Deutschland: Wie geht es weiter mit der Klimabewegung?
14. Februar 2025Etwas mehr als eine Woche bevor die Deutschen an die Wahlurnen gehen, rufen Klima- und Umweltschutzgruppen an diesem Freitag bundesweit zu Demonstrationen für den Klimaschutz auf. Auch Pit Terjung bereitet sich darauf vor, in Berlin auf die Straße zu gehen.
Als Sprecher der Klimabewegung Fridays for Future wird er gemeinsam mit anderen Demonstrierenden von der kommenden Bundesregierung bezahlbare, gerechte und konsequente Klimaschutzmaßnahmen einfordern.
Doch die Stimmung, die aktuell in Deutschland herrscht, unterscheidet sich stark von dem optimistischen Schwung, den Terjung bei den Massendemonstrationen im Jahr 2019 erlebt hat. Damals gingen schätzungsweise 1,4 Millionen Menschen für mehr Klimaschutz auf die Straße. "Es sind definitiv harte Zeiten für den Klimaaktivismus im Moment", sagt er.
Im Gegensatz zur Bundestagswahl 2021, bei der das Thema ganz oben auf der Agenda stand, wird der Klimaschutz im aktuellen Wahlkampf von hitzigen Debatten über Zuwanderung, eine schwächelnde Wirtschaft und den Aufstieg der extremen Rechten überschattet.
Für Terjung, der mit 19 Jahren das ersten Mal den Bundestag mitwählen kann, steht die fehlende Aufmerksamkeit für das Thema Klima in dramatischem Kontrast zur Realität. "Wir haben gerade das heißeste Jahr in der Geschichte der Menschheit hinter uns".
Klimaaktivismus: von der Öffentlichkeit weniger befürwortet
Obwohl die deutsche Klimabewegung in den letzten Jahren große Erfolge verzeichnen konnte – beispielsweise das Klimagesetz, das Deutschland zu Treibhausgas-Einsparungen von 65 Prozent bis 2035 verpflichtet - glaubt Terjung, dass der Vorsitzende der Mitte-Rechts-Partei Christlich Demokratische Union (CDU) Friedrich Merz, dem gute Chancen als künftiger deutscher Bundeskanzler zugeschrieben werden, "ganz existenzielle Säulen der Klimapolitik zurückschrauben wird".
Klimapolitische Maßnahmen - wie der Ausbau der Windenergie, das EU-weite Verbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotor und der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen - stoßen auf Widerstand fast im gesamten politischen Spektrum.
Es gebe nicht nur Groll gegen die Klimapolitik und die scheidende Regierungskoalition, sagt Simon Schaupp, Professor für Soziologie an der Technischen Universität Berlin. Auch die öffentliche Wahrnehmung von Klimaaktivistinnen und -aktivisten habe sich in Deutschland komplett gewandelt: "von Helden im Jahr 2019 zu Schurken heute".
"Die Klimabewegung ist auf dem Rückzug - das ist eine unbestreitbare Tatsache", so Schaupp weiter. Das zeige sich sowohl in den Mitgliedszahlen als auch in den dramatisch gesunkenen Zustimmungswerten in der Öffentlichkeit. Die Unterstützung für die Bewegung hat sich laut Umfragen zwischen 2021 und 2023 in Deutschland halbiert, was demnach vermutlich vor allem auf umstrittene Straßenblockaden durch bestimmte Klimaschutzgruppierungen zurückzuführen ist.
In Deutschland gebe es einen "besorgniserregenden Trend" von wachsendem Druck auf den Klimaaktivismus. Dazu zählten etwa die sogenannte Präventivhaft oder diffamierende politische Äußerungen, heißt es in einem Bericht, der letzten Monat von einem Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Gruppen und akademischen Instituten veröffentlicht wurde. Darin wird betont, dass mehr als 80 Prozent aller Menschen, die sich für den Klimaschutz einsetzen, verschiedenen Repressionen ausgesetzt waren, darunter Polizeieinsätzen und Versammlungsverboten.
Neu Allianzen stärken die Klimabewegung
Im vergangenen Jahr war die Fridays-for-Future-Bewegung bei Protesten gegen die Bedrohung der Demokratie im ganzen Land aktiv. Während das Klima immer im Mittelpunkt der Agenda sei, müsse man sich derzeit auch mit anderen Themen beschäftigen, bestätigt Terjung.
"Es gibt eine klare Verbindung zwischen Demokratie und dem Zustand des Planeten", erklärt er, und fügt hinzu, es sei wichtig, Allianzen mit verschiedenen Gruppen zu schmieden. "Wir brauchen auch Akteure aus ganz anderen Teilen der Gesellschaft, die ihre Stimme erheben."
So habe Fridays for Future in Deutschland bereits gemeinsam mit den Gewerkschaften des öffentlichen Nahverkehrs demonstriert. Nun könnte man auch Kirchengemeinden oder Branchen wie die Stahlindustrie, die den Wandel hin zu klimaschonenden Technologien beschleunigen wollen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, ermutigen, sich für den Klimaschutz einzusetzen, schlägt Terjung vor.
"Wenn Klimaaktivisten Allianzen mit Gewerkschaften und fortschrittlichen Unternehmen eingehen, wird eine konservative Regierung mit einem mächtigen Narrativ zu kämpfen haben", bestätigt Simon Teune, der sich als Soziologe an der Freien Universität Berlin mit dem Thema Protest befasst.
Diese Allianzen könnten insbesondere die sozialen Ungleichheiten hervorheben, die in der Klimakrise entstehen. "Wohlfahrtsverbände haben sich bereits auf die Seite von Fridays for Future gestellt. Sie werden eine wichtige Stimme in kommenden Protesten gegen die steigenden Energie- und Wohnungspreise sein."
Bessere Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg für Klimathemen
Die Herausforderungen angesichts von Klima-Desinformationen seien größer denn je, sagt Jens Clausen, leitender Wissenschaftler und Mitbegründer des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit.
Clausen, der seit fünf Jahrzehnten im Umwelt- und Klimaschutz tätig ist, engagiert sich bei Scientists for Future Deutschland, einer Umweltorganisation, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf der ganzen Welt zur Unterstützung von Fridays for Future gegründet wurde.
Als er kürzlich vor einer Gruppe deutscher Gymnasiastinnen und Gymnasiasten sprach, sei er erstaunt gewesen, dass diese nicht wussten, dass fast 63 Prozent des Stroms in Deutschland bereits aus erneuerbaren Energien stammt. "Wenn sie es nicht wissen, können sie es nicht glauben", so Clausen.
Wenn es um neue Technologien gehe, müssen man den Menschen versichern, "dass sie keine Versuchskaninchen sind", betont der Wissenschaftler. "Wir müssen versuchen, ihnen zu verdeutlichen, dass Veränderungen normal sind."
Um eine breitere Basis von Unterstützenden zu gewinnen, müssten die Klimaaktivisten jedoch erkennen, dass nicht jeder durch wissenschaftliche Fakten motiviert werden könne, sagt Schaupp, der derzeit über die Klimaerfahrungen von Bauarbeitern in Deutschland forscht. Die Klimabewegung wisse bereits, dass sie die Realität und die Erfahrungen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen ernster nehmen müsse.
Eine ungewisse Zukunft für die Klimabewegung
"Die Klimabewegung ist stark, aber es fehlt ihr schlicht an Geld, Macht und Institutionen", sagt Jens Clausen. "Die Argumente der Befürworter fossiler Energie sind schlecht, aber sie haben mehr Geld, sie machen mehr Pressearbeit und es ist schwer, gegen sie anzukämpfen."
Nach Jahrzehnten in der deutschen Klimabewegung, so Clausen, sehe er sich ein wenig wie ein Mönch, der ständig für eine gute Sache arbeitet. "Man sieht nicht jeden Sonntag viele Menschen in der Kirche, aber man hat sein Kloster, und man hat seine Arbeit, und man hofft, dass sie hilft." Clausen hofft, dass sich nach der Wahl eine starke zivilgesellschaftliche Opposition herausbilden wird, die als Wächter des Klimas fungiert und die Regierung in die richtige Richtung drängt.
Fridays-for-Future-Sprecher Terjung meint, dass der Rückschlag, den die Klimabewegung derzeit erlebe, zwar "wirklich schmerzhaft ist", aber sie sei eben eine Gegenreaktion auf all das, was man bereits erreicht habe.
Für ihn persönliche gebe es keinen Weg zurück. Im Deutschen, sagt er, gebe es ein schönes Wort, um das Gefühl zu beschreiben, wenn man auf die Straße gehe und dann die Wirkung seines Protests sehe: Selbstwirksamkeit.
"Wenn man das einmal gespürt hat, kann man es nicht mehr vergessen. Ich könnte mir nicht vorstellen, auf diese Kraft zu verzichten."
Redaktion: Tamsin Walker, Adpation aus dem Englischen: Jeannette Cwienk