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Deutschland will Kriegsmunition im Meer unschädlich machen

Julie Gregson
20. Juni 2025

Noch immer liegen große Mengen giftiger Kampfstoffe aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Meeresgrund vor den deutschen Küsten. Sie sollen geborgen und unschädlich gemacht werden.

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Grundmine auf dem Meeresgrund, von Algen überzogen
Grundminen aus dem Zweiten Weltkrieg rosten vor sich hin und können irgendwann giftige Substanzen oder den Sprengstoff TNT freisetzenBild: GEOMAR

Allein vor den deutschen Küsten liegen schätzungsweise 1,6 Millionen Tonnen an konventioneller Munition, das weitaus meiste davon in der Nordsee, der Rest in der Ostsee. Außerdem werden in den deutschen Küstengewässern mehrere tausend Tonnen chemischer Kampfstoffe vermutet.

Das meiste Kriegsmaterial dort ist seit 80 Jahren vergessen. An Land werden in Deutschland regelmäßig Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft. Dazu müssen manchmal in spektakulärer Weise ganze Stadtviertel geräumt werden, so wie kürzlich wieder in Köln. Im Meer dagegen ist die Bedrohung heimtückischer.

Das deutsche Umweltministerium hat Mitte Juni bei der UN-Ozeankonferenz im südfranzösischen Nizza ein Projekt zur Kampfmittelbeseitigung unter Wasser vorgestellt. Eine mobile Plattform soll autonom Kampfmittel vom Meeresgrund bergen und unschädlich machen.

Umweltminister Carsten Schneider am Rednerpult der UN-Ozeankonferenz
Bundesumweltminister Carsten Schneider stellte den Plan zur Kampfmittelräumung bei der UN-Ozeankonferenz in Nizza vorBild: Sascha Hilgers/dpa/picture alliance

"Bisher hat man nur geborgen, wenn Gefahr im Verzug ist, also zum Beispiel Blindgänger explodieren könnten", sagte Sebastian Unger der DW. Unger ist beim Umweltministerium für Meeresschutz zuständig. "Jetzt geht es darum, aus Gründen des Umwelt- und Meeresschutzes, letztlich auch des Gesundheitsschutzes, dieses Problem endlich anzugehen."

Phosphorklumpen, die wie Bernstein aussehen

Zum gefährlichen Erbe des Zweiten Weltkrieges auf dem Meeresgrund zählen zum Beispiel deutsche Seeminen und Bomben, die alliierte Flugzeuge auf dem Rückweg nach Großbritannien abgeworfen haben.

Der größte Teil stammt jedoch aus der Zeit kurz nach dem Krieg. Britische Truppen kippten Kampfmittel, die sie in deutschen Waffenfabriken und Waffenlagern fanden, einfach ins Meer - eine schnelle Lösung damals, um das besiegte Deutschland zu entwaffnen.

In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass diese Waffen zerfallen. Zum Beispiel werden manchmal Klumpen von weißem Phosphor und eine explosive Mischung, die den Sprengstoff TNT enthält, an Land gespült. Diese Klumpen sehen wertvollem Bernstein zum Verwechseln ähnlich. Sammler wurden deswegen schon verletzt.

Krebserregende Stoffe in Muscheln

Toxikologische Analysen von Muscheln in den betroffenen Gebieten haben gezeigt, dass sie Spuren krebserregender Chemikalien aus der Munition enthalten. Diese Untersuchungen seit den 1980er Jahren zeigen einen stetigen Anstieg der Belastung seit 2002.

Bernstein zusammen mit Algen im Sand
Bernstein ist ein beliebter Fund an der Ostsee, doch Vorsicht: Phosphorklumpen aus Munition können fast genauso aussehenBild: Andreas Franke/picture alliance

"Jetzt sind die Konzentrationen noch sehr, sehr, sehr niedrig. Man muss da als Mensch keine Bedenken haben, wenn man diese Muscheln isst", sagt Edmund Maser vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, der an der Forschung beteiligt ist. "Wenn man das Ganze aber ein bisschen weiterverfolgt, dann kommt das schon so, dass man vielleicht in 30, 40 Jahren unter Umständen sich Gedanken machen muss, ob man solche Muscheln noch essen kann."

Das Meeresökosystem ist aber bereits heute bedroht, glaubt Maser. Spuren von TNT wurden bereits in Fischen und im Meerwasser gefunden. Und während die Metallhülsen nicht explodierter Sprengkörper im Meer vor sich hin rosten, dürfte die Gefahr zunehmen.

Kistenweise Munition

2016 beauftragte die schleswig-holsteinische Landesregierung GEOMAR, das Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, herauszufinden, welche Kampfmittel sich auf dem Meeresgrund befinden und welche Umweltauswirkungen sie haben.

GEOMAR entwickelte dazu in der noch andauernden Pilotphase verschiedene akustische und visuelle Techniken. Die Ergebnisse der Untersuchung sind erschreckend. "Da ist zum Beispiel die Munition - kistenweise", sagt Jens Greinert von GEOMAR der DW. "Da ist eine Stelle, 20 mal 40 Meter groß. Eine Kiste auf der anderen liegt da, wie vom LKW abgeladen. Dann gibt es eine andere Stelle, wo ganz viele Bomben waren, 50-Kilo- bis 250-Kilo-Bomben, die auf dem Boden liegen, quer wie Mikado hingeschmissen." Kleinkalibermunition, Pistolen und Raketenwerfer wurden ebenfalls gefunden.

Munition im Meer, von oben aufgenommen
Munitionsaltlasten in der Lübecker Bucht, aufgenommen vom Kieler Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Bild: Geomar/dpa/picture alliance

Die Bergung ist schon wegen der sehr verschiedenen Kampfstoffe kompliziert und gefährlich. Vieles kann immer noch explodieren, und es besteht die Gefahr, dass giftige Stoffe wie TNT bei der Bergung und Unschädlichmachung freigesetzt werden.

Tickende Zeitbombe

Der Naturschutzbund Deutschland, NABU, macht schon seit 2007 auf die Gefahr aufmerksam und fordert, dass die Räumung möglichst bald beginnt. "Wir haben nicht mehr viel Zeit, weil der Verfall ja teilweise schon weiter fortgeschritten ist, als wir gehofft haben", sagt Kim Detloff vom NABU der DW.

"Wir haben das Problem auch an Land. Aber dort bleiben die Schadstoffe lokal, und im Meer verteilen sie sich eben weiter, sie gehen in die Nahrungskette über."

Nach den Worten des NABU-Experten gibt es Probleme mit der dauerhaften Finanzierung der geplanten schwimmenden Plattform zur Bergung der gefährlichen Kriegsstoffe. Eigentlich müsse sie ununterbrochen im Einsatz sein. Wegen der Tragweite des Problems reiche aber auch eine Plattform bei weitem nicht aus.

Die Bundesregierung hat die laufende Pilot- und die nächste Phase des Projekts mit 100 Millionen Euro finanziert. Die schwimmende Räumplattform soll Ende 2026, Anfang 2027 einsatzfähig sein, sagt Sebastian Unger vom Bundesumweltministerium. Er hofft, dass das Verfahren Schule macht und später auch in anderen Teilen der Welt angewendet wird.