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Die fünfte Nacht der Angriffe auf Afghanistan

12. Oktober 2001

Wiederum steigerten die US-Verbände die Intensität ihrer Bombardements. Mittlerweile gibt es offenbar hunderte von Toten.

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Bild: AP

Die bisher schwersten US-Luftangriffe auf Kabul haben nach Augenzeugenberichten die Bevölkerung in Panik versetzt. US-Jets hatten am Donnerstag Kabul erstmals bei Tageslicht angegriffen, die Menschen versuchten voller Panik, sich zu Fuß oder per Fahrrad in Sicherheit zu bringen. Auch die Taliban-Hochburg Kandahar war erneut Ziel schweren Bombardements. Dort wie in Kabul wurden Munitionsdepots getroffen, es gab eine Serie schwerer Explosionen.

Am frühen Freitagmorgen griffen die US-Jets erneut Ziele in Kabul und Kandahar an. Die Explosionen in Kandahar waren so heftig, dass sie bis in die 120 Kilometer entfernte pakistanische Stadt Chaman zu hören waren, große Feuerbälle erleuchteten den Nachthimmel.

Aus den Trümmern des afghanischen Dorfes Kadam sind nach Angaben der Taliban die Leichen von etwa 160 Menschen geborgen worden. Es würden immer noch neue Leichen gefunden, sagte ein Taliban-Sprecher am Freitag nach Angaben der afghanischen Nachrichtenagentur AIP. Bei den Luftangriffen seien auch über tausend Tiere getötet worden, fügte der Sprecher hinzu. Kadam liegt rund 40 Kilometer westlich der Stadt Dschalalabad. Ein Vertreter der Taliban-Nachrichtenagentur Bachtar teilte mit, die USA hätten ein ehemaliges "Trainingslager" treffen wollen, das aber bereits vor Beginn der US-Angriffe am Sonntagabend geräumt worden sei.

Bush: Positive Bilanz und Furcht vor weiterem Terror

Einen Monat nach den Terroranschlägen von New York und Washington hat US-Präsident George W. Bush eine positive Zwischenbilanz im Kampf gegen den Terrorismus gezogen. Alle militärischen Operationen verliefen nach Plan, sagte Bush am Donnerstagabend im Weißen Haus. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld räumte ein, dass die Luftabwehr der Taliban-Miliz noch nicht vollständig ausgeschaltet wurde. Präsident Bush sagte, es könnten ein bis zwei Jahre vergehen, ehe Osama bin Laden gefasst und sein Terrornetzwerk El Kaida zerschlagen seien.

Bush zieht erste Zwischenbilanz
Bild: AP

In einer eindringlichen Warnung hat das FBI unterdessen auf die Gefahr von weiteren Terroranschlägen in den kommenden Tagen hingewiesen. In einer am Donnerstag in Washington veröffentlichten Erklärung hieß es, es gebe Hinweise auf geplante Anschläge in den USA oder auf US-Einrichtungen im Ausland. Die Sicherheitsbehörden wurden zu höchster Alarmbereitschaft aufgefordert. US-Präsident George W. Bush erklärte nach der Lektüre des entsprechenden Geheimdienstmaterials, es existiere eine "allgemeine Bedrohung." In der FBI-Erklärung hieß es: "Gesicherte Informationen veranlassen die Regierung zu der Annahme, dass es in den kommenden Tagen weitere Anschläge in den Vereinigten Staaten oder auf ausländische US-Einrichtungen geben könnte." Letzte Chance für Kabul?

Den Taliban bot George W. Bush eine "zweite Chance", falls sie sich doch noch für die Auslieferung Bin Ladens entscheiden würden. Die USA würden das Land nicht seinem Schicksal überlassen, sagte Bush. Er bekräftigte, dass sich der Kampf gegen alle Staaten richte, die Terroristen Zuflucht gewähren. In diesem Zusammenhang nannte Bush auch Irak, dessen Staatschef Saddam Hussein er als "bösen Menschen" bezeichnete. Zwar liege das derzeitige Augenmerk auf Afghanistan, man suche aber auf der ganzen Welt nach Zellen von El Kaida.

Der Taliban-Chef Mullah Mohammed Omar schloss in einem am Freitag veröffentlichten Interview eine Auslieferung jedoch weiterhin aus. Dies verstoße gegen afghanische Prinzipien und die Religion, wurde Omar in der in London erscheinenden Zeitung "Asharq el-Awsat" zitiert.

Keine Milzbrandattacke in Wiesbaden

Die am Donnerstag in Wiesbaden gefundenen Drohbriefe mit angeblichen Milzbranderregern haben sich als harmlos entpuppt. Das ergab die Analyse eines Stuttgarter Speziallabors, deren Ergebnisse das hessische Innenministerium und die Stadt Wiesbaden am frühen Freitagmorgen mitteilten. Die 16 Menschen, die sich wegen ihres Kontaktes mit den Briefen vorsorglich in einer Isolierstation im Wiesbadener Krankenhaus aufhalten mussten, konnten nach Hause gehen. Hinweise auf den Absender der Briefe, die am Donnerstag den Wiesbadener Stadtteil Schierstein lahm gelegt und hunderte Menschen in Angst versetzt hatten, gab es zunächst nicht.

In den USA ermittelt das FBI weiterhin wegen dreier ungeklärter Milzbrandinfektionen und hält terroristische Anschläge als Hintergrund für möglich.

Muslime in Deutschland wollen mit den Behörden zusammen arbeiten

Mehrere muslimische Organisationen haben ihre Mitglieder aufgerufen, bei der Terrorismusbekämpfung mit der deutschen Polizei zusammenzuarbeiten. Der Vorsitzende des Islamrates in Deutschland, Hasan Özdogan, sagte in einem Zeitungsinterview, dass in den Moscheen "Personen unbekannter Herkunft versuchen, unter den Besuchern Helfershelfer zu gewinnen." Der Rat habe deshalb seine Mitglieds-Moscheen dazu aufgerufen, "verdächtige Personen dem Islamrat und auch bei der Polizei anzuzeigen." Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Nadeem Elyas, nannte es die "islamische Pflicht für jeden Moslem, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden." Mithilfe bei der Terror- Bekämpfung sei für alle Moslems in Deutschland eine Bürgerpflicht. Andere Vereinigungen kritisierten aber die Zusammenarbeit der Behörden mit ihnen. Der Vorsitzende der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in der Bundesrepublik, Fikret Ekin, und der Sekretär des Verbandes der Islamischen Kulturzentren, Erol Püllö, forderten einen Dialog mit ihren Organisationen.

"Luftverkehr ist immer noch verwundbar"

Der Verband der Amerikanischen Flugbegleiter (AFA) hat schwere Sicherheitsmängel im US-Luftverkehr beklagt. AFA-Präsidentin Patricia Friend bezeichnete die neuen Sicherheitsmaßnahmen am Donnerstag als Kosmetik und kritisierte, die Sicherheitslage auf Flughäfen und in der Luft habe sich seit dem 11. September nicht verbessert. Das sagte Friend auf einer Konferenz in Des Plaines im US-Staat Illinois.

Als Beispiel nannte sie die Gepäckaufgabe. Dieser werde weniger Aufmerksamkeit gewidmet als der Kontrolle des Handgepäcks. So sei es immer noch möglich, dass jemand Gepäck für einen Flug aufgebe, den er dann gar nicht nehme. Die Sicherheitskontrollen für Bodenpersonal seien nicht verschärft worden, wurde weiter kritisiert.