Mörder von Dresden sind die Kriegstreiber von heute! (...) Wir fordern: (...) Das Ende der Verhöhnung und Leugnung der deutschen Opfer."
Doch davon kann keine Rede sein: "All diese Erkenntnisse führen zu keiner anderen Qualifizierung der Ereignisse von 1945, dass nämlich Dresden das Opfer dieser Bombardierung war", stellt Stadtarchivar Kübler klar. Dementsprechend wird die Stadt Dresden auch in diesem Jahr am 13. Februar mit einer Menschenkette an die Zerstörung und die Opfer der Bombenangriffe erinnern.
Mitarbeit: Anna Bakovic
Korrekturhinweis: In einer früheren Version wurde in einer Bildunterschrift einem Dokument eine falsche Zahl zugeordnet. Dies wurde korrigiert. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.