Ekrem Imamoglu & Co: Politische Gefangene in der Türkei
24. März 2025Ekrem Imamoglu
Er gilt als modern und redegewandt, als politische Figur, die versucht, auch Gegner einzubinden und auf sie zugeht, statt zu spalten. Vielleicht ist es auch dieser für die Türkei doch eher ungewöhnliche Politikstil, der dem 53-Jährigen über die Grenzen seiner eigenen Partei hinaus zu großer Beliebtheit verholfen hat. Seine CHP, die größte Oppositionspartei des Landes, hat Ekrem Imamoglu zu ihrem Präsidentschaftskandidaten gekürt - trotz seiner Verhaftung wegen Korruptionsvorwürfen und Terrorverdachts. Die Wahlen finden regulär zwar erst in drei Jahren statt; eine Verurteilung könnte aber schon jetzt dafür sorgen, dass Präsident Erdogans schärfster Konkurrent von ihnen ausgeschlossen wird. Imamoglus Festnahme und die richterliche Anordnung zur Untersuchungshaft haben die größten Oppositionsproteste in der Türkei seit den sogenannten Gezi-Protesten des Jahres 2013 ausgelöst. Trotz massiven Polizeiaufgebots gingen Zehntausende Menschen landesweit auf die Straße.
Osman Kavala
Es waren genau diese Gezi-Proteste, die den türkischen Kulturmäzen und Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala im Jahr 2017 hinter Gitter brachten. Fast drei Jahre lang saß er in Untersuchungshaft, weil die Justiz ihn beschuldigte, die Demonstrationen organisiert zu haben, an denen 2013 mehr als 3,5 Millionen Menschen teilgenommen hatten. Ursprünglich hatten sich die Proteste gegen ein umstrittenes Bauprojekt im Istanbuler Gezi-Park gerichtet. Nach einem gewaltsamen Polizeieinsatz gegen die Protestierenden hatten sie sich aber schnell zu landesweiten Demonstrationen gegen die als autoritär empfundene AKP-Regierung ausgeweitet.
Im Februar 2020 wurde Kavala mangels Beweisen überraschend freigesprochen - allerdings nur für kurze Zeit. Schon wenige Stunden später erließ die Staatsanwaltschaft Istanbul einen neuen Haftbefehl gegen ihn - dieses Mal mit der Begründung, Kavala hätte sich am Putschversuch in der Türkei 2016 beteiligt. Diese Anklage wurde zwar später fallengelassen, dennoch wurde Kavala im April 2022 wegen versuchten Umsturzes der Regierung im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten von 2013 zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit der Bewährung verurteilt.
Can Atalay
Zusammen mit Kavala stand auch der türkische Menschenrechtsanwalt Can Atalay vor Gericht: Wegen "Beihilfe zum versuchten Umsturz" verbüßt er derzeit eine 18-jährige Haftstrafe im Istanbuler Marmara-Gefängnis. Als Anwalt hatte Atalay zuvor mehrfach Betroffene verschiedener Grubenunglücke sowie Journalisten und Schriftsteller im Kampf um Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit vor Gericht vertreten. Er vertrat auch eine Bürgerrechtsorganisation, die sich gegründet hatte, um gegen die Baupläne im Gezi-Park vorzugehen. Trotz seiner Verurteilung stellte die türkische Arbeiterpartei ihn für die Parlamentswahlen im Jahr 2023 als Kandidat auf. Atalay errang auch ein Abgeordnetenmandat, jedoch wurde ihm dieses Anfang 2024 entzogen, was zu heftigen, aber erfolglosen Protesten der Opposition im türkischen Parlament führte. Die gleiche Haftstrafe wie Atalay erhielten auch seine sechs Mitangeklagten Mücella Yapıcı, Çiğdem Mater, Hakan Altınay, Mine Özerden, Yiğit Ali Ekmekçi und Tayfun Kahraman.
Selahattin Demirtas
Der 51-jährige Demirtas ist einer der bekanntesten kurdischen Politiker der Türkei. Als ehemaliger Co-Vorsitzender der pro-kurdischen Partei HDP trat er bei der Präsidentschaftswahl 2014 gegen Amtsinhaber Erdogan an. Bei der ein Jahr später folgenden Parlamentswahl errang seine Partei einen Achtungserfolg und zog als drittstärkste Kraft ins Abgeordnetenhaus ein. Kurz darauf leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Demirtas ein. Die Anklage behauptete, er habe bewaffnete Proteste gegen den türkischen Staat angefacht, weil dieser im Nachbarland Syrien tatenlos zugeschaut habe, als die Terrororganisation "Islamischer Staat" die kurdische Grenzstadt Kobane einnahm.
Im November 2016 wurde Demirtas wegen angeblicher Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation verhaftet. Gemeint ist die Kurdische Arbeiterpartei PKK, die auch in Deutschland und anderen Staaten als Terrororganisation gilt. Demirtas hat seine Mitgliedschaft stets bestritten.
Wie auch im Fall Osman Kavala urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, dass Demirtas' Haft unrechtmäßig sei und verlangte dessen sofortige Freilassung. Aber ebenso wie bei Kavala folgte die Türkei dem Richterspruch nicht: Im Mai 2024 wurde Demirtas unter anderem wegen seiner angeblichen Rolle bei den Kobane-Protesten zu 42 Jahren Haft verurteilt.
Figen Yüksekdag
Insgesamt waren in diesem Prozess 108 Menschen angeklagt worden; nur wenige von ihnen wurden freigesprochen. Zu den bekanntesten Mitverurteilten gehört Figen Yüksekdag. Sie hatte 2014 gemeinsam mit Demirtas den Vorsitz der HDP übernommen, gegen die seit vier Jahren ein Parteiverbotsverfahren läuft. Kurze Zeit später hatte Yüksekdag Erdogan 2015 im Zusammenhang mit türkischen Militäreinsätzen in Nordsyrien scharf kritisiert: Die Türkei habe dort nicht etwa den "Islamischen Staat" bekämpft, sondern dessen Vorgehen gegen die kurdischen Kräfte unterstützt. Diese Vorwürfe erhob Yüksekdag nicht allein. So berichtete etwa auch Can Dündar über türkische Waffenlieferungen an islamistische Extremisten in Nordsyrien. Der türkische Journalist saß zwischenzeitlich ebenfalls in Haft und lebt heute in Berlin im Exil.
Nach einem längeren Ermittlungsverfahren wurde Yüksekdag Ende 2016 festgenommen, im Sommer 2017 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Ihr wurde unter anderem Propaganda für die nordsyrische Kurden-Miliz YPG vorgeworfen, die von der türkischen Regierung als terroristisch eingestuft wird. Im Mai 2024 wurde sie zu 30 Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.
Zehntausende weitere politische Häftlinge?
Dies sind nur die prominentesten Beispiele einer Vielzahl von Häftlingen in der Türkei, die Regierungskritikern als "politische Gefangene" gelten. Insgesamt sitzen in keinem anderen der 46 Mitgliedsländer des Europarates so viele Menschen in Haft wie in der Türkei. Zählte das Land im Jahr 2000 noch knapp 50.000 Inhaftierte, waren es 2023 schon rund 350.000.
Unklar ist, wie viele dieser Inhaftierten politische Gefangene sind, also Menschen, die nur oder vor allem deshalb im Gefängnis sitzen, weil sie der Regierung oder ihr nahe stehenden Organisationen oder Personen unbequem sind. Menschenrechtsorganisationen zufolge sind es Zehntausende.
Besonders große Verhaftungswellen gab es rund um die Gezi-Park-Proteste 2013 und nach dem gescheiterten Putschversuch 2016, für den Ankara eine Bewegung des inzwischen in den USA verstorbenen Fethullah Gülen verantwortlich macht. Aber auch im Zuge der jüngsten Proteste rund um die Verhaftung Ekrem Imamoglus sollen bereits mehr als 1100 Menschen festgenommen worden sein.