DFB-Team: Ernüchterung und ein bisschen Hoffnung
10. Juni 2025Enttäuscht und mit hängenden Köpfen schlichen die Spieler vom Platz im Stuttgarter Stadion. Nach der Niederlage gegen Frankreich in der Nations League war allen Nationalspielern die Ernüchterung anzusehen.
Zwar zeigte die DFB-Elf gegen Frankreich eine deutlich verbesserte Leistung im Vergleich zum Duell mit Cristiano Ronaldo und Portugal, dennoch standen am Ende des "Final Four" zwei weitere Niederlagen auf dem Konto.
"Wir haben eine ganz andere Mannschaft gesehen, mit viel mehr Mut als noch gegen Portugal. Aber die Chancenverwertung gehört im Fußball auch dazu", sagte Bundestrainer Julian Nagelsmann und verwies auf die vergebenen Großchancen seiner Mannschaft. "Wir wissen, dass wir von den Einzelspieler-Qualitäten manchmal noch etwas unterlegen sind gegen die Topnationen. Dazu zähle ich auch Frankreich. Trotzdem waren wir heute in vielen Momenten die Topmannschaft - bis kurz vor der Ziellinie."
Keine Breite im Kader
Die beiden Partien legten offen, dass das ersatzgeschwächte Deutschland ein Jahr vor der Weltmeisterschaft in den USA, Kanada und Mexiko (11. Juni bis 19. Juli 2026) noch einen gewaltigen Schritt von der Weltspitze entfernt ist. Die Ausfälle der Stammkräfte Antonio Rüdiger, Jamal Musiala oder auch Kai Havertz konnte Nagelsmann nicht ansatzweise adäquat ersetzen.
Hinter der ersten Elf wird es dünn. Zudem fehlt es auf einigen Positionen an internationaler Klasse. Wie schon vor einigen Jahren erwiesen sich die linke Abwehrseite und der Sturm als Problemzonen - generell sind schnelle Außenspieler eher die Seltenheit.
"Was die Breite des Kaders angeht, müssen wir uns von der Illusion verabschieden, dass wir das in einem Jahr geregelt kriegen", sagte Nagelsmann mit Blick auf die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko. "Wir können nicht in zwei Jahren Versäumnisse von acht Jahren aufholen."
Deutschland bei Nachwuchsförderung abgeschlagen
Das Problem, das Nagelsmann ansprach, ist nicht neu. Dem deutschen Fußball mangelt es seit Jahren an jungen talentierten Nachwuchsspielern. Laut einer Langzeitstudie, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) in Auftrag gegeben hat, wurde die Ausbildung von Toptalenten jahrelang vernachlässigt.
"Wir konnten aufzeigen, dass wir in Deutschland deutlich abgeschlagen sind. Es war kein deutscher Verein in den Top-10 der besten fünf Nationen plus Portugal, was das Produzieren von Top-Spielern anbelangt", erklärte der ehemalige Bundesliga-Trainer Alexander Nouri, der mit der Studie beschäftigt war, im Interview mit der Online-Plattform "Transfermarkt.de".
Viele junge Leistungsträger bei Top-Nationen
Im Ausland habe man es vorgemacht und mit guter Nachwuchsarbeit "unheimlich viele Werte geschaffen", so Nouri. In Spanien begeistern die 22-jährigen Offensivspieler Nico Williams und Pedri die Experten, genauso wie das Jahrhunderttalent Lamine Yamal, der schon im Alter von 17 Jahren zahlreiche Titel auf dem Konto hat.
Auch bei Portugal zählen junge Spieler wie Nuno Mendes (22 Jahre), Francisco Conceição (22) oder der 25 Jahre alte Vitinha zu den Leistungsträgern der Nationalelf. Bei den Franzosen zeigt sich ein ähnliches Bild: Michael Olise vom FC Bayern (22) oder Désiré Doué (20) von Paris Saint-Germain, Doppeltorschütze im Champions-League-Finale.
Existenzkampf statt Talentförderung
Alle genannten Spieler profitierten von einem funktionierenden Nachwuchssystem und haben in den Vereinen sowie Nationalmannschaften etablierte Weltklassespieler wie Kylian Mbappé, Rafael Leão oder Bruno Fernandes in ihren jeweiligen Teams. In Nagelsmanns Team dagegen nähern sich die meisten Leistungsträger der 30-Jahre-Marke. Jamal Musiala und Florian Wirtz - beide 22 Jahre alt - bilden da die Ausnahme.
"In Deutschland, wo U23-Teams oft aus Kostengründen abgeschafft worden sind, hatten viele Vereine zum Beispiel keine gute Leihstrategie", sagte Nouri. Der Experte verwies zudem auf die Wichtigkeit, dass junge Spieler früh mit dem Männer-Fußball in Verbindung gebracht werden.
Doch in Deutschland sei zum Beispiel die 3. Liga eher ein "Überlebens- und Existenzkampf" für viele Vereine. "Es ist schwierig, unter diesem Druck Talenten Spielzeit zu geben", so Nouri. "Talente vom Jugend- in den Seniorenfußball zu überführen - das ist eine sehr wichtige Phase."
Nagelsmann: "Spüre etwas Besonderes in der Truppe"
Trotz mangelnder Auswahl und fehlender Breite im Kader hat auch die DFB-Elf immer wieder gezeigt, dass sie mit den großen Nationen mithalten kann. "Was immer zu 100 Prozent stimmen muss, ist unsere Bereitschaft, unsere Einstellung und unsere Mentalität", sagte Kapitän Joshua Kimmich. "Wenn das stimmt, können wir gegen alle mithalten."
Die Nationalmannschaft hat sich trotz der aktuellen Rückschläge unter Nagelsmann weiterentwickelt und ein Fundament gebildet. "Ich spüre etwas Besonderes in der Truppe. Da schlummert noch sehr viel Potenzial. Das wollen wir herauskitzeln", sagte Nagelsmann.
"Rhythmus und Spielpraxis sind der Schlüssel dafür, dass wir eine gute Mannschaft vorfinden. Wir werden zur WM überwiegend nur Spieler mitnehmen können, die das vorweisen", so der 37-Jährige. Er weiß: Um die großen Teams zu schlagen, muss wirklich alles passen.