Die russische Regierung will im Jahr 2002 eine Milliarde Dollar durch den Verkauf von Staatseigentum einnehmen
14. Februar 2002Moskau, 14.2.2002, TRUD, russ., Wladimir Aleksejew
Premierminister Michail Kassjanow hat auf einer Sitzung des Kollegiums des Ministeriums für Eigentumsfragen erklärt, dass es an der Zeit sei, sich von dem Löwenanteil der staatlichen Aktienpakete zu trennen. Im Jahr 2002 will das Weiße Haus seinen Anteil bei 426 offenen Aktiengesellschaften verkaufen. Der Gewinn soll sich auf 35 Milliarden Rubel belaufen. (...)
Die Regierung erklärt den beschleunigten Verkauf des Staatseigentums mit der "systematischen Transformation der Wirtschaft". Darin, so der Premier, werde der Übergang zur zweiten Etappe der Reformierung Russlands bestehen. Es zeigt sich, dass die wirtschaftlichen Probleme eben damit zu erklären sind, dass die Privatisierung in den Zeiten des frühen Liberalismus allein die Infrastruktur betraf – die Hände der Reformatoren nicht bis zu den branchenbezogenen Betrieben reichten. Es sieht so aus, als ob die Regierung jetzt entschieden hätte, das zu ändern und sich vom föderalen Eigentum in der Form der übriggebliebenen Fabriken und Betriebe zu trennen.
Bei der Regierungssitzung am 7. Februar war die Liste der Kandidaten für den Verkauf veröffentlicht worden. Auf ihr stehen 312 Aktiengesellschaften und 141 staatliche Einheitsbetriebe. Die Leckerbissen sind, wie zu erwarten war, die Betriebe des Brennstoff- und Energiekomplexes sowie der Metallurgie. Darunter 85 Prozent der Aktien von "Norsi-Oil", 19,8 Prozent der Aktien von "Slawneft" und 17 Prozent der Aktien des Metallurgiekombinats Magnitogorsk. Am wertvollsten ist jedoch das sechs Prozent große Aktienpaket von "Lukoil" – für dieses will die Regierung 600 bis 800 Millionen Dollar einnehmen.
Neben dem aus Rohstoffen bestehenden Teil des staatlichen Kuchens können sich auch große Aktienpakete von "Swjasinvest" (25 Prozent plus zwei Aktien), der Fluggesellschaft "Woroneschavia" (35 Prozent), der Reederei Kamtschatka (25 Prozent) für die Käufer als nicht weniger attraktiv herausstellen. Es ist sogar beabsichtigt, den Anteil der Russischen Föderation bei der größten Fluggesellschaft des Landes "Sibir" und der Aktiengesellschaft "Workutaugol" loszuwerden.
Was den Rest angeht, so sind das kleinere, jedoch nicht weniger bekannte Objekte der russischen Wirtschaft. Zum Beispiel die Filmstudios "Mosfilm", "Lenfilm", "Sojusmultfilm" und "Russkoje video" (Sankt Petersburg). Was die staatlichen Einheitsbetriebe angeht, so empfiehlt das Ministerium für Eigentumsfragen der Regierung, sie solle sich mit diesen Betrieben nicht mehr lange herumschlagen. Das Ministerium hält diese Eigentumsform für die am wenigsten effiziente und schlägt vor, die Zahl dieser Betriebe im Laufe des Jahres sogar um 1500 zu reduzieren.
Ein neuer Punkt im Privatisierungsprozess wird der Verkauf der Objekte zusammen mit dem Boden sein, auf dem sie errichtet sind. Der Bodenkodex lässt das jetzt zu.
Die Entschlossenheit der Regierung, das staatliche Eigentum loszuwerden, lässt sich durch das schwache Management erklären, das bei den Betrieben die Interessen der föderalen Macht vertritt. Kassjanow führte bei der Sitzung des Kollegiums überzeugende Beispiele an. Unter anderen war auch Moskau genannt worden, wo dem Premier zufolge das Pachtgeld für die Nutzung der staatlichen Objekte des Öfteren die Steuerzahlungen nicht deckt. Kassjanow erklärte, dass die Regierung vom bevorstehenden Verkauf weniger Geld als die Erhöhung der Arbeitseffizienz der Betriebe erwarte – wahrlich bereits mit den Händen eines privaten Eigentümers. Ordnung und Transparenz könnte die privatisierten Einheitsbetriebe attraktiv machen und Investoren heranziehen, so der Premier.
Das Material, dass das Ministerium für Eigentumsfragen bei der Regierungssitzung vorstellte, zeugt unterdessen von einigen positiven Tendenzen bei der Verwaltung des Eigentums der Russischen Föderation. Es zeigte sich, dass die Haushaltseinnahmen aus diesen Betrieben in den letzten Jahren stark zunehmen. Wenn das Staatseigentum im Jahr 1997 etwas über eine halbe Milliarde Rubel in die Staatskasse brachte, so waren es im Jahr 2001 fast 30 Milliarden Rubel. Fast soviel, wie durch den Verkauf der staatlichen Aktienpakete eingenommen werden soll.
Womöglich wird die Regierung zu entschlossenem Vorgehen an der Privatisierungsfront durch den Rückgang des Wirtschaftswachstums angespornt. Nicht gerade gute Nachrichten sind seit Anfang des Jahres zu vernehmen: in einer Reihe der Regionen fehlt das Geld, um die Gehälter der Beamten und Angestellten zu erhöhen, die Militärs können ihre Stromrechnungen nicht begleichen, die Verbraucherpreise sind im Januar um über drei Prozent gestiegen. All das hat dem Premier zusätzliche Kopfschmerzen bereitet, der vom Präsidenten aufgefordert worden ist, die negativen Tendenzen zu bewältigen. Die Regierung benötigt ganz dringend Geld. Man braucht nicht daran zu zweifeln, dass das Vorhaben des Chefs des Ministeriums für Eigentumsfragen, Farit Gassisullin, durch den Verkauf der Aktienpakete der Aktiengesellschaften "85 Prozent der Gesamteinnahmen durch die Privatisierung des föderalen Eigentums" zu erhalten, in Erfüllung gehen wird. Bereits heute bereiten sich die führenden Erdölgesellschaften auf den Kampf um die attraktiven Staatsaktiva bei Brennstoffobjekten vor.
Ein neuer Punkt im Privatisierungsprozess wird auch der Umstand sein, dass die Beamten des Ministeriums für Eigentumsfragen aller Wahrscheinlichkeit nach zur Erarbeitung eines Systems der Marktbeurteilung bewegt werden. Anspruch auf die Rolle des wichtigsten Beurteilers erhebt die Handels- und Industriekammer. Es sieht so aus, als ob der Premier Primakow vertrauen würde – jedenfalls nicht weniger als seinen Beamten.
Jewgenij Ischtschenko, stellvertretender Vorsitzender des Dumaausschusses für Eigentumsfragen:
"Das am 1. April in Kraft tretende Gesetz über die Privatisierung entfernt die gesetzgebende Macht sowie die Subjekte der Russischen Föderation völlig von der Teilnahme an diesem Prozess. In der neuen Situation kann die Regierung auch beim Verkauf von großen Betrieben, darunter Rüstungsbetriebe, von niemandem kontrolliert werden. Das ist nicht normal.
Keine Einwände muss unterdessen der Wunsch der Regierung hervorrufen, die staatlichen Einheitsbetriebe loszuwerden. Allein schon deshalb, weil die Sachlage in diesem Sektor des Staatseigentums äußerst schlecht ist.
Mir fällt es schwer, die Motive für das Vorgehen der Regierung in Fällen zu erklären, wenn zahlungsfähige und gewinnbringende Aktienpakete verkauft werden. So unterhöhlt der Verkauf eines großen Aktienpakets der russisch-weißrussischen Erdölgesellschaft Offene Aktiengesellschaft "Slawneft" entgegen der Meinung der weißrussischen Seite die wirtschaftliche Grundlage der russisch-weißrussischen Union. Außerdem steigert "Slawneft" wie auch die einzige staatliche Erdölgesellschaft "Rosneft" die Produktion, macht Gewinne, die in den föderalen Haushalt fließen." (lr)