Die „Bergtour“ geht weiter – Deutschland mit Zittersieg gegen Portugal
19. Juni 2008Nach einer eher durchwachsenen Vorrunde wollte die deutsche Mannschaft vor 42.500 Zuschauern im Baseler St.Jakob Park gegen Portugal wenigstens das Minimalziel Halbfinale bewerkstelligen. Zwar sprach die Statistik vor dem Spiel eine deutliche Sprache für die deutsche Nationalmannschaft – 15 Spiele gab es bisher gegen die Portugiesen, sieben mal gewannen die Deutschen, nur drei mal ging Portugal als Sieger vom Platz – doch war die deutsche Bilanz gegen Portugal bei EM-Endrunden negativ. 1984 gab es ein 0:0, 2000 in Rotterdam zeigte die B-Mannschaft Portugals Deutschland mit einem schmerzhaften 0:3 die Grenzen auf.
Den ersten Rückschlag musste das deutsche Team schon kurz vor dem Anpfiff hinnehmen. Torsten Frings konnte aufgrund des gegen Österreich erlittenen Rippenbruchs doch nicht mitspielen und wurde durch den Leverkusener Simon Rolfes ersetzt. Der andere Wackelkandidat Lukas Podolski dagegen konnte trotz Wadenblessur auflaufen und rückte für Mario Gomez hinter WM-Sturmpartner Miroslav Klose in den Sturm. Komplettiert wurde das Mittelfeld durch Thomas Hitzlsperger und Bastian Schweinsteiger, der nach abgesessener Rot-Sperre wieder dabei war. Dazu durfte Joachim Löw wegen seiner Sperre aus dem Österreich-Spiel nicht auf der Bank Platz nehmen, sondern musste das Geschehen von der Tribüne aus verfolgen. Damit gab Hans-Dieter Flick sein Debüt als "Cheftrainer" auf der deutschen Bank.
Doppelschlag aus heiterem Himmel
Nach fünfzehn Minuten verhaltenem Abtasten war es der portugiesische Rechtsaußen Simao, der für die erste gelungene Offensivaktion sorgte. Aus spitzem Winkel prüfte er Jens Lehmann, der den Ball aber sicher fing. Das portugiesische Konzept über die Flügel zu spielen, schien weiter aufzugehen. In der 20. Minute kam Joao Moutinho, nach Flanke Simao, frei vor dem Tor nur mit dem Knie an den Ball und bugsierte ihn über die Querlatte. Im direkten Gegenzug dann der Paukenschlag: Wie aus dem Nichts tauchte Podolski auf dem linken Flügel auf. Von dort bediente er mit einer scharfen Hereingabe Schweinsteiger, der flach ins untere linke Eck abschloss. 1:0 für Deutschland nach 21 Minuten.
Die deutsche Elf nutzte den Schwung der überraschenden Führung und legte nur fünf Minuten später nach. Schweinsteiger zirkelte einen Freistoß Richtung Strafraum, Klose stieg am höchsten und drückte den Ball unhaltbar für Torwart Ricardo per Kopf ins Tor. Es war das erste EM-Tor in Kloses Karriere, zugleich sein 50. Länderspieltor. Nun war es ein offenes Spiel. Portugal antwortete mit einer schönen Kombination über rechts. Ronaldo und Simao spielten sich mit mehreren Doppelpässen an der deutschen Defensive vorbei, ehe Mertesacker Ronaldos Schuss zur Ecke klären konnte. In der 40. Minute war es dann aber doch passiert. Ronaldo kam über links durch, Lehmann parierte seinen Schuss glänzend, den Nachschuss aber staubte Nuno Gomes zum 1:2-Halbzeitstand ab.
Postiga lässt Deutschland noch einmal zittern
In den ersten fünf Minuten nach der Pause schwächte sich das deutsche Team durch zwei taktische Fouls der Außenverteidiger Arne Friedrich und Philipp Lahm, die dafür jeweils die gelbe Karte erhielten. Portugal machte weiter Druck. Nach einer Ecke in der 57.Minute tauchte Innenverteidiger Pepe alleine vor Jens Lehmann auf, brachte seinen Kopfball aus drei Metern aber nicht im Tor unter. Besser machte es der deutsche Kapitän Michael Ballack in der 61.Minute, als er mitten in der Drangphase der Portugiesen eine Freistoßflanke von Schweinsteiger am herauseilenden Ricardo vorbei einköpfte. Fast eine Kopie des zweiten Tores: 3:1 für Deutschland. Ein Treffer genau zum richtigen Zeitpunkt.
Hans-Dieter Flick wechselte in der 73.Minute Tim Borowski für Hitzlsperger ein. Auch der portugiesische Trainer Luis Felipe Scolari reagierte und brachte mit Nani für Nuno Gomes und Helder Postiga für Petit frische Offensivkräfte. Portugal versuchte es in der Folgezeit immer wieder mit Weitschüssen, die aber entweder im Toraus oder in den Armen von Jens Lehmann landeten. Näher dran war da Lukas Podolski, dessen Direktabnahme aus rund 30 Metern aber nur den Außenpfosten streifte. In der 83.Minute durfte der Mann des Tages den Platz unter tosendem Beifall der Fans verlassen. Für Bastian Schweinsteiger wurde Clemens Fritz eingewechselt. Als alle dachten, das Spiel sei entschieden, sorgte Helder Postiga per Kopf für den 2:3-Anschlusstreffer. Drei deutsche Abwehrspieler hatten die Flanke von Nani nicht verhindern können.
Schweinsteiger zeigt die richtige Reaktion
Doch trotz unermüdlich anrennender Portugiesen, die bis zum Ende der von Schiedsrichter Peter Fröjdtfeldt mit vier Minuten großzügig berechneten Nachspielzeit auf den Ausgleich drängten, reichte es am Schluss für die DFB-Elf. Der Jubel von Spielern, Ersatzspielern, Trainern und Betreuerstab fiel ähnlich überschwänglich aus, als sei der Titel bereits gewonnen. Während die Deutschen auf die Ehrenrunde gingen und mit ihren Fans feierten, trotteten die Portugiesen enttäuscht vom Platz. "Ich bin natürlich enttäuscht und frustriert", sagte Luis Felipe Scolari nach dem Abpfiff. "Deutschland war in den entscheidenden Szenen einfach die bessere Mannschaft."
Grenzenloser Jubel dagegen auf deutscher Seite. "Ich bin überglücklich, dass wir das Spiel gewonnen haben", freute sich der Mann des Abends Bastian Schweinsteiger, der mit einem Tor und zwei Vorlagen entscheidenden Anteil am Erfolg hatte. "Ich wusste, dass ich gegen Kroatien einen Fehler gemacht habe. Ich wollte der Mannschaft so gut wie möglich helfen." Auch Mannschaftskapitän Michael Ballack war zufrieden mit der Leistungssteigerung seines Teams: "Heute hat man gesehen, was in der Mannschaft steckt, wenn sie befreit aufspielt." Jetzt wartet als nächste Stufe der so genannten Bergtour zum EM-Gipfel im Halbfinale am kommenden Mittwoch der Sieger des Spiels Kroatien gegen die Türkei und da wäre gegen die Kroaten ja noch eine Rechnung offen.