Eine neue Form der Spionage?
9. Juni 2004Bonn, 9.6.2004, DW-RADIO / Russisch, Olja Melnik
Jungen russischen Journalisten, die ein Stipendium in Deutschland erhalten haben, steht nach ihrer Rückkehr in die Heimat häufig ein Besuch vom russischen Geheimdienst FSB bevor. Viele von ihnen werden regelmäßig von FSB-Beamten über ihren Deutschland-Aufenthalt ausgehorcht. Die ehemaligen Stipendiaten müssen in allen Einzelheiten über das berichten, was sie in Deutschland erlebt haben. Der russische Geheimdienst bedient sich dieser jungen Leute, um an neue und interessante Informationen zu kommen. Eine neue Form der Spionage? Olja Melnik über den Missbrauch angehender russischer Eliten.
Von 100 Stipendiaten, die im Rahmen des Programms "Journalisten International" ihr Praktikum bei deutschen Medien absolviert haben, wurden mindestens 10 zu einem vertraulichen Gespräch mit den Vertretern des russischen Geheimdienstes einbestellt, wie der Leiter des Programms, Günther von Lojewski, erzählt:
"In einem Falle war das bis zu acht Mal. In einem anderen Fall ist auch zeitweise der Personalausweis einbehalten worden. Sie werden gefragt nach dem Inhalt des Programms. Wir selbst haben kein Problem, jedermann zu sagen, was wir hier mit den jungen Studenten machen. Wir haben ein Seminarprogramm, mit dem wir über Deutschland informieren, über die deutsche Geschichte, Kultur, Demokratie, den Sozialstaat, die Wirtschaft, über Europa. Natürlich auch über die Rolle der Medien in der Demokratie. Und da gibt es in Russland im Augenblick ein paar Sorgen, dass man sich um die Freiheit der Medien Gedanken machen muss."
Durch das Anfragen ehemaliger Stipendiaten will der russische Geheimdienst möglichst viele Informationen bekommen. Die Palette der Fragen ist breit gefächert: Vom Inhalt des Programms bis zu seinen Teilnehmern. Als eine solche Informationsquelle wurde auch Aleksandr Nikandrow benutzt, der 2002 im Rahmen des Journalisten-Stipendiums in Deutschland war.
Nikandrow:
"Kurz nach meiner Rückkehr bekam ich einen Anruf von einem FSB-Beamten. Dieser lud mich zu einem Treffen ein. Wir trafen uns in einem Cafe und unterhielten uns. In erster Linie informierte er sich über die russischen Teilnehmer des Programms. Ich wurde auch kurz über das Programm befragt, aber das interessierte den Beamten offensichtlich etwas weniger. Er wollte eher wissen, was wir in unserer Freizeit gemacht haben. Ich gab ihm keine tiefgründigen Antworten. Meiner Meinung nach war das Ziel dieses Treffens eine Bekanntschaft mit dem Journalisten zu machen, der im Ausland war. Ganz nach der Tradition aus sowjetischen Zeiten. Damals hat sich bei jedem Auslandsreporter ein Mitarbeiter des Geheimdienstes vorgestellt. Diese Tendenz bleibt auch heute in Bezug auf russische Journalisten bestehen."Ein anderer Teilnehmer des Programms "Journalisten International", Sergej S., der seinen Namen nicht nennen wollte, findet die Taktik der FSB-Beamten sehr seltsam:
"Ich selbst wurde zu einem solchen Gespräch nicht eingeladen. Eingeladen wurden aber andere Stipendiaten meines Jahrgangs und einige meiner Kollegen. Man horchte sie unmittelbar über mich aus, über meinen Deutschland-Aufenthalt, mit wem ich mich dort unterhalten habe, wen ich traf usw. Wobei sie mehrere Male eingeladen wurden und immer dieselben Fragen beantworten mussten."
Ein weiterer junger Journalist aus Rjasan, Oleg Korotkij, musste gleich viermal von seinen Erfahrungen berichten, die er während seines Stipendiums in Deutschland gesammelt hat.
"Neben meiner Arbeitsstelle gibt es eine Grünanlage mit Bänken. Einmal saß ich dort mit meinen Kollegen und unterhielt mich mit ihnen. Da kam auf mich ein Mann zu, zeigte auf seinen Wagen, der auf der anderen Straßenseite stand, und wollte, dass ich mitkomme. Er wollte wissen, was konkret ich in Deutschland gemacht habe, warum ich überhaupt eingeladen wurde. Ich sagte ihm: 'Verstehen Sie, ich habe dort Erfahrungen gesammelt, mich mit den deutschen Kollegen unterhalten, mit den Leuten, die meine berufliche Zukunft irgendwie beeinflussen können. Ich wollte wissen, wie es dort in Deutschland ist.' - 'Und hatten Sie hier keine Ruhe? Gibt es denn hier in Russland nichts, was Sie weiterbringen kann?' Und so weiter. Die Fragen waren banal ohne jeden Hintergrund. Es war so, dass ich ein und dieselbe Geschichte mehrmals erzählen musste. Ich habe zwei Mal einen Spaziergang mit einem der FSB-Mitarbeiter gemacht und zweimal wurde ich sogar ins Büro eingeladen. Dort wurde das Gespräch aufgezeichnet."
Im Umgang mit dem russischen Geheimdienst ist Oleg Korotkij ein interessantes Detail aufgefallen:
"Einmal rief bei meinem Sender ein Hörer an und beschimpfte mich ohne jeden Grund. Er belästigte mich so einige Tage, dass ich beschloss, meine angeblichen Freunde aus dem Geheimdienst um Rat zu bitten, wie ich mich in einer solchen Situation als Programmdirektor verhalten soll. Als ich beim FSB anrief, wurde mir gesagt, dass keiner der vier Beamten, die mich unabhängig voneinander befragt haben, mehr dabei sei. Ein solcher Personalwechsel ist für diese Organisation äußerst untypisch. Das heißt, die Operation ist zu Ende, wir wollen nichts mehr von Ihnen wissen, und verstehen nicht, warum Sie hier überhaupt anrufen. Offensichtlich hat jemand von oben auf einen Knopf gedrückt und gesagt, jetzt reicht es."
Es gibt viele vergleichbare Fälle. Nur wenige Journalisten haben den Mut, darüber offen zu erzählen. Die meisten ziehen es vor, zu schweigen oder anonym zu bleiben. Sie haben Angst vor möglichen Konsequenzen, die für ihr Schicksal entscheidend sein können. Sie bangen um ihre Familien, ihre Arbeit und wollen die Begegnung mit den FSB-Beamten aus ihrem Gedächtnis einfach verschwinden lassen.
Diese Methoden der Informationsgewinnung vom FSB findet der Leiter des Stipendien-Programms "Internationale Parlamentspraktika", Wolfgang Börnsen, besorgniserregend. Seit 15 Jahren bietet dieses Programm jungen, talentierten Russen die Möglichkeit, in die Arbeit des Deutschen Bundestages einzutauchen.
Börnsen:
"Es kann das ganze deutsch-russische Programm in Frage stellen und ich empfinde es persönlich als höchstproblematisch, wenn man sich der jungen Leute bedient, um neue interessante oder bisher noch nicht vernommene Informationen zu erhalten. Ein Missbrauch junger Leute ist nicht vertretbar. Das Parlamentspraktika-Programm richtet sich an die jeweilige Elite des Landes. Und es schadet natürlich ihrer Karriere, wenn sie zurückkommen nach Russland, dann wird sie keiner mehr einstellen wollen. Darüber hinaus ist es ein Vollstipendium und kostet den deutschen Steuerzahler eine ganze Menge Geld. Es fußt auf der Bereitschaft von Kollegen des Deutschen Bundestages, Praktikanten an alle Informationen heranzulassen, sie als gleichwertige Mitarbeiter im Büro zu akzeptieren. Und jetzt das gewissermaßen von uns finanzierte Programm zu benutzen, um Spionage zu betreiben, ist wirklich der Gipfel der Unverschämtheit."Wolfgang Börnsen hat sich zum Ziel gesetzt, dieser Entwicklung ein Ende zu setzen. Vor einer Woche hat er einen entsprechenden Brief an Außenminister Joschka Fischer gerichtet:
Börnsen:
"Ich will der Sache auf den Grund gehen. Ich will wissen, welche offizielle Haltung die russische Regierung hat. Ich bin da zu allem bereit. Ich möchte nicht, dass diese Programme sterben aufgrund solcher Machenschaften, und die deutsche Wirtschaft ist jetzt genauso sensibilisiert. Sie macht Wirtschaftsseminare für junge Russen. Auch bei denen klingelt die Alarmglocke. Sie können keine Betriebsspionage zulassen. Alles ist jetzt unter dem Makel der Betriebsspionage zu sehen. Und Konsequenz wird sein, dass alle diese Programme irgendwann zu Ende gehen. Ganz plötzlich sogar. Das ist eigentlich für das, was wir vorhaben, nicht gut. Mann kann solche Programme nicht vertreten, wenn man nicht durch absolute Vertraulichkeit mit den Stipendiaten verbunden ist." (lr)