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Einigkeit nur in der Kritik an der UN-Verwaltung im Kosovo

17. Juni 2003

– Der Bürgermeister von Mitrovica, Faruk Spahiu, und der kosovo-serbische Politiker Oliver Ivanovic im Gespräch mit der Deutschen Welle

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Köln, 17.6.2003, DW-radio / Albanisch, Esat Ahmeti

Deutsche Welle

: Wodurch waren die vier Jahre seit dem Krieg in Kosovo und besonders in Mitrovica gekennzeichnet?

Spahiu

: Die Kosovaren waren in dieser Zeit hauptsächlich mit dem Wiederaufbau Kosovas, des Landes und der Institutionen beschäftigt, dazu gehört auch Mitrovica. Unter anderem waren sie sehr bemüht, politische Stabilität zu erreichen und die demokratische Ordnung aufzubauen, damit die Kosovaren ein sicheres und ruhiges Leben mit einer Perspektive für wirtschaftliche Prosperität führen können. Und ich glaube, dass sie das in großem Maße erreicht haben. Es gab aber auch Schwierigkeiten in diesen vier Jahren und Missverständnisse in der Zusammenarbeit mit der UNMIK. Ein Teil von deren Vertretern ist mit Vorurteilen zu uns gekommen und es kostete Energie und Zeit, diese Missverständnisse aus der Welt zu schaffen. Wichtig aber ist, dass insgesamt alles voran geht und wir gute Nachrichten für unsere Freunde in der Welt hatten.

Ivanovic

: Ich sehe diesen Zeitraum als eine sehr schwierige Zeit, in der wir am meisten damit beschäftigt waren, unsere Leute hier zu halten und zu ermutigen, das Territorium Kosovos nicht zu verlassen. Dabei hatten wir aber nicht genug Erfolg. Im Norden von Mitrovica haben wir es geschafft, eine große Zahl von Serben zu halten und das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. In anderen Teilen (Kosovos) aber nicht. In diesen vier Jahren waren wir damit beschäftigt, zu beweisen, dass die Serben das Recht haben zurückzukehren, und das sollte das Hauptziel sein. Zumindest wurde in der Resolution 1244 der Vereinten Nationen proklamiert, eine multiethnische Gesellschaft aufzubauen. Wir Serben müssen in dieser Gesellschaft unseren Platz haben. Ich bin nicht sehr sicher, ob wir in dieser Frage Erfolg hatten. Was die UNMIK betrifft, bin ich der gleichen Meinung wie Herr Spahiu. Diese Menschen sind zu uns mit fertigen Vorurteilen gekommen. Sie sind aus Ländern gekommen, wo sie viele negative Erfahrungen hatten, so z. B. aus Bosnien, das ein ganz anderes Problem ist als hier, und sie versuchten mit den gleichen Rezepten, die hiesigen Probleme zu lösen.

Deutsche Welle

: Was muss die albanische Seite tun, damit die Bürger von Mitrovica ein normales Leben führen können und die Stadt wieder vereinigt ist, so wie vor dem Krieg?

Ivanovic

: Es ist schwierig, dass die Stadt für die, die hier leben, wieder so normal wird, wie sie früher war. Tatsächlich ist Mitrovica richtig geteilt. Im Jahre 1999 mussten wir dem euphorischen und aggressiven Ansturm der Albaner widerstehen und haben die Flüchtlingsströme nicht nur aus dem Südteil der Stadt, sondern auch aus anderen Städten, wie Vucitrn (alban. Vushtrri – MD), Pristina, Pec (Peja – MD), Istok (Istog – MD) usw. erlebt. Viele der Flüchtlinge sind hier geblieben, nachdem die Bedingungen für ihr Bleiben geschaffen wurden, denn es war ja nicht ihr Wille, Kosovo zu verlassen. Ich bin der Meinung, dass diese Euphorie langsam zurückgegangen ist, aber völlig verschwunden ist sie nicht. Es ist einfach: Kosovo gehört nicht nur einer ethnischen Gemeinschaft. Wir sind hier viele. Und das müssen die Albaner verstehen. (...)

Spahiu

: In Zusammenarbeit mit dem Stadtrat, das heißt mit den legitim gewählten Strukturen in Mitrovica, versuchen die Bürger so viel wie möglich allen historisch hier ansässigen Volksgruppen Integrationsmöglichkeiten anzubieten, und das heißt auch den Serben. Das wird in hohem Maße realisiert. Im Kulturhaus ist eine gute Atmosphäre geschaffen worden. Dort wurden allein im vergangenen Jahr mehr als 100 multiethnische Projekte durchgeführt. Der Trend geht in diesem Jahr weiter. Natürlich reicht das nicht und das Spektrum der gemeinsamen Veranstaltungen soll erweitert werden, damit die Menschen zusammenkommen. Ich merke aber, dass die jungen Leute viel freier sind und leichter zusammenarbeiten können. (...) Wir sind am Anfang unseres Projekts, die Sporthalle gemeinsam zu nutzen, und die Infrastruktur für gemeinsame Aktivitäten wird immer mehr erweitert und wird bei der Annäherung der Volksgruppen hilfreich sein. Das ist der Wille der allermeisten Bürger Mitrovicas.

Ich denke aber, dass die Leute in Mitrovica viel mehr ihre Stimme dafür erheben sollen, dass in der Stadt mal endlich wirtschaftlich etwas gemacht wird. Das wäre eine natürliche Möglichkeit, dass die Leute durch die ihre Bemühungen, ihre Existenz zu bestreiten, einander näher kommen. Diese Möglichkeit ist bis jetzt von der UNMIK und anderen Institutionen nicht beachtet worden, mit verschieden Vorwänden, so z. B. dass die Eigentumsfrage nicht gelöst worden ist. Es gab bis jetzt keine Investitionen und keine Nutzung der vorhandenen Ressourcen, auch in den Gebieten, die für alle Volksgruppen frei zugänglich sind. Ich glaube, dass es keine Sicherheitsprobleme für die Anfahrt der Arbeiter und ihren Aufenthalt gäbe.

Deutsche Welle:

Was müssen dann die Serben machen, damit Mitrovica wieder vereint ist?

Spahiu

: Ich denke, dass sie erst mal deutlich kosovarischen Patriotismus zeigen sollen. So viel sie können, sollten sie sich von dem Einfluss aus Belgrad lösen, weil, so denke ich, Belgrad sie nur für politischen Profit ausnutzt und sich nicht um ihre Sorgen kümmert. Sie sollen mehr Engagement zeigen und den Mut haben, sich neue Führer zu wählen, die in der Lage sind, ihre Interessen gut zu vertreten. Ich glaube, dass ein großer Teil der Serben Mitrovicas die Politik ihrer jetzigen politischen Führer, die nicht in einem demokratischen Prozess legitimiert wurden, satt haben.

Ivanovic

: Ich denke, dass die Serben etwas mehr Bereitschaft zeigen müssen, an einem Dialog teilzuhaben. Die Verantwortung fällt aber nicht auf die Serben. Wir sind zahlenmäßig viel weniger als die Albaner, und ich glaube, in solchen Situationen ist es die Mehrheit, die dafür sorgen muss, dass wir gleichberechtigt behandelt werden. Sie müssen uns auch die Bedingungen schaffen für das, was heute lebenswichtig ist. Ich möchte sagen, dass das erste, was die Albaner verstehen sollen, ist: So wie sie vor den NATO-Bombardements im Jahr 1999 gelitten haben, so sollten sie sich die Periode nach dem Jahr 1999 für die Serben vorstellen. Ich möchte keine Zahl nennen, aber wahr ist, dass es Verfolgungen gab, Morde, Geiselnahmen, verbrannte Immobilien usw. All dies ist auch vom Internationalen Roten Kreuz dokumentiert worden. Rache kann nicht Rechtfertigung und nicht die Reaktion eines zivilisierten Menschen sein. Die Rache ist eine primitive Antwort. Eine andere Frage ist, welche Lösung der Status Kosovos haben wird. Die Albaner wollen die Unabhängigkeit, aber die Serben sehen das anders. Diese Differenz hilft nicht dem Frieden in der Region.

Deutsche Welle:

Denken Sie, dass Mitrovica geopfert werden könnte, damit die Kosovo-Frage eine Lösung bekommt?

Spahiu:

Dass muss nicht passieren. Für die Lösung der Mitrovica-Frage möchte ich betonen, dass die UNMIK-Verwaltung und Herr Steiner weiter grobe Fehler machen. Herr Steiner verlangt mit lauter Stimme "Standards vor Status", aber er sollte vorher wissen, dass er nicht mal das Minimum erreicht hat, nämlich die Ausweitung der Jurisdiktion der UNMIK auf das ganze Territorium von Kosova. Und all diese gestellten Forderungen uns gegenüber sind absurd und widersprüchlich. So soll erst einmal Herr Steiner dieses wichtige Ziel erreichen, das Gesetz überall nach Kosova und auch nach Mitrovica zu bringen, in den Norden Kosovas zu bringen, und dann kann er seine Forderungen laut äußern.

Ivanovic

: Nein. Mitrovica soll nicht geopfert werden und es wird nicht dazu kommen. Eines ist aber sicher: Mitrovica ist nicht ein isoliertes Problem. Das bedeutet, dass man nicht das Problem von Mitrovica lösen soll und darüber Pristina, Gnjilane, (alban. Gjilan – MD), Pec, Urosevac (alban. Ferizaj – MD) vergessen. Wie Sie wissen, waren die Städte vor dem Jahr 1999 nicht geteilt und die Verkehrsverbindungen waren multiethnisch. Es war wahrscheinlich nicht perfekt, aber die Menschen waren zusammen. Wir alle sprechen über eine Integration der Stadt. Ich würde vorschlagen, dass das gleiche Konzept auch auf die oben genannten Städte angewendet werden sollte. Pristina ist nicht geteilt, aber ehrlich gesagt, hätte ich gern so etwas akzeptiert, wenn die Serben da geblieben wären. Früher waren 26 000 Serben da, jetzt sind es nur 200. (MK)