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"Die Opposition ist die Achillesferse von Islam Karimows Regime"

20. Juni 2002

– Der usbekische Exil-Politiker Muhammad Salih zum Vorgehen der Staatsmacht gegen die Opposition in seiner Heimat

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Köln, 14.6.2002, DW-radio / Russisch

Die Stützpunkte in Usbekistan sind den USA wichtiger geworden als die Demokratie in diesem Land. Die Unterstützung des Westens und dessen Finanzhilfen haben das Regime nicht liberalisiert, sondern ihm freie Hand gegeben.

Als Ende vergangenen Jahres als Usbekistan Teil der internationalen Anti-Terror-Koalition wurde und in das Land ausländische Diplomaten, Militärs, Geld, Ideen und humanitäre Hilfe strömten, hofften die Menschenrechtler wie noch nie seit der Unabhängigkeit der Republik, dass das Regime aufgeweicht wird. Die absolut unerwartete Annäherung an den Westen bezeichnete der Korrespondent der "Deutschen Welle" in Taschkent gar als "Allahs Lächeln".

Der Westen gab dem Regime freie Hand

Es ist Zeit vergangen und viele Einwohner der Republik schöpfen den Verdacht, dass Allah Islam Karimows Regime wohlgesonnener ist als den einfachen Sterblichen. Es stellte sich heraus, dass den USA die Stützpunkte in Usbekistan wichtiger sind als die Demokratie in Usbekistan. Die Unterstützung des Westens und die Geldspritzen liberalisierten das Regime nicht, sondern gaben ihm freie Hand.

Erneut werden in der Republik Vertreter der Opposition und unabhängige Journalisten verhaftet. Aus Dörfern im Gebiet Surhandarin werden ethnische Tadschiken zwangsumgesiedelt. Es werden 20jährige Haftstrafen auf Grundlage indirekter und fabrizierter Beweise verhängt. Und eine Delegation amerikanischer Gesetzgeber unter Leitung des Kongressmitglieds Curt Weldon dankt Usbekistan "für die Freundschaft mit Amerika und die Hilfe bei der Terrorismusbekämpfung".

Die "Achillesferse" der usbekischen Funktionäre

Muhammad Salih, Politiker und Literaturwissenschaftler, lebt derzeit im norwegischen Exil: Andersdenkende und die politische Opposition sind in Wirklichkeit die ‚Achillesferse‘ von Karimows Regime. Offenbar bemühte sich US-Präsident Bush während Karimows Besuch im März in Washington, diese Ferse nicht anzurühren, denn nach dem Besuch verstärkten sich die Repressionen im Land.

Frage:

Herr Salih, Ihnen persönlich wird in Usbekistan die Beteiligung an Sprengstoffanschlägen in Taschkent im Jahr 1999, die viele Menschenopfer gefordert hatten, zur Last gelegt. Gleichzeitig besteht die Partei "Erk" auf der Behauptung, die Explosionen sei eine Provokation der Staatsmacht selbst gewesen, um die Repressionen zu verstärken und die Opposition endgültig zu ersticken. Was sagen Sie zu diesen unterschiedlichen Meinungen?

Antwort:

Ich schieße nicht aus, dass sich an jenen Ereignissen Menschen aus irgendwelchen radikalen Gruppen beteiligt haben, aber ich bin überzeugt, dass jene Operation von usbekischen Geheimdiensten geplant und durchgeführt wurde. Außerdem sind die Aussagen von Sajnetdin Askarow wichtig, der der einzige Zeuge gegen mich war und sagte, ich hätte mich an der Organisation der Anschläge beteiligt. Und nun gab Askarow zu, dass Muhammad Salih mit jenen Explosionen überhaupt nichts tun zu hat.

Festnahmen aufgrund fabrizierter Vorwürfe ...

Frage:

Herr Salih, wenn Sie die Möglichkeit hätten, vor ein internationales Gericht zu kommen, was würden Sie dann zu den gegen Sie erhobenen Anschuldigungen sagen, würden sie eine solche Möglichkeit nutzen?

Antwort:

Natürlich, ich würde mir sehr wünschen, eine solche Möglichkeit zu bekommen und vor einem Gericht eines demokratischen Landes Rede und Antwort zu stehen.

Frage:

Wie verbreitet ist in Usbekistan die Praxis, Urteile aufgrund fabrizierter oder illegal erhaltener Beweise zu sprechen?

Antwort:

Fast 90 Prozent der Urteile gegen Mitglieder der demokratischen Opposition sind mit Hilfe gefälschter Beweise und falscher Aussagen fabriziert worden. Beispielsweise befinden sich derzeit drei meiner Brüder in Gefängnissen, wo sie gefoltert werden. Sie alle wurden wegen fabrizierten Sachen festgenommen. Zum Beispiel wurde einem Bruder ein Gewehr ins Auto gelegt, und das auch noch vor aller Augen. Viele hatten gesehen, wie die Waffe in den Kofferraum gelegt wurde. Trotzdem wurde mein Bruder wegen angeblichen Aufbewahrens jener Waffe verhaftet. Dem anderen Bruder wurde erklärt, er trage die Proklamation der Partei "Erk" bei sich. Die Proklamation war zwei Jahre alt und wurde ihm auch untergeschoben. Beim dritten Bruder fand man einfach ein Buch einer amerikanischen Forscherin, die über mich und die demokratische Bewegung in Usbekistan geschrieben hatte. Dieses Buch bewertete die Staatsmacht auch als Instrument zur Vorbereitung einer Straftat.

Trotzdem muss die Demokratie kommen!

Frage:

Herr Salih, die usbekische Staatsmacht versucht oft, die demokratische Opposition im Land als extremistisch-religiöse Opposition darzustellen. Diese Vorwürfe werden auch gegen Sie und die Partei "Erk" erhoben. Können Sie konkret sagen, wie Sie die Zukunft Usbekistans sehen und welche Rolle in Zukunft der Islam spielen soll?

Antwort:

Ich denke, die Zukunft Usbekistans ist ein demokratischer Rechtsstaat, in dem es alle Religionsfreiheiten gibt und in dem es für alle Muslime und Nichtmuslime, also alle Bürger des Landes, einen Platz gibt. (MO)