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"Die Europäische Kommission sollte sich keine Illusionen machen"

10. Oktober 2003

- Präsident Putin nimmt Gasprom vor der EU in Schutz – Überraschend scharfe Worte des russischen Präsidenten bei den deutsch-russischen Konsultationen in Jekaterinburg

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Moskau, 10.10.2003, ISWESTIJA, russ., Wladimir Demtschenko, Jekaterina Grigorjewa, Olga Gubenko

(...) Die deutsche Seite hat erwartet, dass in Jekaterinburg ein Memorandum zwischen Gasprom und Ruhrgas über den Bau einer Gaspipeline durch die Ostsee unterzeichnet wird. Die Investitionen in dieses Projekt werden auf 6 Milliarden Euro geschätzt, bisher ist jedoch noch unklar, wer Geld investieren wird und ob überhaupt jemand investieren wird. Gasprom-Chef Aleksej Miller gehörte nicht der Delegation an (zur großen Enttäuschung der Deutschen), Wirtschaftsminister German Gref versprach zu Beginn der Regierungskonsultationen: das Abkommen wird einen Tag später in Sankt Petersburg unterzeichnet. Putin erklärte ein wenig später: womöglich werden noch einige zusätzliche Tage benötigt.

Putin und Schröder behaupten stets, die Zusammenarbeit im Energiebereich, besonders in der Gasbranche, sei äußerst aussichtsreich. Zu konkreten Projekten kommt es jedoch nicht. (...) Seit die Gründung eines russisch-deutsch-ukrainischen Konsortiums bekannt gegeben wurde (...), sind fast anderthalb Jahre vergangen. Die Deutschen fragen jetzt kaum mehr danach, wann es dieses Konsortium nicht nur verbal, sondern tatsächlich geben wird. Berlin wartet mit letzter Geduld darauf, dass Moskau und Kiew sich endlich einigen. Die können aber nicht klären, was wem gehört und wer größere Rechte auf die Rohre und deren Inhalt hat. Nach Ansicht deutscher Kommentatoren ist das mit dem Wunsch, als sicherer und zuverlässiger Energielieferant zu gelten irgendwie unvereinbar. Berlin hofft, dass wenigstens eines der Gasprojekte umgesetzt wird (die Ungewissheit über die Gaspipeline durch die Ostsee hält auch seit langem an). (...)

Am Donnerstag (9.10.) formulierte Putin seinen Standpunkt in dieser Frage recht hart: der Staat behält seine Kontrolle über das Gastransportsystem nicht nur Russlands, sondern auch der GUS-Staaten bei. Dieses System sei "ein Geschöpf der Sowjetunion, nur wir können dafür sorgen, dass es betriebfähig ist, auch wenn es sich um Abschnitte handelt, die außerhalb Russlands liegen". Putin war äußerst offen, obwohl er es seit einer gewissen Zeit vorzieht, die Zukunft des Gasmonopolisten im Land selbst nicht öffentlich zu kommentieren: "Gasprom werden wir nicht aufteilen. Die Europäische Kommission sollte sich keine Illusionen diesbezüglich machen – im Gassektor wird sie es mit dem Staat zu tun haben."

(...)

Diese Meinung des Präsidenten ist nicht neu. Bereits im Winter letzten Jahres sagte Putin bei den Feierlichkeiten anlässlich des zehnjährigen Jubiläums von Gasprom: "Der Staat wird eine Spaltung dieses Unternehmens nicht zulassen." Dieses Thema musste jedoch auch im Zusammenhang mit den kurz zuvor abgeschlossenen Verhandlungen des russischen Wirtschaftsministers German Gref mit der EU-Führung erneut aufgegriffen werden. EU-Außenhandelskommissar Pascal Lamy forderte eine Umstrukturierung des russischen Gasmonopolisten und eine Liberalisierung der Gaspreise – sonst würde Russland das Risiko eingehen, nie der Welthandelsorganisation (WTO) beitreten zu können. Diese Forderung stellt die Europäische Union seit fast zwei Jahren. Bis gestern hatten sich jedoch weder die russische Regierung noch der Präsident eindeutig dazu geäußert.

Putin fiel über die Europäische Union her. Hinter der Schärfe war deutlich zu sehen, dass Schröder, der eingetroffen war, um die bilaterale Wirtschaft zu erörtern, plötzlich um etwas gebeten wurde, was er überhaupt nicht erwartet hatte. (German Gref bekräftigte, dass die Verhandlungen mit der WTO so unerfreulich verlaufen, dass man ohne Unterstützung nicht auskommt.) Der Präsident, um Selbstbeherrschung bemüht, empörte sich, wieso die Europäische Union so hartnäckig auf dem Ausgleich der in Russland geltenden Preise und der Exportpreise für Energieträger besteht. Wieso gerade diese Frage ein Hindernis beim Beitritt Russlands zur WTO darstellt? Der scharfe Ton ähnelte zeitweise einer Drohung: "Wir sehen das so: Russland werden die Arme verdreht, aber Russlands Arme werden immer stärker. Sogar so einem starken Partner wie der Europäischen Union wird es nicht gelingen, sie zu verdrehen." (...) Eine Reaktion von Schröder folgte nicht. (...)

Putin fuhr fort: Europa muss erstens am günstigen Gas interessiert sein und - zweitens - daran, dass die russische Wirtschaft nicht zusammenbricht. Zu diesem Zusammenbruch, so Putin, werde es jedoch bei einem Ausgleich der Preise für Energieträger unvermeidlich kommen. Das bedeute, dass das, was die WTO von Moskau verlange, "falsch und unehrlich" sei.

Die Bitte um Hilfe wurde jedoch erhört. Der Kanzler war aber sehr vorsichtig. Besonders was die Perspektiven der Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union betrifft. "Die erweiterte Europäische Union wird engere Kontakte zu Russland pflegen. Ob etwas anderes auf dieser Grundlage möglich ist – ich glaube, es ist jetzt nicht an der Zeit, darüber zu diskutieren", betonte Schröder.

(...)

Das "Urteil" des Präsidenten zu Gasprom bedeutet, dass die Wünsche der Führung der Monopolgesellschaft aller Wahrscheinlichkeit nach in Erfüllung gehen werden. Der Vorstandsvorsitzende von Gasprom Aleksej Miller erklärte bereits mehrmals, dass der Konzern nicht nach dem Prinzip von RAO "EES Rossiji" reformiert werden darf, das heißt Trennung des Gastransportsystems, der Verwaltung und der Gasförderbetriebe von einender. Die Manager von Gasprom behaupten, dass eine solche Reform zum Zerfall der gesamten Gasbranche führen werde. Miller erinnerte daran, dass das Unternehmen fast ein Viertel der russischen Haushaltseinnahmen sichert.

Es gibt auch eine ganz entgegengesetzte Meinung. German Gref und dessen Behörde behaupten, dass nur eine vollständige Umgestaltung von Gasprom einen vollwertigen Gasmarkt im Land, die endgültige Lösung des Problems mit der Bezuschussung einer Branche auf Kosten einer anderen und eine Transparenz des "Gas-Monsters" herbeiführen würde. Nach Ansicht der Greff-Mannschaft wird dann parallel auch der Forderung der EU nach Liberalisierung der Gaspreise nachgekommen. Vorläufig erwerben die russischen Verbraucher das Gas für einen Preis, der unter den Selbstkosten liegt. Während das Gas in Europa über 100 Dollar für 1000 Kubikmeter kostet, so sind es in Russland bisweilen weniger als 30 Dollar.

Die Probleme mit der WTO und der EU brachten Putin auf die Beziehungen zu den Nachbarn in der GUS. Nach Ansicht von Putin gibt es auf dem Territorium der GUS außer Gasprom keine sicheren Gaslieferanten: "Einige hegen Illusionen, dass man auch ohne Russland Energieressourcen aus anderen Ländern bekommen könnte." Putin bemühte sich, die Illusionen zu zerstreuen, nicht nur die, die sich seiner Meinung nach die EU macht. Usbekistan, erklärte er, sei in technischer Hinsicht unzuverlässig - "von den 94 Pumpanlagen funktionieren bei denen lediglich 4". Äußerst unzuverlässig ist Putin zufolge ein weiterer alternativer Lieferant – Turkmenistan. Jedoch in ganz anderer Hinsicht. "Die verkaufen erst uns 40 Millionen Kubikmeter und später dieselben der Ukraine", sagte Putin, dem gewöhnlich zu viel Milde gegenüber dem turkmenischen Präsidenten vorgeworfen wird. (...) (lr)