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US-Zölle: Deutschland vor Zeitenwende in der Wirtschaft

Dirk Kaufmann
9. April 2025

Eine Woche nachdem Donald Trump die Staaten benannt hat, denen er mit drastischen Strafzöllen droht, ist klar: Der Welt wird eine neue Handelsordnung aufgezwungen - auch Deutschland.

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Die US-Flagge vor einem grauen Himmel über stillstehenden Hafenkränen in Long Beach, Kalifornien
Stillstehende Hafenkräne in Long Beach, Kalifornien - ein aktuelles Symbol für den aktuellen US-AußenhandelBild: Mark Ralston/AFP

Protektionismus ist nichts Neues. Auch in Deutschland nicht: 1885 etwa erließ der Reichstag unter Reichskanzler Otto von Bismarck Schutzzölle für Weizen. Die erstarkte Bauernvertretung im Parlament hatte das durchgesetzt, um gegen billigere Importe bestehen zu können. Damals hatte das nicht funktioniert.

Der jetzige US-Präsident hat bekanntermaßen seinen ganz eigenen Blick auf die Geschichte. Er läutet eine neue Ära des Protektionismus ein und will die größte Volkswirtschaft der Welt durch eine aggressive Zollpolitik abschotten und beschützen. Ob es diesmal funktioniert?

Panik an den Börsen

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-Bank, konstatiert ernüchtert: "Die meisten westlichen Volkswirtschaften haben ihren Wohlstand zu einem großen Teil dem freien Handel zu verdanken. Das wird jetzt zurückgedreht und es dauert eine Zeit, bis wir ein neues Gleichgewicht sehen."

Spontane Reaktionen sind sinnlos

Dazu kommt: Wer genau und in welcher Höhe mit welchen Zöllen konfrontiert wird, ist auch nach einer Woche noch nicht ganz klar. Sofort Gegenzölle anzudrohen hält Brzeski für gar keine gute Idee. Der DW sagte er: "Auf Trump zu reagieren hat aktuell wenig Sinn. Dafür ist die Politik zu erratisch."

Der 8. April an der New Yorker Börse: Händler vor Computern zwischen Hoffen und Bangen
Der 8. April an der New Yorker Börse: Hoffnung auf Erholung nach den desaströsen Verlusten vom MontagBild: Angela Weiss/AFP

Die Europäische Union hat das aber schon mal angetestet und ganz konkret mit Gegenzöllen gedroht, etwa auf Motorräder und Bourbon-Whiskey. Letzteren hat man aber wieder von der Liste gestrichen, nachdem es aus Washington hieß, man könne ja auch italienischen Rotwein ins Visier nehmen.

China ist das (Haupt-)ziel

Ein Blick auf die Zoll-Liste des Präsidenten verrät, auf wen es Trump besonders abgesehen hat, weil er im Handel mit diesen Ländern ein "ungerechtes" Handelsbilanzdefizit sieht. Nach Carsten Brzeski sind das vor allem jene Länder, die besonders viel in die USA liefern: "Das sind China, Kanada, Mexiko und Deutschland."

Eine Möwe fliegt über Tausende von Containern, die sich im Frachtterminal des Hafens von Barcelona stapeln.
Eine einsame Möwe über abgestellten Containern - der Welthandel muss sich nun neu orientierenBild: Emilio Morenatti/AP/dpa/picture alliance

Dabei ist die EU, die Donald Trump geradezu zu verabscheuen scheint, nicht einmal der Hauptadressat seiner Drohungen. Das ist nämlich China - jenes Land, das die USA noch in dieser Dekade als größte Volkswirtschaft der Welt ablösen könnte. Am Mittwoch (09.04.2025) wurde bekannt, dass chinesische Importe mit kumulierten Zöllen in Höhe von 84 Prozent belegt werden sollen.

Berlin bremst Brüssel

Doch Deutschland kann nicht abseits stehen. Die Ökonomen Marc Schattenberg und Robin Winkler von Deutsche Bank Research schrieben am vergangenen Montag, jetzt sei die deutsche Politik gefordert: Der Zoll-Schock habe "den Druck auf die kommende Bundesregierung erhöht, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in einem immer schwierigeren globalen Umfeld zu verteidigen."

Endlich Einigung auf Koalitionsvertrag: Die Parteispitzen Merz, Söder, Esken und Klingbeil auf Weg zur Pressekonferenz
Endlich Einigung auf Koalitionsvertrag: Die Parteispitzen Merz, Söder, Esken und KlingbeilBild: Annegret Hilse/REUTERS

Damit legen sie den Finger in die Wunde, ist doch noch kein Kanzler gewählt und kein Minister ernannt. Und da soll Europas stärkste Volkswirtschaft in den Verhandlungen mit den USA den Kurs der EU mitbestimmen. Schlechtes Timing also. Ein Glück, dass sich die EU-Kommission darauf verständigt hat, nicht schnell zu schießen und lieber zu verhandeln.

Gefahr für Deutschland

Die deutsche Wirtschaft ist traditionell exportabhängig, der Binnenmarkt ist für die hiesige Konjunktur längst nicht so ausschlaggebend. Zu den Branchen, die besonders viel in die USA liefern, gehören neben dem Maschinenbau und der Chemieindustrie die Autobauer. Sie haben am meisten zu verlieren.

Trumps Wahlsieg und die Angst der Deutschen

Sollten ihnen das US-Geschäft wegbrechen, wäre das auf den ersten Blick gar nicht so schlimm, denn, so Brzeski: "Von den EU-Ländern gehen im Schnitt etwa drei Prozent vom BIP als Exporte in die USA." Nur drei Prozent, klingt nicht dramatisch - auf den ersten Blick.

Doch hängen in Deutschland hunderttausende Jobs an der Produktion von Autos: Bei den Autoschmieden selbst, bei ihren Zulieferern und bei den Händlern im ganzen Land. Dazu kommen noch Kommunen, die im schlimmsten Fall hohe Arbeitslosenquoten zu verkraften hätten und lokale Einzelhändler, denen von jetzt auf gleich die Kundschaft wegbleiben würde.

Trumps Zölle belasten Export von Autos aus Deutschland

Und es träfe ja nicht nur die Autoindustrie mit ihren Standorten in Wolfsburg oder Ingolstadt - Städte, die in ganz hohem Maße von VW bzw. Audi abhängen. Bei der Chemieindustrie wäre es ähnlich. Da würden Leverkusen oder Ludwigshafen leiden, von kleineren Gemeinden wie dem rheinischen Wesseling nicht zu reden.

Und es droht noch eine Gefahr: Sollte es Donald Trump gelingen, chinesische Anbieter so weit wie möglich vom US-Markt zu verdrängen, müsste Peking andere Märkte suchen - in Deutschland etwa. Dann könnten sie mit ihren subventionierten Waren der heimischen Wirtschaft nachhaltig schaden.

Könnten deutsche Firmen auch profitieren?

"Erst einmal nicht", findet ING-Ökonom Brzesik. Mit etwas Verzögerung würden zwar Branchen, die vor allem im Inland aktiv sind, profitieren. Allerdings würden auch sie dem "Tanz erst einmal nicht entkommen, da Einschläge in der Exportindustrie natürlich auch Auswirkungen haben auf den Rest der Wirtschaft."                                                            

Schaut man auf die mutmaßlichen Motive Trumps, stößt man darauf, dass es ihm auch darum geht, ausländische Firmen ins Land zu locken. Die sollen dort Arbeitsplätze schaffen und für ein Trump-gemachtes Job-Wunder sorgen. Werden europäische Konzerne nun plötzlich ihr Geschäft nach Übersee verlegen?

"Anstoß für Reformen": Wie Europa auf Donald Trump reagiert

Carsten Brzeski hält das für ein interessantes Gedankenspiel: "In den letzten Jahren der Biden-Regierung und dem "Inflation Reduction Act" gab es schon etliche europäische Unternehmen, die sich in die USA orientierten. Dieser Trend schien direkt nach der Wahl im November stärker zu werden. Die Idee von Deregulierung, niedrigen Energiepreisen und Steuersenkungen machte die USA noch attraktiver."

Aber gegenwärtig? Eher nein, meint der Ökonom: "Mittlerweile hat die erratische Wirtschaftspolitik Trumps und das Zollchaos zu großen Zweifeln an der amerikanischen Rechtssicherheit geführt, dass aktuell wohl kaum ein Unternehmer schnell in die USA ziehen wird."

Digitalsteuer und Ausfuhrzölle

Da bleibt die Frage, was man denn nun tun kann gegen die Zolldrohungen. Eine Möglichkeit: Nach genauem Blick auf die Handelsbilanz Deutschlands mit den USA sticht der Dienstleistungssektor ins Auge - dort sind die Europäer deutlich im Hintertreffen.

Doch Obacht! Sogar der IT-Branchenverband Bitkom warnt die Europäische Union davor, mit einer europäischen Digitalsteuer zu reagieren. "Eine europäische Digitalsteuer einzuführen, wäre die denkbar schlechteste Reaktion auf amerikanische Zölle", so Bitkom-Geschäftsleiter Fabian Zacharias zum Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Schon der Ansatz, eine zollpolitische Frage mit neuen Steuern zu beantworten, ist grundfalsch". Stattdessen setzt er "mittelfristig auf Deeskalation".

Eine weitere Möglichkeit hält der deutsche Staat bereit. Für die Ausfuhr von Waren aus dem Zollgebiet der EU können grundsätzlich Ausfuhrzölle erhoben werden, so der deutsche Zoll auf seinem Web-Auftritt. Da es aber üblicherweise im Interesse der EU läge, Waren zu exportieren, um Einnahmen zu erzielen, würden diese nur selten festgesetzt.

Vor der Anzeigetafel mit der Dax-Kurve ist im Handelssaal der Frankfurter Wertpapierbörse das Rotlicht einer TV-Kamera zu sehen.
Trump sei Dank: Zum Auftakt dieser Handelswoche ist der (Dax) um rund zehn Prozent abgestürztBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Dennoch könnte das im aktuellen Fall praktikabel sein für Waren, die die USA in Europa kaufen müssen. Das schlägt der Ökonom Gabriel Felbermayr, Chef des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), vor. Das träfe beispielsweise für moderne Maschinen zur Herstellung von Computerchips zu, die derzeit nahezu ausschließlich in Europa produziert werden. Eine hohe Exportsteuer auf diese Maschinen würde US-Firmen viel Geld kosten und die Regierung vielleicht zu Kompromissen veranlassen. Aber das ist bislang nur ein Gedankenspiel.

Doch von Gegenzöllen oder Ausfuhrabgaben hält Carsten Brzeski DW gegenüber nicht viel: "Besser wäre es, wenn die Politik jetzt alle Anstrengungen darauf richtet, Europa stärker zu machen. Mit Investitionen, Strukturreformen, Bürokratieabbau und weitergehender Integration, wie eine Kapitalmarkt- und eine Verteidigungsunion wäre jetzt mehr zu erreichen als mit langen Listen mit Gegenzöllen."