Deutschland: Aufnahmestopp von afghanischen Ortskräften?
25. April 2025Fühlt sich Deutschland, fühlt sich vor allem die wohl künftige Regierung aus Konservativen und Sozialdemokraten, nicht mehr an das Versprechen gebunden, besonders gefährdeten Menschen aus Afghanistan Zuflucht zu gewähren?
Der Sprecher der geschäftsführenden Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Sebastian Fischer, beantwortete diese Frage eher ausweichend: Die Frage müsse an die neue Regierung gerichtet werden, wenn diese denn - voraussichtlich in rund zwei Wochen - ihre Arbeit aufnehme.
Fürs erste aber trat Fischer Berichten entgegen, bis dahin würden noch zwei Flugzeuge unter anderem mit Ortskräften, die früher für die deutsche Bundeswehr im Land am Hindukusch tätig gewesen seien, nach Deutschland kommen.
Das hatten so zuvor mehrere Zeitungen und Nachrichtenagenturen berichtet. Fischer sagte jetzt: "Ich kann nicht bestätigen, dass es zwei geplante Flüge gab. Die Planungen dieser Flüge sind äußerst komplex. Was ich allerdings sagen kann, ist, dass in den kommenden zwei Wochen nach aktuellem Stand kein Flug zur Aufnahme besonders gefährdeter Afghaninnen und Afghanen geplant ist."
Ortskräfte und frühere Regierungsmitarbeiter im Visier der Taliban
Und darum geht es: Nach der chaotischen Machtübernahme der Taliban im August 2021 in Afghanistan versprach Deutschland, mit gleich mehreren Programmen besonders gefährdete Menschen und deren Familien den Weg nach Deutschland zu ermöglichen. Die deutsche Bundeswehr war da schon seit dem Juni nicht mehr im Land, nachdem die deutsche Armee lange Jahre zusammen mit anderen westlichen Verbündeten versucht hatte, für Stabilität in Afghanistan zu sorgen.
Besonders im Visier der neuen Taliban-Machthaber galten so genannte Ortskräfte. Übersetzer und Techniker etwa, die für die Bundeswehr gearbeitet hatten. Aber auch engagierte Menschen aus Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft und Menschen, die für die frühere Regierung gearbeitet hatten.
36.300 Afghanen über Aufnahmeprogramme eingereist
Tatsächlich sind im Rahmen der entsprechenden Programme bislang nach Auskunft des Deutschen Auswärtigen Amtes rund 36.300 Menschen nach Deutschland gekommen, unter ihnen fast 20.800 Ortskräfte. Aber immer noch harren in Islamabad im Nachbarland Pakistan etwa 2600 Personen aus, denn in Afghanistan selbst gibt es keine deutsche Vertretung mehr.
Dort, in Pakistan, werden sie in Gästewohnungen der deutschen Regierung beherbergt. Sie sind beschäftigt mit langwierigen Visa-Anträgen und Sicherheitsüberprüfungen. Und sie stehen nun vor einer ungewissen Zukunft, obwohl viele von ihnen eine feste Zusage deutscher Behörden haben, kommen zu dürfen.
Leben der Geflüchteten wäre in Afghanistan in Gefahr
Eine von ihnen ist Khadija Salehi, eine ehemalige Staatsanwältin. Sie sagt der DW jetzt: "Zuerst danken wir Deutschland, dass es uns finanziell unterstützt und uns in Bezug auf Unterkunft und Nahrung hilft. Aber natürlich haben wir viele Probleme. Ein Beispiel für diese Probleme ist die Ungewissheit der Zukunft unserer Kinder und auch unsere eigene Zukunft. Ich selbst bin seit fast 17 Monaten in einer ungewissen Situation hier." Aber dann fährt sie fort: " Wir, meine Freunde und ich, warten schon seit zwei Jahren oder mehr darauf, dass sich unsere Situation klärt. Alle, die an diesem Prozess beteiligt sind, sind Menschen, deren Leben in Afghanistan in Gefahr ist."
Eine Schilderung, die auch Außenamtssprecher Fischer in Berlin bestätigt: "Ich möchte darauf hinweisen, dass die betroffenen Personen, die sich ja in Pakistan aufhalten, oft nach ihrer Aufnahmezusage ihre Zelte vollständig in Afghanistan abgebrochen haben und Hab und Gut verkauft haben. Und aus unserer Sicht genießen diese Personen Vertrauensschutz."
Streit in Deutschland noch vor dem Regierungsantritt
Aber über ihr Schicksal ist jetzt in Deutschland ein heftiger Streit entbrannt:In ihrer Koalitions-Vereinbarung haben CDU, CSU und SPD erklärt, die Aufnahmeprogramme, darunter das für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen, müsse "so weit wie möglich" beendet werden. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei von der CDU, sagte dazu jetzt, dass der neue Bundesinnenminister im Einzelnen prüfen werde, inwieweit solche Aufnahmezusagen für die gefährdeten Afghaninnen und Afghanen auch wieder zurückgenommen werden könnten.
Den Innenminister wird wohl die CSU stellen, die bayrische Schwesterpartei der CDU. Hintergrund: Der kurze Wahlkampf zu Beginn des Jahres war auch beeinflusst von mehreren schrecklichen Mordtaten, die auch Asylbewerbern aus Afghanistan zur Last gelegt werden. Vor allem die Konservativen von CDU und CSU hatten deshalb auf eine neue, wesentlich härtere Asyl-und Migrationspolitik bestanden. Für sie SPD, den kleinen künftigen Koalitionspartner, sagte der Außenpolitiker Ralf Stegner kurz und knapp: "Zusagen sind Zusagen." Für Deutschland sei es "kein gangbarer Weg", bestehende Aufnahmezusagen nicht einzuhalten, erklärte Stegner in der "Rheinischen Post."
Tatsächlich war noch vor gut zehn Tagen am Flughafen in Leipzig eine Maschine mit 138 Afghaninnen und Afghanen gelandet, die eine Aufnahmezusage erhalten hatten. Am Freitag berichtete Deutschlands größte Boulevard-Zeitung "Bild", nur bei 4800 der 36.300 afghanischen Flüchtlinge in Deutschland sei eine komplette Sicherheitsüberprüfung wirklich erfolgt. Das Bundesinnenministerium habe diese Angaben bestätigt.
Sicherheitsbedenken hatten zuvor schon die Zweifel vor allem konservativer Politiker an den Aufnahmeprogrammen genährt. Dazu sagte Außenamtssprecher Fischer, zu keinem Zeitpunkt seien Menschen ohne Sicherheitsüberprüfung nach Deutschland gekommen, allerdings seien die Prüfungen seit 2021 verstärkt worden.
Kabul Luftbrücke: "Menschen werden im Stich gelassen"
Für Eva Beyer von der Hilfsorganisation "Kabul Luftbrücke" steht fest: Nimmt Deutschland keine Menschen mehr aus Afghanistan auf, verspielt das Land internationales Vertrauen.
Beyer sagt der DW: "Unsere Regierung, sowohl die alte als auch die neue, führt der Welt gerade vor, was von deutschen Versprechen zu halten ist. Deutsche Missionen auf der ganzen Welt, seien sie nun humanitärer, wirtschaftlicher oder militärischer Natur, funktionieren gar nicht ohne die Mithilfe von Ortskräften. Und was wir jetzt sehen, ist: Menschen, die unsere Einsätze unterstützt haben, werden im Stich gelassen." Auch andere Menschenrechtsorganisationen warnten jetzt davor, die Aufnahmeprogramme ganz zu streichen.