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Die "Zweite Phase" hat begonnen

Kommentar von Peter Philipp19. Oktober 2001

Erstmals US-Bodentruppen in Afghanistan im Einsatz

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Der Einsatz amerikanischer Bodentruppen in Afghanistan ist nun Gewissheit, nachdem tagelang über den Beginn dieser "Zweiten Phase" spekuliert worden war. Freilich kann nicht die Rede sein von einem Einmarsch oder einer Landung großer Truppen-Kontingente. Sondern vom Einsatz einiger kleiner Gruppen von ganz besonders trainierten "Spezial-Einheiten", die nun am Boden erreichen sollen, was mit Bombardements nicht erreicht werden kann: Osama bin Laden und führende Mitglieder seiner "Al Quaida" Organisation aufzuspüren und auszuschalten. Oder festzunehmen. Auf der Suchliste dieser Einheiten steht vermutlich auch Mullah Omar, der Führer der Taliban, der die Hauptverantwortung dafür trägt, dass bin Laden sich immer noch in Afghanistan aufhält.

Es dürfte den Amerikanern von Anfang an klar gewesen sein, dass sie um den Einsatz von Bodentruppen nicht umhin kommen werden. Aber auch, dass man unter keinen Umständen den Fehler der Sowjetunion wiederholen und eine Invasion und Besetzung Afghanistans vornehmen darf. Genau so klar muss den USA aber auch das allgemeine Risiko des Vorgehens in Afghanistan sein: Washington muss diesen Krieg gewinnen, wenn es nicht eine Schmach erleiden will, die die der Terrorangriffe von New York und Washington übertreffen könnte: In den Augen der Sympathisanten bin Ladens waren diese Angriffe schon eine massive Demütigung der USA - um wie viel größer wäre da der vermeintliche Erfolg bin Ladens, wenn es ihm gelänge, den amerikanischen Angriffen zu entgehen? Zumal mit jedem weiteren zivilen Opfer dieser Angriffe das Vorgehen Washington nicht nur in der arabischen und islamischen Welt weiter kritisiert wird, sondern auch in Westeuropa und selbst in bestimmten Kreisen der USA?

Dies dürfte dann ein weiterer Grund für den Einsatz von Bodentruppen oder Spezialeinheiten sein: Die Verlustzahlen auf der Seite der Zivilbevölkerung muss so gering wie möglich gehalten werden. Nur Ignoranten glauben, es könne solche Militäraktionen ohne zivile Opfer geben. Aber je größer die Zahl solche Opfer ist, desto mehr wächst die Ablehnung gegen Washington - selbst in den Staaten der "Koalition gegen den Terrorismus". Und es wäre schon deswegen töricht, den USA Gleichgültigkeit in dieser Frage zu unterstellen. Der Einsatz von Spezialeinheiten ist deswegen - wenn erfolgreich geplant und durchgeführt - eher geeignet, die Militäraktion zu verkürzen. Und damit auch das unnötige Leiden unschuldiger Zivilisten.

Es zeugt aber auch von einer gewissen Ratlosigkeit vieler Medien, dass diese die "zweite Phase" seit Tagen herbeizureden versuchten und dass sie von offiziellen Sprechern Bestätigung für den Einsatz der Bodentruppen erhalten wollten. Eine verantwortliche militärische Führung dürfte die Sicherheit der eigenen Truppen und deren Erfolgschancen über das Informationsbedürfnis der Medien stellen. Und wenn dann schon Einzelheiten bekannt gegeben werden, dann dient auch dies nicht selten der Verwirrung des Gegners.

Allein schon die Behauptung, Spezialeinheiten seien im Einsatz, dürfte die Taliban und Osama bin Laden zu erhöhter Vorsicht zwingen, sie aber auch nervöser machen und weiter verunsichern. Hiermit allein aber wird Washington seine Ziele nicht erreichen können. Hierzu ist der Einsatz hochqualifizierter Spezialisten unumgänglich. Aber auch der Preis steigt: Jedes Scheitern einer amerikanischen Kommando-Aktion und jeder Verlust eigener Soldaten wird die Siegesgewissheit auf der Gegenseite verstärken und den Konflikt weiter verschärfen.