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"Erdgas gegen Menschen"

25. August 2003

Kritik an der Turkmenistan-Politik Moskaus

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Bonn, 22.8.2003, DW-radio / Russisch

Die vor wenigen Tagen verabschiedete neue Verfassung Turkmenistans enthält eine Bestimmung, die es den Einwohnern des Landes untersagt, eine doppelte Staatsbürgerschaft zu besitzen, was dem Dokument zufolge auf jeden ausländischen Staat zutrifft, somit auch auf Russland. In Moskau meint man, dass der turkmenische Präsident Saparmurat Nijasow auf diese Weise seine Entscheidung, die doppelte russisch-turkmenische Staatsbürgerschaft abzuschaffen, endgültig gesetzlich geregelt hat. Formal kann man an der neuen Verfassung Turkmenistans kaum etwas aussetzen. Dieser Meinung ist jedenfalls der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für GUS-Angelegenheiten der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Igrunow:

"Im Prinzip sehen die Normen, die Turkmenbaschi niedergeschrieben hat, so aus, wie sie auch von einem europäischen Staat hätten vorgeschlagen werden können. Wenn man von einem solchen Standpunkt ausgeht, kann man gegenüber Turkmenistan nichts beanstanden. Dort werden die Rechte der Bürger oder Einwohner des Landes deutlich geringer eingeschränkt als beispielsweise in Lettland oder Estland. Wenn man aus rein formaler Sicht alles betrachtet, dann gibt es keine besonderen Probleme. Es besteht ein anderes Problem: Diese Normen können in einem seit langer Zeit existierenden Staat funktionieren, beispielsweise in der Schweiz. In diesem Fall haben wir es aber mit einem Staat zu tun, der faktisch als Staat erst in der sowjetischen Zeit aufgebaut wurde. Tatsächlich pflegt ein bedeutender Teil der Bürger enge Beziehungen zu Russland und Hunderttausende Einwohner Turkmenistans waren vom Gesetz mit den Rechten der doppelten Staatsbürgerschaft abgesichert. Und plötzlich wurden ihnen diese Rechte rückwirkend genommen. Das verstößt natürlich gegen die Bürgerrechte der meisten dieser Menschen. Meiner Meinung nach ist ein solches Vorgehen unzulässig. Hier sind Druck und Maßnahmen seitens der Diplomatie notwendig, die, wie ich glaube, Turkmenbaschi völlig egal sind. Ich glaube, dass Russland über Wirtschaftssanktionen gegen Turkmenistan nachdenken muss. Ich befürchte, und das denken in Russland viele, dass das Erdgas wichtiger als die Rechte Hunderttausender Bürger ist."

Im Gespräch mit dem Korrespondenten der Deutschen Welle machte Wjatscheslaw Igrunow zum großen Teil auch russische Politiker und Diplomaten für die derzeitige Entwicklung in Turkmenistan verantwortlich:

"Man muss sagen, dass die bilaterale Kommission gutgelaunt hier eintraf. Der Abgeordnete Apatenko sagte sogar: ‚Was wollt Ihr? Das Wichtigste ist, den Lärm um all dies zu beenden. Dort ist alles gut und wunderbar. Es handelt sich um unbegründete Forderungen gegenüber Turkmenbaschi.‘ Wenn sich die bilaterale Kommission auf solche Weise äußert, dann, denke ich, haben wir es hier nicht nur mit dem zynischen Handel - Erdgas gegen Menschen - zu tun, sondern auch einfach mit gewöhnlicher Inkompetenz und der Tatsache, dass die nationalen Interessen nicht begriffen werden."

Es sei daran erinnert, dass Wjatscheslaw Igrunow über die Arbeit der bilateralen russisch-turkmenischen Kommission sprach, die gebildet wurde, um die Probleme zu lösen, die als Folge des einseitigen Vorgehens Aschgabads im Verhältnis mit den russischsprachigen Staatsbürgern Turkmenistans, die gleichzeitig Staatangehörige Russlands sind, entstanden. Die erste Sitzung dieser Kommission fand im Juli dieses Jahres in Aschgabad statt und über diese Sitzung sprach der russische Abgeordnete. Die zweite Sitzung soll im September in Moskau stattfinden. Was auf ihr erörtert werden soll, ist noch offen, da, nachdem die Abschaffung der doppelten russisch-turkmenischen Staatsbürgerschaft in Turkmenistan nun auch in der Verfassung festgeschrieben wurde, dieses Thema für die Verhandlungen gegenstandslos wird, meinen einige russische Menschenrechtler. (MO)