Deutschland: Wenn Klöster sterben
2. Juli 2025Eine ungewöhnliche Immobilienanzeige: Gut 136.000 Quadratmeter Grundstück (das sind etwa 19 Fußballfelder), 11.664 Quadratmeter Wohnfläche, 130 Zimmer. Die Benediktinerinnen der Abtei St. Erentraud bei Kellenried im Süden Baden-Württembergs, zwischen dem Bodensee und Ulm gelegen, suchen einen Käufer für ihre Klosteranlage. Kaufpreis: Knapp fünf Millionen Euro.
"Ja", bestätigt Schwester Eva-Maria am Telefon den Vorgang. Und bittet dann um Verständnis. "Wir halten uns im Moment zurück, derzeit können wir uns nicht dazu äußern." Der Konvent hat eine einladende und informative Homepage, auf einem der Hauptfotos sieht man noch weit mehr als das gute Dutzend Schwestern, das heute hier noch lebt. 2018 waren es noch 19 Ordensfrauen.
Die ersten Nonnen kamen 1924 an diesen Ort, zwei Jahre später wurde die Abtei offiziell gegründet. Nun findet sich die Notiz über die einfache 100-Jahr-Feier 2024 auf der gleichen Seite wie der Hinweis auf die Schließung des kürzlich renovierten Gästebetriebs. Selbst der Verkauf der großen Objekte bedeutet nach Einschätzung von Experten für die Orden kaum großen Gewinn; denn der Bau passender Wohnanlagen für die verbleibenden Kräfte erfordere viele Mittel.
Im Trend
Kellenried fällt wegen des Immobilien-Inserats bei einem gewerblichen Anbieter, der sich auf entsprechende Objekte spezialisiert hat, auf. Aber es ist kein Einzelfall. Jahr für Jahr werden Dutzende Klöster oder kleinere Konvente in Deutschland geschlossen und Gebäude abgewickelt. Nach Angaben der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) sank die Zahl der Frauenklöster in Deutschland von 1.627 im Jahr 2012 binnen zehn Jahren auf 964 im Jahr 2022. Bei den Männerorden ging die Zahl von 461 auf 385 zurück.
Traditionell gab und gibt es in Deutschland viel mehr weibliche Ordensleute und Frauenklöster als Männer-Gemeinschaften. Frauen sind in der katholischen Kirche die Weiheämter des Diakons, Priesters oder des Bischofs verwehrt.
2004 verzeichneten die Frauenorden in Deutschland laut DOK 26730 Mitglieder, die Männerorden 5108. Zehn Jahre später waren es dann 17513 Frauen und 4370 Männer, und 2024 blieben 9467 Mitglieder bei den Frauenorden und 3161 bei den Männerorden. Und schaut man bei den Frauenorden auf die Zeit seit Ende des Zweiten Weltkriegs, gab es 1960 mit über 93.000 noch einen absoluten Höchststand.
Mehrere Gründe
Für die stellvertretende DOK-Vorsitzende Maria Thoma Dikow gibt es diverse Gründe für den Absturz der Zahlen. Die Bindungskraft der Kirche, sagt sie im Gespräch mit der Deutschen Welle, habe stark nachgelassen. Es gebe auch nur noch selten kinderreiche Familien, aus denen früher nicht wenige Ordensfrauen gekommen seien.
Und noch ein Gedanke ist ihr wichtig: "In früheren Zeiten konnten Frauen ja kaum studieren und nicht einfach einen verantwortlichen Beruf in der freien Wirtschaft erreichen." Diese Chancen habe es damals aber in den Ordensgemeinschaften gegeben. Sie ist selbst seit zehn Jahren Generaloberin der "Heiligenstädter Schulschwestern", die sozial sehr engagiert sind.
Ihr Orden, so Dikow, sei seit langem auch in Mosambik aktiv. "Dort treten sehr viele junge Frauen ein. Und dort ist dieser Schritt nach meinem Eindruck heute eine wirkliche Möglichkeit für junge Frauen, sich zu emanzipieren, einer Ehe zu entgehen, die im Wesentlichen darauf beruht, viele Kinder zu bekommen und stattdessen einen Beruf auszuüben." Der Mitgliederschwund, den die Frauenorden in Deutschland verzeichneten, gebe es in vielen Ländern. Sie nennt unter anderem Frankreich, Spanien und Polen, Kanada, die USA und Australien. So gilt: Auch wenn nun schon ein zweiter Papst in Folge Ordensmann ist, können die Orden doch in der Krise sein.
Der rasante Rückgang in Deutschland, fast ein Absterben mancher Ordensbewegungen, hat drastische Konsequenzen. Längst haben Orden beispielsweise viele Schulen oder Krankenhäuser, um die sie sich lange kümmerten, an die Bistümer, oder an Wohlfahrtsverbände oder freie Träger abgegeben.
Gerade in katholisch geprägten ländlichen Gebieten wie der Eifel, Westfalen, Bayern oder Baden-Württembergs gibt es zahlreiche Klöster, die in den letzten Jahrzehnten aufgegeben wurden. Darunter sind auch bekannte Häuser wie die Trappistinnen-Abtei Mariawald in der Eifel oder das Franziskaner-Kloster Neviges nordöstlich von Düsseldorf, auch der Konvent der Franziskaner im westfälischen Wallfahrtsort Werl. Übrigens: Auch in den evangelischen Kirchen, in denen es nur wenige Klöster gibt, zeigt sich dieser Trend. Das stolze Stammhaus der Kaiserswerther Diakonissen im Norden von Düsseldorf ist heute ein angenehmes Vier-Sterne-Hotel.
Der Abschied vom vertrauten Kloster, von einem wichtigen Stück Leben, ist oft ein schmerzhafter Bruch. Der Franziskaner-Pater Damian Bieger, der im Kloster Neviges lebte, brachte es vor Jahren bei "katholisch.de" auf den Punkt: "In Neviges habe ich die Franziskaner kennengelernt, da bin ich in den Orden eingetreten, da war ich Kaplan, da war ich Pfarrer, das hat saumäßig wehgetan."
"Auch eine Befreiung"
Ganz so drastisch sagt es Schwester Maria Thoma nicht. Nicht selten sei der Abschied für Ordensfrauen dennoch schmerzhaft. "Es bedarf einer sehr guten, feinfühligen und langwierigen Begleitung", sagt sie. Aber die Generaloberin betont, manchmal sei ein solcher Schritt "auch eine Befreiung". Sie kenne "sehr gelungene Beispiele von Mitschwestern, die sagen: Wir waren so froh, als wir unsere letzte Immobilie verkauft hatten. Wir sind ganz viele Sorgen losgeworden." Ihr eigener Konvent in Heiligenstadt, sei bereit, "sich auf Neues einzulassen" und habe bereits eine Etage geräumt und an einen Träger der Behindertenhilfe vermietet.
Dieses Beispiel passt ganz in die Vorstellungen von Ulrike Rose. Die langjährig tätige Baukultur-Expertin betreibt mit einer Kollegin das Büro "Kulturräume gestalten" und wirbt engagiert für die Bewahrung von Baubestand und Baukultur anstatt immer neuer Neubauten. Auch und gerade in Frauenklöstern, auf die sie sich spezialisiert hat.
Unter anderem begleitete das Büro die große Benediktinerinnenabtei St. Hildegard in Eibingen bei Rüdesheim, die einst mehr als 100 Schwestern zählte und derzeit 33 hat, das Kloster der Oberzeller Franziskanerinnen in Würzburg und weitere bayerische Klöster. Es sei "so lohnenswert, mit den Schwestern über die Zukunft ihrer Objekte nachzudenken und dabei auf nachhaltige Ansätze hinzuarbeiten".
Wenn es gelinge, ein Kloster im Kern zu bewahren, könne das für eine ganze Gegend ein Gewinn sein. Viele Menschen, ob sie nun noch kirchlich gebunden seien oder nicht, identifizierten sich mit Klöstern. So könne ein gemeinschaftliches Wohnprojekt durch eine Wohnungsbaugesellschaft ebenso in einem Teil eines Klosters Heimat finden, wie etwa Räume für Kultur und Bildung oder zeitgemäße Beherbergung für Menschen, die Stille und spirituelle Nähe suchen.
"Heute geht es um das echte Tafelsilber der Orden, die großen Mutterhäuser, auch Herrenhäuser oder kleine Schlösser", die in früheren Jahrhunderten Menschen den Orden aus Dankbarkeit geschenkt oder überlassen hätten.
"Es braucht Offenheit"
Ob eine Klostergemeinschaft den Bestand unter veränderten Bedingungen schaffe, sagt Rose, "hat nichts mit dem Alter der Schwestern zu tun, sondern mit ihrer Offenheit" für Veränderungen. Für manche Schwester sei es gewiss einfacher, im Sinne von "ein Ende mit Schrecken" einen Komplex komplett aufzugeben, als Fremde mit in ein Gebäude zu lassen. Denn oft sei tatsächlich die Pracht von Bauten eine Last. "Wichtig ist: Es braucht Offenheit, sich unterstützen zu lassen."
Neben Offenheit brauche es Zeit, an Lösungen zu arbeiten, sagt die Kulturmanagerin und Baukultur-Expertin. Aber oft gelinge es, Projekte zu entwickeln, die den Klöstern entgegenkämen und das Gemeinwohl im Blick hätten. "Durch kluge, architektonische Lösungen kann der Lebensbereich der Schwestern erhalten und die Last des Unterhalts auf mehrere Schultern verteilt werden."
Korrekturhinweis: Wir haben einen Rechenfehler zur Umrechnung des Grundstücks in Fußballfelder korrigiert. Die Grundstücksgröße von 136.000 Quadratmetern entspricht etwa 19 Fußballfeldern (nicht 190).