"Die Weltgemeinschaft muss angemessen auf die Ereignisse in Turkmenistan reagieren"
4. Juli 2003Moskau, 4.7.2003, ISWESTIJA, russ., Aleksandr Braterskij
Der Präsident Turkmenistans Saparmurad Nijasow reagiert nicht auf die Bitte des Kremls, die Politik gegenüber der russischsprachigen Bevölkerung der Republik zu lindern. Die russischen Bürger Turkmenistans, die die letzte Hoffnung verloren haben, verlassen zu Hunderten das Land. Wieso ließ sich Nijasow auf eine Konfrontation mit Moskau ein, wie ist die Lage in Turkmenistan, was erwartet Turkmenbaschi und dessen Regime? Darüber berichtet der Zeitung "Iswestija" Aleksandr Dodonow, der von 1996 bis 1998 das Amt des Vizepremiers Turkmenistans bekleidete und die politischen Sitten von Nijasow gut kennt. Heute lebt Dodonow in Russland. Er ist einer der Anführer der turkmenischen Opposition und stellvertretender Vorsitzender der gesellschaftlichen Bewegung "Watan" ("Heimat"). Mit ihm spricht Aleksandr Braterskij.
Frage:
Beobachtet man die Lage in Turkmenistan von der Ferne, so scheint sie unvorstellbar zu sein. Tragen die russischen Massenmedien die Farben nicht zu dick auf?Antwort:
Ich war nicht nur Zeuge, ich war Teilnehmer des Prozesses, infolge dessen sich allmählich der Personenkult um Nijasow entwickelte. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass dieser Mensch sich in das verwandelt, was er heute darstellt. Wir waren alle euphorisch: Freiheit, Unabhängigkeit, Souveränität. Es waren gute Absichten.Nijasow ist es gelungen, eine bestimmte Zeit seine geheimen Gedanken zu verbergen. Es gab jedoch in der Umgebung des Präsidenten Personen, die ein Gespür für seine geheime Natur hatten und selbst zur Entwicklung des Kultes beitrugen. Nijasow duldete schon in der Sowjetzeit keinen anderen Standpunkt. Später kam es soweit, dass das Wort "nein" überhaupt nicht ausgesprochen werden durfte.
Ich wusste, dass ich mit meiner Arbeit in der Regierung nichts ändern kann, habe mich jedoch bemüht, den Bereich zu leiten, der mir zugesprochen wurde, die Wasser- und Landwirtschaft. Ich bereitete einen schriftlichen Bericht über die katastrophale Lage der wichtigsten Wasserader, des Karakum-Kanals, vor. Dieser Bericht war lediglich anderthalb Seiten lang. Ich schlug vor, Investoren aufzutreiben, die in die Modernisierung des Kanals investieren würden. Danach wurde ich von Nijasow zurechtgewiesen, weil ich einen "politischen Fehler" gemacht habe. Der Vorschlag hätte vom Präsidenten selbst kommen sollen.
Frage:
Wieso beschlossen Sie, das Land zu verlassen?Antwort:
Ich kannte Nijasow, wusste, wohin das führen wird. Erst wurde mir gedroht, später wurde hinter meinem Rücken ein Bericht über die Sachlage in der Branche vorbereitet. Bei der Generalstaatsanwaltschaft wurde mir gesagt: "Aleksandr Dmitrijewitsch, bei uns hier ist es schlimmer als im Jahr 1937. Ziehen Sie Schlussfolgerungen." Ich verstand, was ich zu tun hatte. Von der Staatsanwaltschaft begab ich mich gleich in die russische Botschaft. Zwei Tage später verließ ich Turkmenistan. Ich hatte Angst um meine Familie und sagte meinem Sohn, er soll Aschgabad sofort verlassen. Er tat es. Es war rechtzeitig, weil danach sofort meine Frau zum Verhör vorgeladen wurde. Auf sie wurde psychischer Druck ausgeübt.Betreibt in Turkmenistan heute jemand Business, erwirbt er zum Beispiel eine Wohnung oder ein Auto, zieht er sofort die Aufmerksamkeit auf sich. Er wird festgenommen, in einen Keller gesperrt, dann beginnen "die Gespräche". Dann heißt es in etwa so: "Gib alles auf, dann kommst du frei. Tust du dass nicht, wirst du sitzen." Die Leute verzichten freiwillig auf ihr Eigentum.
Frage:
Sie sind in Opposition zu Nijasow. Fühlen Sie sich als Politiker?Antwort:
Nein. Ich werde mehr von der Gerechtigkeit geleitet. Es schmerzt, dass das Volk Turkmenistans diese ganzen unverdienten Beleidigungen hinnehmen muss, denen es vom Regime ausgesetzt ist. Wieso eignet sich eine Person auf die schlimmste Weise ein ganzes Land an und erkennt die Normen des internationalen Rechtes nicht an? Jemand muss dem ein Ende bereiten, der Öffentlichkeit berichten, was bei uns vor sich geht. Zu berichten, was Nijasow und dessen Regime sind. Das Ziel unserer Bewegung "Watan" besteht darin, Turkmenbaschi auf friedlichem politischen Wege von der Macht zu verdrängen, ihn zu zwingen, unter dem Druck der Öffentlichkeit sein Amt niederzulegen.Frage:
Glauben Sie, dass das möglich ist?Antwort:
Sollte die Weltgemeinschaft auf die Ereignisse in Turkmenistan angemessen reagieren, wird Nijasow selbst bereit sein, irgendwohin auszureisen. Ein jeder Diktator ist ein Angsthase.Frage:
Was halten Sie von Nijasows Erlass, gemäß dem die Einwohner Turkmenistans mit doppelter Staatsbürgerschaft auf die russischen Pässe verzichten müssen?Antwort:
Solche Erklärungen sind im Sinne von Nijasow. Er hält alle für schuldig. Er glaubt an seine Unfehlbarkeit, obwohl klar ist, dass in diesem Fall eben Turkmenbaschi nicht recht hat, dass eben er das internationale Recht verletzt. (lr)