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Machtmissbrauch an Max-Planck-Instituten

Esther Felden | Lewis Sanders IV
13. März 2025

Max-Planck-Institute locken mit ihrem Ruf und Top-Forschungsbedingungen. Aber der Nachwuchs wirft Vorgesetzten Mobbing vor. Eine Recherche von DW und "Der Spiegel" zeigt: Beschwerdeverfahren versagen offenbar.

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Alt-Text: "Aubrey" im schwarzen Hoodie mit dem Rücken zur Kamera in Interview-Position
Opfer "Aubrey" berichtet von "Panikattacken vor Treffen mit dem Doktorvater"Bild: Dmytro Katkov, Madmo C. A. Springer/DW

Als Gabriel Lando an einem Abend im April 2021 das Büro seines Direktors betrat, da hätte er beim Blick in dessen Gesicht am liebsten direkt wieder kehrt gemacht. Lando arbeitete damals als Nachwuchs-Wissenschaftler am prestigeträchtigen Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden. An jenem Abend habe sein Direktor, der Physiker Jan-Michael Rost, offensichtlich einen besonders schlechten Tag gehabt, erinnert er sich. Die Situation eskalierte.

Lando wollte über eine geplante Veröffentlichung sprechen. Dann aber sei er "endlos" beschimpft worden. Eigentlich hatte Rost ihm bereits signalisiert, der Artikel sei auf einem guten Weg, doch plötzlich schleuderte er dem Postdoc Kritik entgegen und bezeichnete ihn als "autistisch" und "verdammt nutzlos" - "f****ng useless". So erinnert sich Lando, der das Institut längst verlassen hat, heute. Rost sei rasend gewesen, er habe "auf den Tisch gehauen und mich so angeschrien, dass ich seine Spucke sehen konnte".

Statue eines Gesichts im Profil vor der Eingangstür zur Zentrale der Max-Planck-Gesellschaft in München
Mobbing-Fälle gibt es nicht nur an Max-Planck-Instituten, sondern auch an anderen ForschungseinrichtungenBild: C.A. Springer/DW

Bei jedem Gespräch habe der Direktor ohne Vorwarnung aus der Haut fahren können. Lando erzählt, dass er immer wieder angebrüllt und gedemütigt worden sei. Andere ehemalige Mitarbeiter des Instituts schildern ebenfalls Ausfälle des Direktors. 

Konfrontiert mit Landos Aussagen antwortet die Max-Planck-Gesellschaft: "Herr Rost kann nicht bestätigen, die (…) kolportierten Aussagen getätigt zu haben." 

Angst und Schweigen

Über Monate hat das Investigativ-Team der Deutschen Welle gemeinsam mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel” zum Thema Fehlverhalten, Machtmissbrauch und Mobbing an verschiedenen Max-Planck-Instituten in Deutschland recherchiert. Unsere Recherchen zeigen: Ein Einzelfall ist das Dresdner Institut nicht. Mehr als 30 Forscherinnen und Forscher, die zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Instituten angestellt waren, haben uns ihre Erfahrungen geschildert. Mit Ausnahme von Lando wollten alle anonym bleiben – aus Angst vor Konsequenzen für die eigene Karriere. Etwa ein Drittel von ihnen kam aus Deutschland, die anderen kamen aus europäischen Ländern, aus Asien sowie Nord- und Lateinamerika - angelockt von einer der weltweit bekanntesten wissenschaftlichen Institutionen.  

Mit knapp 25.000 Mitarbeitern ist die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) eine Top-Adresse für Forscher aus aller Welt. Wer es an eines ihrer 84 Forschungsinstitute schafft, der zählt zur globalen Elite. Die MPG hat allein 31 Nobelpreisträger hervorgebracht. Vom deutschen Staat wird sie mit jährlich mehr als zwei Milliarden Euro finanziert. 

Guter Ruf, lange Tradition, streng hierarchischer Aufbau

Max-Planck-Institute sind stark hierarchisch strukturiert. An ihrer Spitze stehen fachlich herausragende Wissenschaftler, ausgestattet mit vielen Freiheiten und großer Machtfülle. Sie können ihr Institut weitgehend nach ihren Bedürfnissen gestalten. 

So sollen die Wissenschaftler möglichst effektiv und unabhängig forschen können. Doch das Modell ist mittlerweile auch umstritten. Ein Bericht des Bundesrechnungshofs von 2024 an das Bundesministerium für Bildung und Forschung bemängelt die fehlende Aufsicht über die Max-Planck-Gesellschaft: "Faktisch beaufsichtigt der Präsident sein eigenes Handeln", heißt es darin.

Die "omnipotenten Machtkulturen" der MPG kritisiert auch Thomas Sattelberger. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und zeitweilige parlamentarische Staatssekretär im Forschungsministerium hält Reformen innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft für überfällig. Die MPG brauche "öffentliche Aufsichtsgremien, die auch für Fehlverhalten haften".  

Unsere Gesprächspartner berichten von einem aggressiven Umgangston, Einschüchterungen, Beleidigungen und Drohungen an mindestens fünf Max-Planck-Instituten. Besonders Frauen fühlten sich gegenüber männlichen Kollegen diskriminiert. 

Aubrey, die eigentlich anders heißt, berichtet beispielsweise, wie ihr an einem Max-Planck-Institut in Ostdeutschland männliche Kollegen beigeordnet wurden, die dann sogar manchmal ihre Forschungsergebnisse als eigene ausgaben. Sie sei aus Diskussionen über ihr eigenes Projekt ausgeschlossen worden. "Es gab Projektbesprechungen, zu denen keine Frauen eingeladen waren”, erzählt die ehemalige Doktorandin. "Das kam so häufig vor, dass es für uns normal wurde." Andere Frauen schildern ähnliche Erfahrungen: Sie fühlten sich übergangen, isoliert und geringgeschätzt.

Das Institut, an dem Aubrey forschte, teilt mit, sich mangels Details nicht zu Einzelfällen äußern zu können. In den letzten fünf Jahren seien keine Meldungen über sexistisches Verhalten von Direktoren oder Gruppenleitern eingegangen.

"Hoffnung ist das Schlimmste"

Gabriel Lando war Ende 20, als er im Sommer 2020 nach Dresden kam. Er hatte in seiner Heimat Brasilien den Doktortitel erworben und freute sich über die Zusage, an einem so renommierten Institut und unter einem international anerkannten Wissenschaftler wie Rost forschen zu können. Aber schon beim ersten persönlichen Treffen sei dieser laut geworden. Lando beschreibt es als "Vorspiel" auf die kommenden Monate.

Gabriel Lando sitzend in Interview-Position in seinem Wohnzimmer in Südkorea
Seine Zeit in Dresden beschreibt Gabriel Lando rückblickend als "schlimmste" Erfahrung seines LebensBild: Mike Beech

Es sei vorgekommen, dass Rost an einem guten Tag seine Ideen lobte – nur um sie beim nächsten Treffen in der Luft zu zerreißen. Selbst wenige aufmunternde Worte hätten ihn immer wieder neu motiviert. Umso tiefer sei er danach gefallen. "Jedes Mal, wenn man hoffnungsvoll zurückkam, hat er einen zermalmt."

DW und "Der Spiegel" haben 20 Personen interviewt, die zu unterschiedlichen Zeiten am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden beschäftigt waren. Die meisten gaben an, entweder selbst ähnliche Erfahrungen mit Rost gemacht zu haben oder Zeuge gewesen zu sein. Ein ehemaliger Doktorand beispielsweise beschreibt "grauenhafte Meetings", in denen er sein "Selbstwertgefühl allmählich schwinden" sah. Besondere Macht habe Rost zudem über Doktoranden und Postdocs aus Nicht-EU-Staaten gehabt, erzählt ein anderer. Ihr Aufenthaltstitel sei an die Vertragsverlängerung geknüpft gewesen. "Er hat diese Macht missbraucht und den Leuten gedroht, ihren Vertrag nicht zu verlängern.”

Übereinstimmend wurde uns geschildert, dass Rost nur dann laut wurde, wenn man mit ihm allein im Büro war. Der Direktor habe aber oft so laut gebrüllt, dass Zeugen es auf dem Flur hören konnten. Sobald eine dritte Person im Raum war, sei er dagegen sehr charmant aufgetreten. 

Die Max-Planck-Gesellschaft wollte sich zu den anonym zitierten Vorwürfen nicht äußern. Weitere Auskünfte zum Fall Rost erteilte sie nicht.

Mehrere der Betroffenen gaben an, dass sie während der  Zeit am Institut eine Depression entwickelten und sich professionelle Hilfe suchten.

Fassade des Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme in Dresden
Seit Sommer 1993 wird am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden geforscht Bild: C.A. Springer/DW

Jeder Fünfte betroffen

Dabei ist der MPG das Mobbing-Problem lange bekannt. 2019 ließ die Organisation eine Umfrage an ihren Forschungseinrichtungen durchführen: Fast jeder fünfte Umfrageteilnehmer gab an, Erfahrungen mit Mobbing gemacht zu haben. 

Offiziell verfolgt die MPG eine Null-Toleranz-Strategie. "Wir gehen respektvoll miteinander um", heißt es im Verhaltenskodex für Mitarbeitende, der auf der Webseite zu finden ist.

Die MPG verweist auf eine Reihe von Anlaufstellen, die in den letzten Jahren geschaffen worden seien, um Fehlverhalten zu melden: Jedes Institut hat unter anderem eigene Personalabteilungen, Gleichstellungsbeauftragte und Ombudspersonen. Es gibt diverse Schulungen und Trainings für Führungskräfte, zum Teil verpflichtend. Auch individuelle Coachings werden angeboten. Und die MPG verfügt über zwei zentrale Meldestellen: eine externe Anwaltskanzlei und die sogenannte "Stabstelle Interne Untersuchungen", die in Folge der Mobbing-Umfrage ins Leben gerufen wurde.

Mehrere Mitarbeitende berichteten uns allerdings, dass Beschwerdeversuche abgeschmettert wurden. Die MPG weist den Vorwurf von sich. Unsere Recherche-Ergebnisse deuten aber auf ein systemisches Versagen der Compliance-Mechanismen hin. 

Neun der ehemaligen Doktoranden und Postdocs, mit denen wir gesprochen haben, gaben an, erfolglos bei einer oder mehreren der genannten Stellen Hilfe gesucht zu haben.

Hilfsangebote laufen ins Leere

DW und "Der Spiegel" hatten Zugang zu verschiedenen Mails, die belegen, wie Opfer sowohl von Ansprechpartnern an verschiedenen Instituten als auch von den zentralen Meldestellen entmutigt oder abgewimmelt wurden. 

Gabriel Lando wandte sich an die externe Anwalts-Kanzlei, die von der MPG beauftragt war. Er wollte das Verhalten seines Direktors melden und bat explizit darum, anonym zu bleiben. Doch die Anwälte antworteten: "Um ehrlich zu sein, müssen die an dem Konflikt beteiligten Personen irgendwann benannt werden, um Ermittlungen zu ermöglichen." Das kam für ihn nicht in Frage. 

Ehemaliger Doktorand sitzt mit dem Rücken zur Kamera auf einer Bank an einem Seeufer
Direktoren haben ein weltweites Netzwerk, können Karrieren ausbremsen – deshalb haben Opfer oft Angst, sich zu erkennen zu gebenBild: C.A. Springer/DW

Ähnlich wie Gabriel erging es Felix Horn, einem ehemaligen Doktoranden an einem Max-Planck-Institut in Bayern. Felix Horn ist nicht sein richtiger Name, auch er möchte anonym bleiben. In einem 40 Seiten langen Bericht schildert er, wie er sich von seiner Betreuerin massiv gemobbt fühlte. Das Dokument liegt DW und "Der Spiegel" vor. Es enthält akribische Beschreibungen von Mobbing-Situationen, außerdem Screenshots von Emails, Fotos - und sowohl Namen als auch sensible Informationen über Zeugen und weitere mutmaßliche Opfer.

Auch Horn kam bei der Kanzlei nicht weiter und schickte seinen Bericht im Sommer 2022 an die Stabstelle Interne Ermittlungen. 

Diese teilte ihm mit, sie müsse den Bericht an sein Institut weiterleiten. Sie bot ihm zwar an, er könne ihn vorher entsprechend bearbeiten. Doch Horn sagt, er sah sich nicht in der Lage, die Vorwürfe zu schildern, ohne sensible Informationen über Opfer und Zeugen preiszugeben.

Als Felix Horn die Stabsstelle aufforderte, das Dokument nicht weiterzuleiten, schloss diese den Fall. "Es schockiert mich, dass sie zu solchen Tricks greifen”, sagt Horn, der inzwischen nicht mehr in der Wissenschaft arbeitet. "Ich fühle mich getäuscht.”

Die Max-Planck-Gesellschaft teilt uns dazu mit, dass Vorwürfe lokal an dem jeweiligen Institut aufzuklären seien und dass "nie beabsichtigt oder "gewollt" (war), die Beschwerde ohne das Wissen oder Wollen des Beschwerdeführers weiterzuleiten".

Die MPG bestreitet außerdem, Wissenschaftler von Beschwerden abzubringen und fügt hinzu: "Anonymität (...) schließt nicht aus, dass eine Meldung auf Stichhaltigkeit geprüft werden kann. Auf die vertrauliche Behandlung der Identität von meldenden Personen auch im weiteren Verfahren wird großer Wert gelegt.”

Gabriel Lando bouldert in einer Kletterhalle
In seiner Freizeit klettert Gabriel Lando leidenschaftlich gern – der Sport gibt ihm Energie Bild: Mike Beech

Verlust für die Wissenschaft  

Knapp zwei Drittel der über 30 Forscherinnen und Forscher, mit denen wir gesprochen haben, haben der Wissenschaft mittlerweile den Rücken gekehrt. Gabriel Lando nicht - er arbeitet jetzt an einem Institut in Südkorea. In seiner Karriere habe er mit Menschen zusammengearbeitet, die "aggressiv" forschen. Er schätze das: "Ein Umfeld, in dem Leute für ihre Ideen kämpfen, kann tatsächlich sehr produktiv sein." Aber Rost habe eben nicht um Ideen gekämpft, sondern vielmehr gegen Personen, sagt Lando. "Er hat mich gedemütigt." 

Ein Jahr lang hielt Lando in Dresden aus, dann verließ er das Institut - zu dem Zeitpunkt habe er sich gefühlt "wie ein zitternder Straßenhund". 

 

Redaktion: Mathias Bölinger

Factchecking: Julett Pineda

Juristische Beratung: Florian Wagenknecht

Eine gemeinsame Recherche mit "Der Spiegel”.