Ende einer Ära: Europas wackelige Sicherheitsstrategie
21. Februar 2025Fachleute sprechen vom Ende einer Ära: Es sieht ganz so aus, als hätten sich die USA, zumindest unter der Regierung von Donald Trump, von der Ukraine, wenn nicht gar von ganz Europa, abgewandt.
Erst verwies der US-Präsident vergangene Woche seine europäischen Partner auf die Zuschauerränge, als er telefonisch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Bedingungen für ein Ende des Krieges in der Ukraine sprach. Sein Vize J. D. Vance brüskierte die Europäer dann auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit einer Rede, in der er die gemeinsamen demokratischen Werte in Zweifel zog. Am Mittwoch bezeichnete Trump seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj als "Diktator ohne Wahlen" - nachdem er diesem zuvor bereits eine Mitschuld am Überfall Russlands auf die Ukraine gegeben hatte.
Die Verbündeten der Regierung in Kyjiw wiesen umgehend darauf hin, dass eine für April 2024 geplante landesweite Wahl durch den anhaltenden Krieg Russlands in der Ukraine unmöglich gemacht wurde, während Selenskyj selbst feststellte, Trump sei russischer Desinformation aufgesessen.
Doch es geht um mehr als den Austausch hitziger Worte. Drei Jahre nach der Ausweitung des russischen Einmarsch in die Ukraine setzt Trump Selenskyj unter Druck, den Krieg zu Bedingungen zu beenden, die für Kyjiw lange inakzeptabel waren. Über die Absprachen, die Trump und Putin getroffen haben, ist nur wenig bekannt. Wie es scheint, wird von der Ukraine erwartet, derzeit von Russland besetzte Gebiete abzutreten und auf eine Mitgliedschaft im Verteidigungsbündnis NATO zu verzichten.
Für die weitere militärische und finanzielle Unterstützung Washingtons verlangt der US-Präsident von der Ukraine außerdem die Übergabe wichtiger Rohstoffe im Wert von Milliarden Dollar.
Am Donnerstag, einen Tag, nachdem sich Vertreter der USA und Russlands unter Ausschluss der Ukraine und der europäischen Partner in Riad zu Gesprächen über ein Ende des Krieges getroffen hatten, besuchte Keith Kellogg, der US-Abgesandte für Russland und die Ukraine, die Hauptstadt Kyjiw.
EU muss sich mit dem möglichen Ernstfall auseinandersetzen
Für die Europäische Union ist es, als würde sie in ihrem schlimmsten Albtraum aufwachen. Jahrzehntelang gewährleistete der militärische Schutz der Vereinigten Staaten die Sicherheit des europäischen Kontinents. Nun wird er reduziert.
"Eine erzwungene Kapitulation der Ukraine würde die Kapitulation der gesamten westlichen Gemeinschaft bedeuten. Mit allen Konsequenzen, die sich aus dieser Tatsache ergeben. Und niemand soll so tun, als würde er das nicht sehen", schrieb der polnische Ministerpräsident Donald Tusk auf der Plattform X.
Ihr Ausschluss aus Verhandlungen, die sich direkt oder indirekt auf ihre eigene Sicherheit auswirken werden, stellt die Vertreter Europas vor die Frage, was sie tun würden, sähe sich Putin nach einem Sieg in der Ukraine ermutigt, ein weiteres europäisches Land - vielleicht sogar ein NATO-Mitgliedsland - anzugreifen.
Die Mitgliedsstaaten des Verteidigungsbündnisses haben sich verpflichtet, einander im Falle eines Angriffs zu verteidigen. Im schlechtesten Falle könnte Europa also in einen Krieg zwischen Russland und NATO-Verbündeten verwickelt werden.
"Genau wie angekündigt"
Schon lange haben Vertreter der EU befürchtet, dass eine zweite Amtszeit von Trump zur Belastungsprobe für die europäische Sicherheit werden könnte. "Bei der Umsetzung seiner Agenda mag Trump sprunghaft und chaotisch vorgehen, doch auf strategischer Ebene tut er ziemlich genau das, was er angekündigt hat", schrieb Nick Witney vom European Council on Foreign Relations am Donnerstag. "Seine Vorgehensweise in Bezug auf den Krieg in der Ukraine, die in den vergangen Tagen schonungslos deutlich wurde, steht völlig im Einklang mit seinem Verhalten und seinen Äußerungen in der Vergangenheit."
Was den Rückzug der USA betreffe, so seien die Warnzeichen schon lange erkennbar gewesen, sagte Benjamin Tallis vom Democratic Strategy Institute am Donnerstag im Gespräch mit der DW. "Das Ende der alten Weltordnung hat sich schon seit einiger Zeit abgezeichnet."
"Dies ist hoffentlich der Moment, in dem sich Europa endlich zusammenrauft, denn es ist klar, dass in den USA strategisch nicht viel passiert", sagte Tallis mit Blick auf die "unberechenbaren Ausbrüche" Trumps in den vergangenen Tagen. "Trotz des endlosen Geredes über Weckrufe war bei den meisten führenden europäischen Politikern nicht zu erkennen, dass sie ernsthaft etwas unternehmen würden." Dies scheine sich nun geändert zu haben, fügte Tallis hinzu und verwies auf die Ukraine-Beratungen, die der französische Präsident Emmanuel Macron am Montag in Paris einberufen hatte: "Europa hat eine Mission: sich zu ertüchtigen, und zwar schnell."
Eine europäische Friedenstruppe für die Ukraine?
In Europa wird nicht nur langfristig über die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und eine größere "strategische Autonomie" - der Begriff, mit dem Europa die Reduzierung seiner Abhängigkeit von den USA beschreibt - diskutiert. Kurzfristig werden auch Überlegungen darüber angestellt, ob Europa Truppen in die Ukraine entsenden soll, um eine mögliche Friedensordnung zu gewährleisten oder einen künftigen Angriff Russlands abzuwehren.
Die Vereinigten Staaten haben deutlich gemacht, dass sie dazu nicht bereit sind. Europäische Länder sprechen also verstärkt darüber, ob sie eine "Koalition der Willigen" bilden können. Britischen Medienberichten zufolge sind Großbritannien und Frankreich federführend an Bemühungen beteiligt, eine europäische Friedenstruppe von weniger als 30.000 Mann aufzustellen.
Wichtige Länder sind jedoch zurückhaltender. In Deutschland wird am Sonntag gewählt und selbst Polen, das zu Kyjiws engsten Verbündeten zählt, zögert, Soldaten in die Ukraine zu schicken.
Deutsche Wahlen bremsen europäische Entscheidungen aus
Während Deutschland in diesem entscheidenden Moment mit sich selbst beschäftigt ist, scheint Großbritannien die Herausforderung anzunehmen. Neben dem französischen Präsidenten Macron wird auch der britische Premier Keir Starmer kommende Woche zu Gesprächen in Washington erwartet.
Ein EU-Diplomat, der anonym bleiben will, berichtete der DW, in der EU wolle man abwarten, wer nach den Wahlen am Sonntag der neue Gesprächspartner in Deutschland werde. Bisher sieht es so aus, als würde Kanzler Olaf Scholz von der SPD abgelöst vom Christdemokraten Friedrich Merz.
Noch ist nicht klar, welche Parteien eine Regierungskoalition bilden werden. Wie diese aussieht, könnte weitreichende Folgen für die deutsche Haltung zur Ukraine haben, denn die führenden Parteien haben unterschiedliche Ansichten darüber, wie die Beziehungen gestaltet werden sollen.
Zu Beginn der Woche warnte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, für Gespräche über eine Friedenstruppe sei es noch zu früh. "Wenn wir über Friedenstruppen sprechen, dann tappen wir in die russische Falle, denn Russland will keinen Frieden", sagte sie am Dienstag in einem Gespräch mit dem europäischen Nachrichtenportal Euractiv. "Zuerst müssen wir Druck auf Putin ausüben, damit er sich in Richtung Frieden bewegt."
Rose Birchard und Anchal Vohra haben zu diesem Bericht beigetragen.
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.