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Die Verfolger rücken näher

Peter Philipp9. Oktober 2001

Ob die Angriffe der Amerikaner in Afghanistan Jahre dauern werden mag ja dahingestellt sein. Aber mit gelegentlichen Bombardements wird es nicht getan sein.

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Keine Armee der Welt wäre in der Lage, mit einem Schlag alle strategisch wichtigen Installationen des Gegners auszuschalten. Schon gar nicht, wenn es bei diesem Gegner um einen scheinbar desorganisierten Haufen mittelalterlich anmutender Banditen handelt und nicht um regelrechte Streitkräfte mit etablierter - und auch erkennbarer - Infrastruktur.

So müssen die Amerikaner und Briten sich zunächst einmal die künftige Handlungsfreiheit in Afghanistan "frei bomben": Indem sie Luftabwehr-Stellungen zerstören, Kommandoposten der Taliban und auch die wenigen Flugfelder, die zum Einsatz der antiquierten Luftwaffe der Taliban genützt werden könnten.

Die erste Welle der Luftangriffe galt denn auch solchen Zielen. In der ersten Welle 31 an der Zahl, in der zweiten nur noch ein halbes Dutzend. Und natürlich werden dabei nicht alle Ziele getroffen. Wie genau die Angriffe waren, stellt sich erst bei der Luftaufklärung am nächsten Tag heraus. Und führt dann zum Beschluss, dieselben Ziele wieder oder auch andere anzugreifen.

Begrenztes eigenes Risiko

Die massive militärische Übermacht der Amerikaner und Briten dürfte leichtes Spiel haben, solange sie dieses Verfahren einhalten. Sie dezimieren systematisch die Verteidigungsfähigkeit der Taliban und gehen nur ein sehr begrenztes eigenes Risiko ein. Aber auch dieses Vorgehen ist nicht ohne Risiko: So haben die Taliban ja nicht nur klar erkennbare Flugabwehr-Geschütze an strategisch wichtigen Punkten stationiert, sondern sie verfügen noch über rund 80 Flugabwehrraketen vom Typ "Stinger". Raketen, die Washington während des Kampfes gegen die sowjetischen Besatzer ins Land gepumpt hatte. Raketen, die von der Schulter abgefeuert werden und deswegen nicht an feste Einsatz-Punkte gebunden, aber höchst effektiv - weil treffsicher - sind.

Nach dem Sieg der "Mujaheddin" versuchte Washington, diese Raketen zurückzuholen. Ein großzügiges Rückkauf-Programm war auch einigermaßen erfolgreich - bis auf 70 bis 80 "Stinger", deren Verbleib bis heute unbekannt ist und die möglicherweise dieser Tage zum Einsatz kommen werden.

Zivile Opfer nicht auszuschließen

In Washington und London betont man, dass die Angriffe nicht zivilen Zielen gelten. Aber es ist unausweichlich. Dass solche zivilen Ziele auch getroffen werden, solange die militärischen Ziele sich innerhalb ziviler Gegenden befinden. Zivile Opfer sind deswegen mit Sicherheit nicht völlig auszuschließen und zu vermeiden. Aber Washington und London setzen wohl darauf, dass die Afghanen sich in diesen Tagen von allem fernhalten, was auch nur annähernd von militärisch-strategischer Bedeutung ist. Und die meisten Afghanen dürften in den langen Jahren des militärischen Konfliktes in ihrem Land ein gesundes Vermögen entwickelt haben, solche Gefahrenherde zu erkennen.

Langfristig aber wird man mit solchen sporadischen und auch tagelangen Bombardements das erklärte Ziel nicht erreichen können - nämlich, Osama Bin Ladens Terrorgruppe zu zerschlagen oder die Taliban zu entmachten. Hierzu werden andere Operationen erforderlich sein. Gezielte Kommando-Aktionen zum Beispiel, über deren Charakter naturgemäß im voraus nicht gesprochen wird und deren Charakter sich im Laufe der Tage und Wochen wahrscheinlich auch wiederholt verändern dürfte.

Höhlen des Hindukusch

Zuerst werden die Anhänger Bin Ladens und die Taliban-Führung vermutlich in den Untergrund gedrängt, wo sie kaum zu finden wären. Ihr eigener Fanatismus und ihre eigene Machtbesessenheit dürften aber eine Garantie dafür sein, dass sie nicht lange im Untergrund bleiben. Und dass sie versuchen werden, sich erneut zu formieren, um Widerstand und Gegenschläge zu organisieren. Hierbei müssen sie sich Blößen geben, die von den Amerikanern genutzt werden können. Zum Beispiel die Kommunikation untereinander. Zwar verzichtet Bin Laden seit langem auf Funkgeräte, weil diese geortet werden können. Langfristig kann er aber ohne solche Technologie nicht auskommen, wenn er sich nicht für immer in eine der Höhlen des Hindukusch zurückziehen will. Das läge nicht in seinem Naturell und es bleibt deswegen eine Frage der Zeit, bis er sich wieder rührt und dabei verrät. Die Verfolger rücken ihm jedenfalls immer näher.