Dieses Jahr ist es anders
17. September 2015Dieser 3. Oktober ist anders. Bisher ist er immer an mir vorbeigerauscht: Ein Tag wie jeder andere, bloß mit mehr Freizeit. DDR, Zwei-plus-Vier-Vertrag, kollektive Erinnerung - all das hat mich zwar als studierte Historikerin beschäftigt. Aber als Privatperson?
Ich bin Westkind durch und durch, "Ostkontakte" habe ich kaum. Für private Anekdoten zur Wiedervereinigung muss ich andere fragen. Zum Beispiel meinen polnischen Freund: Der wurde kurz vor dem Mauerfall als Sechsjähriger von einem Pfarrer über die Grenze nach Westdeutschland geschmuggelt - und hätte sich viel Zittern erspart, wenn seine Familie erst zwei Jahre später ausgereist wäre.
So bedeutungslos der Tag der Deutschen Einheit für mich persönlich bisher war: Dieses Jahr macht er mich nachdenklich. Wie einig sind wir uns denn? In Teilen unseres Landes müssen Flüchtlinge aus brennenden Unterkünften gerettet werden, anderswo werden sie bei ihrer Ankunft mit Süßigkeiten und Applaus empfangen. Die Bevölkerung scheint in zwei Lager gespalten: In diejenigen, die helfen wollen, und die, die Angst haben. Die Flüchtlingssituation stellt aber eine gesamtdeutsche Herausforderung dar. Ich hoffe, wir bekommen das hin.