Die Grünen in Ostdeutschland: Frust, Ablehnung, Alarmrufe
10. August 2025Die Grünen, bis zum 6. Mai diesen Jahres an der Seite von Sozialdemokraten und Liberalen Regierungspartei in Deutschland, haben schon mal besser Zeiten erlebt. Dass sich die Klimaschutz-Partei nach dem Amtsantritt der Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten in der Opposition wiederfindet, nagt immer noch an ihrem Selbstbewusstsein.
Aktuell aber sorgt ein anderer Umstand für Unruhe in der grünen Seele: Vor allem in Ostdeutschland sind die Grünen massiven Anfeindungen ausgesetzt - zuletzt zeigte das ein Hilferuf ihrer Mitglieder aus Thüringen. Ende Juli hatte sich unter anderen der Stadtrat der Grünen aus Gotha in Thüringen, Felix Kalbe, mit einem Brief an die Parteispitze in Berlin gewandt. Darin berichtete er von Morddrohungen und davon, dass er "am helllichten Tag auf der Straße bespuckt" werde.
"Dieser Brief ist ein verzweifelter Hilfeschrei, denn wir wissen nicht weiter", schreib er. Es sei gefährlich geworden, ein Grüner vor allem im ländlichen Thüringen zu sein. Auch aus anderen Teilen der früheren DDR waren zuvor bereits ähnliche Berichte bekannt geworden.
Zu Besuch in einem grünen Biotop in Halberstadt
Ein Grund mehr für den grünen Ko-Vorsitzenden Felix Banaszak, genau dorthin zu fahren: in den Osten Deutschlands. Um zu erfahren, woran die große Feindseligkeit gegenüber den Grünen liegt.
Gerade ist Banaszak in Halberstadt im Sachsen-Anhalt zu Gast, einer Stadt im Harz mit rund 38.000 Einwohnern. Auch hier berichten ihm die Mitarbeiter des bereits 1991 gegründeten "Soziokulturellen Zentrums Zora" von einer feindseligen Stimmung ihnen gegenüber. Nicht alle jungen Leute die sich hier treffen, sind Grünen-Mitglieder. Allerdings waren Einrichtungen wie das "Zora" schon immer das Biotop, aus dem sich die Grünen rekrutierten, in Ost wie in West.
Das "Zora" veranstaltet Punk- und Metall-Konzerte, ruft auf gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, betreibt Werkstätten und macht Jugendarbeit. Fragt man die Mitarbeiter hier, was die Menschen in Halberstadt derzeit bewegt, berichten sie von einer nahezu einhelligen Ablehnung von Ausländern. In Halberstadt gibt es eine Unterkunft für Geflüchtete, in der zurzeit rund 1.000 Menschen leben, die meisten von ihnen aus Syrien.
Banaszak vermisst die Solidarität anderer Demokraten
Das ist einer der Gründe für den Hass auf die Grünen: Große Teile der Bevölkerung im Osten lehnen weitere Zuwanderung ab - die Grünen hingegen setzen sich weiterhin für die Aufnahme Schutzbedürftiger ein.
Die Grünen sind auch für die weitere Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen Russland. Auch hier im Osten sind viele Bewohner anderer Meinung und plädieren eher dafür, dass Gespräch mit dem russischen Präsidenten Putin zu suchen. Banaszak nennt im Gespräch mit der DW auch noch weitere Gründe für die Ablehnung: "Weil wir eine Partei sind, die für diese liberale, weltoffene, solidarische Demokratie in besonderer Weise einstehen. Aber kein Widerspruch in der Sache rechtfertigt, dass Menschen angegriffen werden."
Die Grünen und ihr Problem in ländlichen Regionen
Die Grünen stehen im Osten Deutschlands schon lange mit dem Rücken zur Wand: In den letzten Jahren ist die Zahl der Parteimitglieder in ganz Deutschland auf rund 180.000 hochgeschnellt, aber gerade einmal nur rund 12.000 von ihnen kommen aus dem Osten. Es gibt viel aufzuholen für die Grünen in den ostdeutschen Ländern. Das sieht auch die Politikwissenschaftlerin Nina Kolleck von der Universität Potsdam so. "Sie haben es schwer in ländlichen Regionen und vor allem in ostdeutschen Regionen. Das liegt sicher daran, dass sie da keine gewachsene Parteistruktur haben. Und nicht als Partei etabliert sind", sagt sie im Gespräch mit der DW.
Die Grünen werden als "gut verdienende Idealisten aus der Großstadt wahrgenommen, die von den vielen Brüchen der Menschen im Osten seit der Wende 1989 nichts verstehen". Viele auf dem Land seien skeptisch gegenüber etablierten Parteien aus den Städten, so Kolleck. "Sie gelten als weich, wenn sie sich für für Klimaschutz, nachhaltige Transformation und Diversität einsetzen."
Banaszak: "Menschen wünschen sich vor allem Sicherheit"
Felix Banaszak sagt in Halberstadt, er sei sich des Problems bewusst: Eine Partei wie die Grünen, die für Wandel stehe, habe es derzeit schwer, "besonders in Ostdeutschland, wo viele Menschen mit Veränderung den Verlust von Arbeit und Halt verbinden".
Konkret bedeutet das: Das von den Grünen mit durchgesetzte Ende der Kohleverstromung trifft vor allem die Menschen in den ostdeutschen Braunkohlerevieren hart.
Eine, die trotz allem ausharrt und weiter grüne Politik betreibt, ist die Kreisvorsitzende im Harz, Kathrin Grub. Im Februar kandidierte sie hier erfolglos für den Bundestag. Noch sind die Grünen mit sechs Abgeordneten im Landtag von Sachsen-Anhalt vertreten, doch die Aussichten für die Wahl im kommenden Jahr sind düster: Umfragen sehen die Partei bei nur drei Prozent.
Kathrin Grub selbst hat bislang keine Anfeindungen erlebt, spürt aber deutlich, wie sich die Stimmung gegenüber den Grünen zunehmend eintrübt. "Was nicht ist, kann noch werden", sagt sie im Gespräch mit der DW. "Dessen sind wir uns alle bewusst. Aber noch sind wir nicht in Not um Leib und Leben." Die Stadt Halberstadt, erzählt sie, sei mittlerweile eine "rechte Enklave", auf den Straßen werde gerufen, nur die AfD sei noch wählbar.
Von der grünen Parteiführung in Berlin erwartet Grub mehr Verständnis für die besonderen Lebensgeschichten der Menschen im Osten nach der Wende 1989. Banaszak sichert zu, künftig stärker zu bedenken, was etwa Klimaschutz-Projekte für Menschen in ländlichen Regionen bedeuten. Ob das die Sympathien für die Grünen stärkt, bleibt abzuwarten.