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PolitikEuropa

EU-Westbalkan-Politik: "Wir müssen neue Impulse setzen"

6. März 2025

Die bessere und engere Integration der Westbalkanstaaten in die EU liege im Interesse beider Seiten, sagt Manuel Sarrazin, Sondergesandter der Bundesregierung für die Länder des westlichen Balkans, im DW-Interview.

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Ein Mann mit Brille (Manuel Sarrazin) schaut lächelnd in die Kamera
Manuel Sarrazin, Sondergesandter der Bundesregierung für die Länder des westlichen BalkansBild: Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion/Stefan Kaminski

DW: Herr Sarrazin, in Serbien wächst der Druck auf die Zivilgesellschaft und die Demonstrierenden. Ein genereller Eindruck der Menschen vor Ort ist, dass die EU und Deutschland die Protestierenden und die NGOs alleine lassen. Ist dieser Eindruck berechtigt?

Manuel Sarrazin: Also - zunächst entscheiden natürlich die Serbinnen und Serben über ihr Land und über ihre Zukunft. Deswegen ist es gar nicht das Anliegen von uns, in irgendeiner Form die Proteste zu bewerten, die dort stattfinden. Ich möchte aber schon eins sagen: Wenn die serbische Regierung uns gegenüber den Eindruck erweckt, sie sei an einem Dialog mit den Studentinnen und Studenten interessiert und gleichzeitig Durchsuchungen bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Partner von uns sind, stattfinden, dann zeigt das doch, dass es nicht ganz ernst zu nehmen ist, dass die serbische Regierung wirklich an einem Dialog mit der Gesellschaft, mit den Akteuren aus den Protesten interessiert ist. Und ich finde, wir müssen hier ganz eindeutig sagen: Serbien muss als EU-Beitrittskandidat die Strukturen und die Institutionen, die sich für eine demokratische Willensbildung und den demokratischen Diskurs im Land einsetzen, stärken und nicht weiterem Druck aussetzen.

Welche nächsten Schritte können von Seiten Deutschlands und der EU getan werden, um dem Nachdruck zu verleihen?

Es ist ja klar, dass es bei den Beitrittsverfahren darum dreht, wie man die Einhaltung der Beitrittskriterien, der sogenannten Fundamentals, bewertet. Und dazu gehören neben der Rechtsstaatlichkeit eben auch Fragen von Demokratie und unseren Grundwerten. Es ist aus meiner Sicht ganz klar, dass das natürlich miteinander verbunden ist.

Ein Mann mit einem Stück Papier in der Hand (Manuel Sarrazin), neben ihm eine Frau
Manuel Sarrazin auf einer Veranstaltung des Aspen Instituts und der Südosteuropa Gesellschaft zur Zivilgesellschaft in der Westbalkan-Region im November 2022Bild: Aspen Institut

Neben Serbien ist in diesen Tagen auch Bosnien-Herzegowina in den Schlagzeilen gewesen. Hier geht es um das Urteil des Obersten Gerichthofs in Bosnien gegen den Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, auf der einen Seite, sowie das juristische Vorgehen gegen NGOs in der Republika Srpska. Was bedeuten diese Ereignisse in Hinblick auf die politische Stabilität von Bosnien und Herzegowina?

Also, aus meiner Sicht ist klar: Wenn das jetzt beschlossene NGO-Gesetz in der Republika Srpska tatsächlich in Kraft tritt, dann ist das de facto das größte Hindernis für die nächsten Schritte auf dem EU-Annäherungspfad für ganz Bosnien und Herzegowina. Mit solchen Gesetzen nach russischem Vorbild kann das Land wohl kaum den Weg Richtung Europäische Union erfolgreich weiter gestalten. Und dann sollte jeder, auch in der Republika Srpska, wissen, wer dann der Urheber für diese Probleme ist. Auch Gesetze, die zum Ziel haben, den bosnischen Gesamtstaat zu schwächen und die Teil der sezessionistischen Agenda Milorad Dodiks sind, werden das Land ganz sicher nicht auf seinem Weg in die Europäische Union weiterbringen. 

Was das Verfahren gegen Milorad Dodik angeht, ist es ein wichtiges Zeichen, dass die Institutionen von Bosnien und Herzegowina, also die Gerichte ein unabhängiges Urteil gefällt haben. Wir müssen abwarten, wie der weitere juristische Umgang in Bezug auf dieses Urteil aussieht. Aber wir erwarten natürlich, dass die Institutionen des Staates respektiert und ihre Entscheidungen anerkannt werden. Die Gesetzesvorhaben, die jetzt in der sogenannten RS-Versammlung beschlossen worden sind, sind noch nicht in Kraft. Meiner Ansicht nach sollten diese Entscheidungen sehr ernst genommen werden. Wenn sie in Kraft treten sollten, haben diese wirklich weitreichende Konsequenzen, die wir uns natürlich genauer anschauen werden. Das sollten auch alle in der Republika Srpska verstanden haben.

Es wird kaum noch über den Kosovo-Serbien-Dialog gesprochen. Das ist ein Thema, das komplett in den Hintergrund gerückt scheint angesichts der vielen anderen Herausforderungen in der Region. Warum tut sich hier so wenig, obwohl die Annäherung zwischen Belgrad und Prishtina für den Frieden und die Stabilität auf dem Westbalkan einer der Schlüssel-Faktoren ist?

Wir haben mit Peter Sörensen, den neuen EU-Sonderbeauftragten für den Dialog zwischen Kosovo und Serbien, eine neue Person, die diesen Prozess für die EU weiter vorantreiben wird. Die ersten Gespräche, die wir geführt haben, werfen ein sehr gutes Bild auf ihn als Persönlichkeit. Und er wird sicherlich einige neue Akzente im Dialog setzen. Er wird gleichzeitig sicherlich auch versuchen, durch harte Sacharbeit Fortschritte in der Annäherung beider Länder zu erzielen.

In der Vergangenheit ist es so gewesen, dass Deutschland und dabei auch meine Person hier die wesentliche Aufgabe hatten, die Arbeit der europäischen Institutionen und des europäischen Chefverhandlers zu unterstützen. Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten gemeinsam eng zusammenarbeiten. Das gilt sicherlich auch für eine künftige Bundesregierung. Deutschland unterstützt den europäischen Ansatz im Dialog und auch die handelnden Personen.

Ich erhoffe mir natürlich, dass dort jetzt auch die Kernerarbeit wieder beginnt. Es geht jetzt darum, dass wir hart an Lösungen arbeiten. Herr Sörensen ist für diese Aufgabe aus meiner Sicht die richtige Person.

Zwei Männer geben sich die Hand und lächeln, neben ihnen Fahnen
Manuel Sarrazin (li.) und der kosovarische Premier Albin KurtiBild: Office of the Prime Minister

Neben Serbien steht auch Kosovo vor großen Herausforderungen und Veränderungen. Es gibt derzeit eine sehr unklare politische Lage. Gibt es da von Ihrer Seite als Sondergesandter für den westlichen Balkan Anliegen, die man jetzt an dieser Stelle nennen könnte?

Wir müssen abwarten, wie sich die weitere politische Entwicklung in der Republik Kosovo darstellt. Es wäre wünschenswert, wenn es zu einer schnellen Regierungsbildung kommt und eine neue Regierung sich aktiv im Dialog engagiert. Das erwarten wir natürlich auch von Serbien. Es liegt aber nicht an uns zu entscheiden, wie jetzt die Regierungsbildung in der Republik Kosovo vonstatten geht. Das ist eine Entscheidung, die Kosovo trifft.

Wir erleben dieser Tage und Wochen eine Zäsur in vielen sicherheitspolitischen und geostrategischen Fragen. Einige sprechen gar mit dem Beginn der zweiten Amtszeit von Donald Trump als US-Präsidenten von einer Zeitenwende im europäisch-amerikanischen Verhältnis. Dies wirkt sich ebenfalls bereits jetzt spürbar auf den Westbalkan aus. Welche Rolle können Deutschland, darunter auch Sie, und die EU hier spielen, um die Länder des Westbalkans näher an Europa zu binden?

Zunächst sollten wir sehr ernst nehmen, dass sich die USA offensichtlich aus der Finanzierung der zivilgesellschaftlichen Organisationen zurückziehen. Diese Institutionen, diese für die Gesellschaft arbeitenden Institutionen, sind meiner Ansicht nach grundlegende Säulen für den Transformationspfad der Länder in Richtung EU. Wir können uns nicht leisten, dieses Engagement in Gänze zu verlieren. Es ist vielleicht auch eine Chance, manche Sachen besser zu machen, also, dass Europa schaut, wo seine Strukturen gerade in der Unterstützung von Transformationsprozessen zu kompliziert sind, zu bürokratisch sind, wo wir besser werden können.

Das Zweite, was ich aber auch sagen möchte, ist, dass jeder im Westbalkan wissen sollte, dass das tägliche Brot durch den Handel mit der EU verdient wird. Das Erfolgsrezept für die Westbalkan-Staaten liegt in der Integration in den europäischen Binnenmarkt. Die Anbindung der Westbalkan-Staaten liegt im gegenseitigen Interesse. Ich denke, dass es also gute Voraussetzungen gibt, wenn diese Einschätzung auch alle teilen. Das würde uns als Europa und auch die Staaten des westlichen Balkans in die Lage versetzen auf die geopolitischen Veränderungen in der Welt geeignet zu reagieren.

Ein Mann in Anzug (Manuel Sarrazin) steht hinter einer Frau mit einem Mikrofon (Adelheid Feilcke) und antwortet auf Fragen
Manuel Sarrazin im Interview mit Adelheid FeilckeBild: Adelheid Feilcke/DW

Nach der Bundestagswahl am 23. Februar führen CDU/CSU und SPD Sondierungen über mögliche Koalitionsverhandlungen. Nicht auszuschließen, dass danach eine neue Bundesregierung auch in Bezug auf den Westbalkan neue Akzente setzt. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein grüner Politiker dieses Amt weiter ausüben wird. Was ist Ihr Wunsch an die zukünftigen mutmaßlichen Koalitionspartner in Bezug auf das Amt und das Engagement für den Westbalkan?

Wir haben zusätzlich zu unserer Unterstützung für den EU-Beitrittsprozess in den vergangenen Jahren vor allem den Berlin-Prozess vorangetrieben. Die derzeitige Bundesregierung hat jetzt entschieden, dass der Gastgeber für den Gipfel in diesem Jahr Großbritannien sein soll. Ich denke, dass wir als Ampelkoalition nach der Regierungsübernahme 2021 gezeigt haben, wie wichtig Kontinuität ist. Es ist auch jetzt eine große Chance, dass auch die künftige Bundesregierung im Berlin-Prozess diesen Staffelstab von uns übernimmt und gemeinsam mit den Briten neue Impulse setzt. Dabei ist es ganz wichtig zu betonen, dass der Berlin-Prozess erfolgreich auf unterschiedliche multilaterale Abkommen und Vereinbarungen der Westbalkan-Staaten untereinander beruht. Hier geht es natürlich auch um das weitere Vorantreiben eines gemeinsamen Wirtschaftsraums die regionale Integration der Länder des westlichen Balkans. Das Ziel muss es sein, die Länder näher an Europa zu bringen, sie weiter auf eine EU-Mitgliedschaft vorzubereiten und auch die Öffnung in Richtung Europa zu schaffen. Auch für Großbritannien wird es eine wichtige Aufgabe sein, die ganze Vielfalt des Berlin-Prozesses aktiv und gemeinsam mit den Ländern der Region zu gestalten.

Stehen Sie auch einer künftigen Bundesregierung als Sondergesandter für den Westbalkan zur Verfügung?

Bei Fußball-Interviews gibt es immer diese Floskel, dass der Trainer sagt: "Das müssen Sie andere fragen." Darauf würde ich mich hier jetzt beziehen und das genau so machen.

Das Interview führte Adelheid Feilcke.