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Erdgas und Menschenrechte / Von Miodrag Soric

28. Juli 2003
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Köln, 27.7.2003, DW-radio / Russisch

Die Deutsche Welle stört. Sie berichtete in den vergangenen Wochen über die Vertreibung von Russen aus ihren Wohnungen in Turkmenistan, nannte Namen, Adressen, zitierte Zeugen im In- und Ausland. Zuerst schwieg der Diktator von Aschgabad Sarparmurad Njiasow, der sich selbst den Titel Turkmenbaschi gab, also Vater der Turkmenen. Nachdem aber Russlands Medien das Thema aufgriffen und selbst zu recherchieren begannen, ließ er das turkmenische Außenministerium offiziell protestieren. Offenbar übersteigt es selbst die Phantasie eines Turkmenbaschi, dass die Deutsche Welle ein unabhängiger Sender ist, der seine Berichterstattung nicht mit der Bundesregierung abspricht. Sogar russische Zeitschriften orakelten, weshalb sich ausgerechnet der deutsche Auslandssender dieses Themas angenommen hat. Auf die Idee, dass Journalisten einfach nur über wichtige Themen wahrheitsgetreu berichten sollen, ganz ohne Hintergedanken, auf diese Idee kamen nur wenige. All das ist ein trauriger Beleg dafür, wie schlecht es um die Demokratie in der GUS bestellt ist. Denn eines ist klar: Ohne freie Presse kann es auch keine Demokratie geben, die diesen Namen verdient.

Nachdem Ende Juni russische Zeitungen über die Verfolgung von Russen in Turkmenistan berichteten, begannen auch Abgeordnete der Duma sich des Themas anzunehmen. Sie forderten eine Untersuchung. Eine Delegation des russischen Außenministeriums wurde nach Aschgabad geschickt, um vor Ort die Vorwürfe zu prüfen. Sie kamen mit der Botschaft zurück, dass Turkmenbaschi persönlich versichert habe, dass es den Russen in Turkmenistan gut gehe. Russische Diplomaten sahen keinen Grund, an den Worten des großen Führers der Turkmenen zu zweifeln. Menschenrechtler und russische NGOs glauben dem Diktator hingegen nicht.

Was wäre wohl passiert, wenn es etwa die Balten gewagt hätten, Russen aus ihren Wohnungen zu werfen? Was für ein Aufschrei wäre durch Russland gegangen? Im staatlich kontrollierten Fernsehen hätte eine Sondersendung die andere gejagt. Rund um den Kreml hätte ein Wettlauf der Drohgebärden stattgefunden. Nationalisten in der Duma hätten gefordert, die Armee an die Grenzen des betroffenen Landes zu entsenden.

Wenn russische Familie nicht in ihre Wohnungen in Aschgabad zurückkehren dürfen, dann stört das in Moskau kaum jemanden. Warum? Der Grund lautet Erdgas, welches Aschgabad an und über Russland weiterverkaufen will. Turkmenistan, Russland und die Ukraine werden, so heißt es, im Herbst einen Vertrag unterzeichnen, der eine Laufzeit von 25 Jahren haben soll und bei dem es um sehr viel Geld geht. Angesichts dieses Geschäftes wiegen Menschen- und Minderheitenrechte wenig. Deshalb hält sich der Kreml bei Vorwürfen an die Adresse von Turkmenbaschi zurück.

Das Schlimme an Vorurteilen ist, dass sie manchmal wahr sind. Menschenleben, so heißt es, zählen in Russland wenig. Das muss Präsident Putin ändern, wenn er eines Tages aus Russland so etwas wie eine Demokratie machen möchte. Der Schutz, die Achtung der Menschenrechte sind das höchste Ziel des Staates, sein eigentlicher Zweck.

Im übrigen muss man nicht unbedingt nach Aschgabad blicken, um zu sehen, wie der russische Staat mit seinen im Ausland lebenden Bürgern umgeht. Es genügt ein Besuch der russischen Botschaft in Taschkent oder in einem anderen zentralasiatischen Land. Wer will, kann dort endlos lange Schlangen sehen, in denen zum Teil alte Frauen stundenlang in der Mittagshitze stehen, bis sie an die Reihe kommen. Was ein Staat wert ist, erkennt man unter anderem auch daran, wie er mit seinen Bürgern umgeht. (TS)