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Deutschland: Der Bundesrat hat das letzte Wort

Ben Knight
20. März 2025

Der Bundestag hat zugestimmt. Der Bundesrat aber könnte die Lockerung der Schuldenbremse noch verhindern. Die Vertretung der Bundesländer muss allen Gesetzen zustimmen, die ihre Interessen berühren.

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Blick in den großen runden Sitzungssaal des Bundesrats in Berlin, in dem sich die Mitglieder alle erhoben haben
Die 69 Mitglieder des Bundesrates sorgen dafür, dass die Landesregierungen im demokratischen Prozess mitreden könnenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture-alliance

Diese Woche könnte für die Zukunft Deutschlands von großer Bedeutung sein. Es ist eine Woche, in der beide Kammern des Parlaments, Bundestag und Bundesrat, über eine Verfassungsänderung abstimmen, die die Schuldenbremse des Landes lockern und den Weg für ein riesiges Ausgabenpaket für Rüstung, Infrastruktur und Klimaschutz freimachen soll. Darauf hatten sich die Union aus CDU und CSU und die Sozialdemokratische Partei (SPD) - die über die Bildung einer neuen Regierung verhandeln - mit den Grünen geeinigt.

Die Grundgesetzänderung passierte am Dienstag, den 18. März, den Bundestag mit der erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit. Heute ist die zweite Kammer des deutschen Parlaments, der Bundesrat, an der Reihe. Die Vertretung der deutschen Bundesländer soll an diesem Freitag abstimmen. Auch hier müssen mindestens zwei Drittel der Abgeordneten für die Änderung stimmen, damit sie angenommen wird. Das ist nicht garantiert, da einige Regierungsparteien aus den Ländern Einwände geäußert haben.

Milliarden für Waffen, Straßen und Brücken

Was ist der Bundesrat?

Der Bundesrat ist die Vertretung der 16 deutschen Landesregierungen. Sie entsenden jeweils eine kleine Anzahl von Vertreterinnen und Vertretern, meist die Ministerpräsidenten zusammen mit führenden Mitgliedern im Kabinett des jeweiligen Bundeslandes.

Der Bundesrat mit Sitz in Berlin hat das Recht, alle Gesetze, die die Länder betreffen, anzunehmen oder abzulehnen. Darum geht es auch bei der Verfassungsänderung, weil sie den Ländern erlauben soll, ihre eigenen Schuldenbremsen zu lockern.

Die 69 Sitze im Bundesrat sind im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Länder verteilt, allerdings nicht sehr genau. So hat zum Beispiel das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen mit 18 Millionen Einwohnern sechs Bundesratsstimmen - aber auch Niedersachsen mit nur acht Millionen Einwohnern.

Die bevölkerungsärmsten Bundesländer Bremen und Saarland (beide unter einer Million Einwohner) haben jeweils drei Stimmen, aber auch Hamburg mit 1,9 Millionen Einwohnern.

Die Sitze der einzelnen Bundesländer werden auf die Parteien entsprechend ihrer Stärke in der Landesregierungskoalition aufgeteilt: Bayern zum Beispiel hat sechs Bundesratssitze, von denen vier von der konservativen Christlich Sozialen Union (CSU) und zwei von ihrem Junior-Koalitionspartner, den Freien Wählern (FW), eingenommen werden.

Jede Landesregierung muss im Bundesrat einheitlich abstimmen. Würden beispielsweise die beiden bayerischen FW-Vertreter anders stimmten als ihre CSU-Kollegen, wären alle sechs Stimmen ungültig.

Die Schuldenbremse braucht mindestens 46 von 69 Stimmen, um den Bundesrat zu passieren. Die ausschließlich von CDU, SPD und Grünen geführten Landesregierungen können nur 41 Stimmen auf sich vereinen. Damit könnten die sechs Stimmen aus Bayern entscheidend sein. Mit anderen Worten: Die FW, eine bundesweit winzige Partei, hätte theoretisch die Macht, das ganze Vorhaben zu vereiteln.

Einige Bundesländer haben Einwände

Genau dieses Szenario drohte vergangene Woche einzutreten, als der FW-Vorsitzende und bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger nach einer Sondersitzung seiner Partei im bayerischen Landtag sagte: "So wie derzeit dieses Papier der schwarz-roten künftigen Koalition vorliegt, können wir nicht zustimmen, weil wir damit mehr Gefahr als Chance für die Stabilität unseres Landes sehen."

Mittlerweile hat sich seine Partei bereit erklärt, der Änderung zuzustimmen - vielleicht, weil eine Ablehnung die Freien Wähler ihre Beteiligung an der bayerischen Regierung gekostet hätte. Aiwangers Einwand war, dass die Aufhebung der Schuldenbremse zu hohe Staatsausgaben fördern würde.

Zwei Männer in weißem Hemd, Krawatte und blauer Anzugjacke stehen nebeneinander und weisen jeweils mit ihrer linken Hand nach vorne: der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und sein Koalitionspartner Hubert Aiwanger
Hubert Aiwanger (re.) drohte kurzzeitig damit, gegen die Verfassungsänderung zu stimmen, die seine Koalition mit der CSU des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder gefährdet hätteBild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Andere Bundesratsmitglieder haben andere Bedenken geäußert. Die Bremer Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt von der Partei Die Linke, die in dem norddeutschen Stadtstaat mit SPD und Grünen koaliert, forderte, dass ein größerer Teil des geplanten Infrastrukturpakets den Ländern zugeteilt wird. Auch sie drohte damit, gegen das Paket zu stimmen. Das würde bedeuten, dass die Stimmen Bremens ungültig wären. Üblicherweise enthalten sich im Bundesrat die Bundesländer, in denen die Regierungsparteien sich nicht einig sind.

Ähnlich ist die Lage in dem ostdeutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, das von einer Koalition aus SPD und Linkspartei regiert wird. Die Linkspartei hat Bedenken gegen die massive Erhöhung der Militärausgaben geäußert. In zwei weiteren ostdeutschen Bundesländern regiert derzeit das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit, das sich ebenfalls vehement gegen höhere Militärausgaben ausspricht. In Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt dagegen ist die FDP, selbsternannte Hüterin der deutschen Schuldenbremse, an der Regierung beteiligt.

Was passiert, wenn der Bundesrat mit Nein stimmt?

Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Bundestag und Bundesrat nicht einig sind. "Im Gegenteil, gerade in schwierigen Situationen kommt es vor, dass der Bundesrat nein sagt", sagt Christoph Gusy, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Bielefeld. "Das ist keine Verfassungskrise, das ist eine ganz normale Situation.“ In solchen Fällen gehen die Gesetzentwürfe zurück in den Bundestag, wo sie neu verhandelt werden müssen.

Ungewöhnlich ist es jedoch, wenn Länder ihre Bundesratsstimmen ungültig machen, indem sie sie aufteilen. Laut Gusy ist eine solche Situation bisher nur zweimal aufgetreten. In einem Fall war sie offenbar das Ergebnis eines Missverständnisses. Der andere Fall ereignete sich 2002, als die brandenburgische Regierung, eine SPD-CDU-Koalition, ihre Stimmen bei der Abstimmung über ein Einwanderungsgesetz aufspaltete und mit Ja und Nein stimmte. Die Verwirrung sorgte für Aufruhr in der Kammer. In einem anschließenden Gerichtsverfahren entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Stimmen Brandenburgs ungültig waren.

Und wenn der Bundesrat gegen die Schuldenbremse stimmt? "Das wäre natürlich eine schwere politische Krise, weil jetzt die neue Regierungsbildung ein Stück aufbaut auf diesem großen Schuldenpaket", analysiert Verfassungsrechtler Gusy. Es wäre sicher ein schwerer Schlag für die Autorität des mutmaßlich nächsten deutschen Bundeskanzlers, CDU-Chef Friedrich Merz, der sich gerade in Koalitionsverhandlungen mit der SPD befindet.

Merz und seine Partner für die künftige Regierung rechnen fest damit, das Geld ausgeben zu können. Sollte aber der Bundesrat Nein sagen, dann geht die Vorlage nächste Woche in den im Februar neu gewählten, kleineren Bundestag mit anderen Mehrheiten. Dort wäre es deutlich schwieriger, eine Zweidrittel-Mehrheit zu organisieren. Dann wären wieder alle Optionen offen.