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DW: Schon drei Monate dauern die Proteste in Serbien. Es geht um den Einsturz des Vordachs am Hauptbahnhof in Novi Sad, bei dem fünfzehn Menschen ums Leben kamen. Wieviel Platz werden diese aktuellen Ereignisse in Ihrem Fortschrittsbericht für Serbien einnehmen, den Sie demnächst vorstellen werden?
Tonino Picula: Sicherlich müssen und werden die Ereignisse, die wir alle in Serbien verfolgen, ihren Platz in meinem Bericht finden, den ich gemeinsam mit anderen Kollegen aus anderen Fraktionen des Europäischen Parlaments erarbeite. Obwohl dieser Bericht die Entwicklung im Laufe des Jahres 2024 abdecken soll, glaube ich, dass dank der Ergänzungen, die die Kollegen hinzufügen werden, und wir erwarten viele davon, die jüngsten Ereignisse nicht übergangen werden, denn sie haben Relevanz.
Auf den Straßen kommt es immer häufiger zu körperlichen Angriffen auf Protestierende. So hat vor kurzem eine Gruppe junger Männer aus Räumen den regierenden Partei Studenten angriff. Trotzdem sieht es so aus, als hätte (Präsident) Aleksandar Vucic Unterstützung sowohl aus dem Osten als auch aus dem Westen - und dass die Reaktionen aus der Europäischen Union sehr leise sind. Warum ist das so? Was ist Ihr Eindruck?
Natürlich wundert mich die Unterstützung, die die Regierung in Belgrad aus Peking oder Moskau erhält, nicht. Wenn wir dagegen über die Reaktionen der Europäischen Union sprechen, da muss man etwas vorsichtiger sein. Üblicherweise wird die Europäische Union als einen einzigen politischen Akteur wahrgenommen, was ihre Institutionen angeht. Das ist aber nicht so. Innerhalb der Europäischen Union handeln vor allem der Europäische Rat, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament.
Die Proteste sind bisher eine innere Angelegenheit Serbiens - aber es gibt auch den Fall der 13 ausländischen Staatsbürgern, die aus Serbien abgeschoben wurden, weil sie - wie die Sicherheitsbehörden Serbiens sagten - die Sicherheit Serbiens und ihrer Bürger gefährden. Darunter sind auch Staatsbürger der Europäischen Union, Kroatiens und Rumäniens. Die einzelnen Länder haben zwar reagiert, aber erwarten Sie in diesem Fall eine Reaktion der EU?
Ich denke, dass war im Prinzip eine politisch motivierte Entscheidung gegenüber einer Gruppe von Aktivisten, die sich in Belgrad getroffen hatten. Ein Versuch seitens der Behörden, den Druck, der gerade auf ihnen lastet, zu verringern, denn sie (die Behörden) haben für Ereignisse in Serbien irgendwelche Machtzentren verantwortlich gemacht, die mit unsichtbarer Hand vom Ausland aus agieren.
Das stimmt natürlich nicht, denn wenn irgendjemand Serbien seit Jahren hilft, dann ist es die Europäische Union, die das Land mit sehr handfesten Mitteln aus ihren Fonds unterstützt und verschiedene Sektoren dort fördert. Die Botschaft, die mit der Festnahme und Ausweisung der Aktivisten gesendet wird, ist tatsächlich eine sehr schlechte, ja sogar feindselige Botschaft an die Europäische Union. Ich denke, die Europäische Union hätte darauf lauter reagieren müssen.