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Bundesregierung zögert bei Aufnahme kranker Kinder aus Gaza

8. August 2025

Fünf deutsche Städte haben angeboten, schwerkranke und traumatisierte Kinder aus dem Gazastreifen aufzunehmen und zu behandeln. Doch die konservativ geführten zuständigen Ministerien treten auf die Bremse.

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Zwei offenbar verletzte Kinder liegen auf Bahren in einer Sanitätsstation, um sie herum Frauen und ein weiteres Kind
Verletzte nach einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen Mitte JuliBild: Belal Abu Amer/APA Images/ZUMA/picture alliance

Mehrere deutsche Städte haben angeboten, schwerkranke oder traumatisierte Kinder aus dem umkämpften und schwer verwüsteten Gazastreifen aufzunehmen und medizinisch zu behandeln. Das Angebot kommt aus Hannover, Düsseldorf, Bonn, Leipzig und Kiel.

Die Städte brauchen dafür aber die Unterstützung des Bundes. Bundesbehörden müssten Einreiseverfahren, Auswahl der Kinder und die gesamte Koordination der Hilfsaktion übernehmen. In einem Schreiben an Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Außenminister Johann Wadephul (CDU) baten die Oberbürgermeister der Städte um Hilfe. 

Ministerien: Hilfe vor Ort bringt mehr

Doch die Bundesregierung zögert. Auswärtiges Amt und Innenministerium, die beiden zuständigen Ressorts, wollen erst einmal die Sachlage prüfen. Eine Unterstützung hänge "entscheidend von der Sicherheitslage" ab, sowie "der Möglichkeit der Ausreise und von weiteren Faktoren", sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Mittwoch (6. August). Hauptfokus bleibe deshalb "die Ausweitung der medizinischen Hilfe vor Ort und in regionaler Nähe". Grundsätzlich sieht die Bundesregierung das Angebot aber positiv. Es sei ihr "ein wichtiges Anliegen", zivilgesellschaftliche Akteure bei der medizinischen Behandlung von minderjährigen Kindern aus dem Gazastreifen zu unterstützen, so eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes.

Alexander Dobrindt gestikuliert am Rednerpult
Innenminister Alexander Dobrindt von der konservativen CSU rät zur Zurückhaltung und will sich auf Hilfe vor Ort im Gazastreifen konzentrierenBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Innenminister Dobrindt wurde am Donnerstag schon etwas deutlicher. "Man muss sehr vorsichtig sein mit dem, was man jetzt alles an möglichen Maßnahmen diskutiert", sagte er der Plattform "Table Media". Die Bundesregierung helfe den Menschen im Gazastreifen bereits. "Die Hilfe vor Ort sollte im Vordergrund stehen", so Dobrindt. Er könne die Idee zwar gut nachvollziehen. Allerdings gehe es darum, möglichst vielen Menschen zu helfen und nicht nur einigen wenigen.

CDU-Staatsministerin spricht von Wahlkampfidee

Für Empörung hatte Serap Güler (CDU), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, gesorgt. Das Angebot der Städte sah sie nicht ganz uneigennützig, zumindest nicht bei den beiden nordrhein-westfälischen Städten Düsseldorf und Bonn; dort werden im September neue Kommunalparlamente gewählt. "Diese Idee ist nett für den Wahlkampf oder um damit punkten zu wollen, den Menschen selbst hilft sie aber nicht", sagte Güler dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Ines Schwerdtner, Chefin der Oppositionspartei Die Linke, nannte die Äußerung "schäbig". Es könne nicht sein, "dass Deutschland als eines der wenigen Länder der EU die Hände in den Schoß legt und beim Sterben zuschaut." Selbst eine Sprecherin des Auswärtiges Amtes wies die Äußerung der eigenen Staatsministerin später zurück.

Angst vor neuer Migrationswelle

Doch hinter der Zurückhaltung der beiden Ministerien, Inneres und Äußeres, das eine von der CSU, das andere von der CDU geführt, steht etwas anderes. Die beiden konservativen Parteien befürchten eine neue Migrationswelle, auch wenn es zunächst um nur wenige Dutzend Kinder geht. Migration war eines der wichtigsten Wahlkampfthemen, ihre Begrenzung ein Wahlversprechen von CDU und CSU. Migration ist auch ein Thema, bei dem die in Teilen rechtsextreme Partei Alternativ für Deutschland (AfD) die Regierung ständig mit neuen Forderungen vor sich hertreibt.

AfD-Wahlplakat mit dem Spruch "Zeit für sichere Grenzen"
Im Wahlkampf zur jüngsten Bundestagswahl im Februar war Migration eines der wichtigsten ThemenBild: Oliver Zimmermann/foto2press/picture alliance

Die Vermutung bestätigte dann auch Alexander Hoffmann, der die CSU im Bundestag anführt. In einem Interview mit der "Bild"-Zeitung sagte er: "Für eine mögliche Aufnahme vulnerabler Gruppen sind zuallererst die arabischen Nachbarstaaten verantwortlich." Und dann der entscheidende Satz: "Eine Migrationsbewegung nach Deutschland kann dagegen keine Antwort sein."

Palästinenser aus Gaza gelten in Deutschland als staatenlos

Offenbar haben vor allem Mitglieder der Unionsparteien Bedenken, es werde nicht bei einer medizinischen Behandlung der Kinder bleiben, sondern auch deren Angehörige könnten per Familiennachzug nach Deutschland kommen und dauerhaft hier leben. Eine Wiederausreise würde auch dadurch erschwert, dass Palästinenser in Deutschland als staatenlos gelten, weil Deutschland Palästina bisher nicht anerkannt hat.

Beim Koalitionspartner SPD ist man dagegen offener für eine Aufnahme von Kindern aus Gaza. Dirk Wiese, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, sagte jetzt, eine Behandlung der Kinder wäre ein "Zeichen von Humanität". Voraussetzung sei eine sichere Ausreise. "Wenn es Möglichkeiten gibt, wenn es da Verständigungen geben kann, die medizinische Behandlung auch in Deutschland durchführen zu können, ich glaube, dann sollten wir das machen."

Zerstörte Gebäude, davor behelfsmäßige Zelte
Gaza-Stadt gleicht nach zahlreichen israelischen Luftangriffen einer TrümmerlandschaftBild: Mahmoud Issa/Anadolu Agency/IMAGO

Auch Belit Onay von den Grünen und Oberbürgermeister von Hannover, einer der Städte, die Kinder aufnehmen wollen, hat die Kritik aus dem Auswärtigen Amt zurückgewiesen. Die Initiative werde über Parteigrenzen hinweg von einem breiten Netzwerk von Beteiligten getragen, sagte Onay dem Evangelischen Pressedienst. Zudem habe Deutschland in der Vergangenheit auch verletzte Menschen aus der Ukraine oder misshandelte Jesiden aus dem Irak aufgenommen: "Das ist ein geübtes Verfahren. Man muss es nur wollen."

Andere europäische Länder tun es bereits

Das Zögern der Bundesregierung steht im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern. Italien und Spanien nehmen schwerverletzte Kinder aus Gaza zur Behandlung bereits auf.

Auch die britische Regierung hat inzwischen eine Evakuierungsaktion angekündigt. Die Zahlen sind auch hier niedrig. Es geht nur um etwas mehr als hundert Kinder. Hilfsorganisationen drängen die Regierung in London, schnell zu handeln. Es seien bereits Kinder in Gaza gestorben, weil sich die bürokratischen Prozesse hinzögen. Der Hannoveraner Bürgermeister Onay regte eine Zusammenarbeit mit Großbritannien an.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat sich bisher nicht zum Angebot der deutschen Städte geäußert.

Lebensmittel weiter knapp - Menschen in Gaza verzweifelt

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik