Demonstrative Militanz und Taktik
20. September 2001Der Beschluss der in Kabul versammelten afghanischen Geistlichkeit, Osama Bin Laden könne das Land freiwillig verlassen, auch die Aufforderung an die Taliban, man möge den saudischen Multimillionär dazu überreden, dürfte kaum etwas an der explosiven Lage der letzten Tage ändern. Denn die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer an den dreitägigen Treffen hatte sich entschieden gegen eine Auslieferung des
saudischen Terroristenführers ausgesprochen und gleichzeitig den "Heiligen Krieg" angedroht für den Fall, dass die USA ihren Plan wahrmachen und Afghanistan militärisch angreifen sollten.
Trotz solch demonstrativer Militanz haben die Geistlichen aber offenbar auch versucht, Zeit zu gewinnen und die Tür zu einer Verständigung mit Washington offen zu halten. Eine Taktik, die offenbar mit Mullah Omar abgestimmt ist, dem obersten Führer der Taliban. Omar hat in den letzten Tagen den USA wiederholt angeboten, einen Dialog aufzunehmen - wie es
ihn in der Vergangenheit gegeben habe. Er hatte freilich auch außer Frage gestellt, dass man Osama Bin Laden ausliefern würde. Und er hatte darauf bestanden, klare und überzeugende Beweise für die Schuld Bin Ladens vorgelegt zu bekommen.
In Washington war und ist man nicht bereits, auf diese Diskussion einzugehen. Und man ist vielleicht sogar ermutigt dadurch, dass die afghanische Führung angesichts der befürchteten Vergeltungsaktion ihre Nerven zu verlieren beginnen scheint. Die Drohung des "Dschihad" - des
Heiligen Krieges - für den Fall eines amerikanischen Angriffes dürfte nicht sonderlich ernst zu nehmen sein, solange die USA sich nicht zu einer längeren Bodenaktion in Afghanistan entschließen sollten.
Pakistan distanziert sich von "Gotteskriegern" in Afghanistan
Die Taliban hoffen im Fall des amerikanischen Angriffs ganz zweifellos auf die Unterstützung islamistischer Kreise im Ausland und hier besonders im benachbarten Pakistan. Nach Jahren der engen Zusammenarbeit, mit den Taliban ist dieser Nachbarstaat nun aber eher auf Konfrontationskurs mit den in Kabul herrschenden "Gotteskriegern" umgeschwenkt: Präsident Musharraf zumindest scheint entschlossen, den
Amerikanern in ihre Kampf gegen den Terrorismus zu helfen, er hat dies in einer Fernsehansprache auch unumwunden zugegeben. Während man offiziell in Islamabad noch behauptet, keine operativen Wünsche der USA übermittelt gekommen zu haben, so ist es doch ein offenes Geheimnis,
dass die USA neben den Überflugrechten auch eine Möglichkeit fordern, Kampfhubschrauber und Soldaten für eine begrenzte Zeit in Pakistan stationieren zu können.
Sollte Musharraf dem zustimmen, dann muss er mit heftiger Reaktion islamistischer Fanatiker rechnen, die jetzt schon
Protestdemonstrationen in verschiedenen Städten des Landes abhalten - gegen jede amerikanische Einmischung, teilweise auch ganz offen für Osama Bin Laden. In vereinzelten Fällen wird auch davon berichtet, dass muslimische Fanatiker von Pakistan aus nach Afghanistan übergewechselt haben, um sich dort Bin Laden im Kampf gegen die Amerikaner anzuschließen.
Präsident Musharraf scheint von diesen Entwicklungen bisher nicht sonderlich beeindruckt zu sein: Die Demonstrationen werden von den Sicherheitskräften unter Kontrolle gehalten, zum Teil auch verhindert, und offizielle Kreise werden nicht müde zu beteuern, dass die Radikalen nur eine Minderheit darstellten .
Ausländische Firmen und Botschaften sehen das offenbar mit anderen Augen, denn sie haben begonnen, einen Teil ihres Personals und Familienangehörige auszufliegen.