Dusan Janjic: Beide Seiten im Kosovo müssen einen historischen Schritt machen
20. Juni 2003Anzeige
Köln, 17.6.2003, DW-radio / Albanisch, Bahri Cani
Frage:
Was sind die Hauptcharakteristiken der vier vergangenen Jahre im Kosovo?Antwort
: Das Hauptcharakteristikum ist die stufenweise Erhöhung der Stabilitätsstufe und der Sicherheit der gesamten kosovarischen Gesellschaft, was in erster Linie mit dem Aufbau der Institutionen (...) zu tun hat. Andererseits gibt es auch die internationale Präsenz, die eine positive Rolle hinsichtlich der Sicherheit und des wirtschaftlichen Wiederaufbaus spielt. Die negative frustrierende Seite ist jedoch: alle Akteure der Krise, die serbische und die albanische Seite, erleben die Internationalen (Vertreter) in gewisser Weise als einen Faktor, der die Entwicklung letztendlich behindert. Drittens: Auf beiden Seiten ist ein außergewöhnlicher Einfluss der extremistischen Gruppen vorhanden. Dennoch denke ich, dass das Hauptproblem im Kosovo die schwere wirtschaftliche Lage ist. Die albanische Gesellschaft ist stark zerstört worden, erstens als Folge der zehnjährigen Diktatur und später durch Krieg und Vertreibung. Die albanische Gesellschaft befindet sich nun in einer Phase der Neustrukturierung und ich denke, dass eine lange Zeit für die Stabilisierung der sozialen Lage im Kosovo nötig ist.Frage
: Welche sind die Hauptprioritäten für das heutige Kosovo?Antwort
: Priorität Nummer eins ist die Stärkung der Institutionen der Selbstverwaltung. Zweitens, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Korruption. Und drittens der wirtschaftliche Wiederaufbau. An vierter Stelle können politische Angelegenheiten angeführt werden, die für den Schutz der Interessen der ethnischen Gemeinschaften wichtig sind.Frage:
Wann kann mit einem Dialog zwischen Prishtina und Belgrad gerechnet werden und welche Probleme können diese beiden Seiten in einem direkten Dialog lösen?Antwort
: Es gibt zwei Arten von miteinander verbundenen Problemen, einmal die Alltagsdinge, wie etwa Dokumente, elektrische Energie, Kommunikation, Autokennzeichen und dann die Frage des Status des Kosovo und der Menschen in diesem Land. Die Verhandlungen müssen so schnell wie möglich beginnen, aber sie müssen sehr gut und seriös vorbereitet werden. Ich denke, dass dies nächstes Jahr geschehen wird.Frage:
Glauben Sie, dass die albanische und die serbische Seite einen Dialog zur Lösung der konkreten Fragen führen können?Antwort
: Persönlich denke ich, dass es unmöglich ist, dass direkte Gespräche geführt werden. Die Gespräche müssen in einigen Stufen entwickelt werden: in erster Linie zwischen der albanischen und der serbischen Bevölkerung im Kosovo und dann zwischen Prishtina und Belgrad, aber unter Beteiligung der Internationalen Gemeinschaft. Die Internationale Gemeinschaft muss in zwei Richtungen tätig sein: durch die UNMIK und durch den Sicherheitsrat der UNO. Es ist nicht realistisch, einen direkten Dialog zu erwarten. Wenn es eine solche Möglichkeit gegeben hätte, hätten wir sicherlich keinen Krieg gehabt.Frage
: Wann wird damit begonnen, sich mit der Frage des Status des Kosovo zu befassen?Antwort
: Ich glaube, damit ist schon lange begonnen worden, und darin liegt die Essenz der Krise. Diese Fragen sind Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre zu sehr öffentlich manifestiert worden, insbesondere in der Verfassung von Kacanik, in der Verfassung von Milosevic und natürlich im (international nicht anerkannten, albanischen – MD) Referendum im Kosovo. Also ist die Frage aufgeworfen worden. Aktuell haben wir eine vorübergehende internationale Verwaltung und es stellt sich die Frage, wann man in die neue Phase des Status übergehen wird. Ich glaube, dass dies in zwei, drei Jahren geschehen wird. Aber es entscheidet sich auch heute, ob der Kosovo unabhängig sein wird oder nicht. Was die Abschlusskonferenz zur Lösung des Status angeht, wäre mein Vorschlag, sie nächstes Jahr abzuhalten. Sie muss eine Konferenz sein, die auch die Methodologie der Verhandlungen über eine Unabhängigkeit oder eine andere Option beschließen würde. In der Zwischenzeit würden sehr präzise bindende Zusagen über die Lösung der konkreten Probleme vorgelegt.Frage
: Herr Janjic, die serbische Seite behauptet, dass das Kosovo Serbien gehören muss, während die albanische fordert, dass es unabhängig sein muss. Welchen Status wird das Kosovo ihrer Meinung nach haben?Antwort:
Dies sind aktuelle Positionen, aber ich glaube, dass beide Seiten einen historischen Schritt machen müssen: Für die serbische Seite bedeutet dies, Land für eine wirtschaftliche Entwicklung, während es für die albanische Seite heißt, heute Stabilität und Demokratie zu bekommen und dafür die Unabhängigkeit auf morgen zu verschieben. Ich glaube, dass die Frage in zwei bis drei Jahren gelöst sein und dass die entgültige Lösung die Unabhängigkeit des Kosovo sein wird. Welche Außengrenzen und welche Innenstruktur es haben wird, müssen die lokalen Akteure entscheiden.Frage
: Glauben Sie, dass man auf einer Teilung des Kosovo und einer Änderung der Außengrenzen beharren wird?Antwort
: Ich glaube, dass die Teilung die letzte Lösung ist und die schlechteste. Falls innerhalb des Kosovo die nötigen Garantien für die Sicherheit aller Bürger erreicht werden, gäbe es keinen Grund für die Teilung des Kosovo, aber sicherlich sollten die Grenzen geöffnet werden und es sollte eine Zusammenarbeit untereinander geben. (Interview: Bahri Cani) (MK)Anzeige