"Hohe Erwartungen"
19. Dezember 2013DW: Gleiche Kanzlerin, neuer Koalitionspartner: Nach der Bundestagswahl im September sind jetzt die Sozialdemokraten mit an der Regierung. Was bedeutet das für die deutsch-französischen Beziehungen?
Claire Demesmay: Es bedeutet als Erstes, dass wir auf beiden Seiten einen komfortablen Zeitrahmen haben. Die nächsten Wahlen sind in beiden Staaten erst 2017. Das ist eine lange Zeit für bilaterale Beziehungen und in der internationalen Politik. Da bleibt mehr Raum für langfristiges Denken.
Und was ist mit den Sozialdemokraten (SPD) in der neuen deutschen Regierung?
Die große Koalition mit den SPD-Ministern in der Regierung wird in Frankreich positiv wahrgenommen. Die Erwartungen sind natürlich hoch. Kompromisse in der Wirtschaftspolitik könnten einfacher werden, eventuell auch in der Außenpolitik.
Wird es Ihrer Meinung nach jetzt besser laufen zwischen den Nachbarn als unter der Vorgängerregierung mit Beteiligung der wirtschaftsliberalen FDP?
Man darf keinen Bruch erwarten, zum Beispiel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das ist seit Jahren die Hauptbaustelle zwischen Deutschland und Frankreich und wird es auch bleiben. In Frankreich beruht die Wirtschaft auf interner Nachfrage, in Deutschland spielt Export eine große Rolle. Die Entscheidungsträger berücksichtigen ganz andere Dinge. Die Unterschiede auf beiden Seiten sind parteiübergreifend. Nur weil jetzt die Sozialdemokraten Teil der Regierung sind, heißt das noch nicht, dass man alle Unterschiede beilegen kann. Die Erwartungen sind in Frankreich sehr hoch, das muss man relativieren.
Außerdem ist die wirtschaftliche Situation der beiden Länder ganz unterschiedlich. Frankreich steckt in der Krise und hat Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen und mit Jugendarbeitslosigkeit. Deutschland hat diese Probleme nicht. Das macht es schwierig, gemeinsame Politik zu machen, die für beide Seiten akzeptabel ist.
Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat Guido Westerwelle (FDP) als Außenminister abgelöst, Ursula von der Leyen (CDU) hat das Verteidigungsministerium von Parteifreund Thomas de Maizière übernommen. Welchen Unterschied machen diese Personalien für die deutsch-französische Beziehung?
Steinmeier und von der Leyen sind beide offen für die Zusammenarbeit mit Frankreich. Von der Leyen ist frankophil und hat in der Vergangenheit eng mit der französischen Regierung zusammengearbeitet. Steinmeier hat auf dem Posten [von 2005 bis 2009] schon den Kontakt zu Frankreich gesucht, beziehungsweise zu den Sozialisten. Das Interesse an einer Zusammenarbeit ist groß. Ich erwarte eine gewisse Dynamik, die zu mehr Kooperation führt.
Außerdem ist das gegenseitige Verständnis sehr wichtig. Verstehen, wie der Partner tickt, ist elementar für bilaterale Beziehungen. Und ich glaube, dass von der Leyen und Steinmeier das verstehen.
Welche Punkte im CDU-SPD Koalitionsvertrag wurden in Frankreich besonders begrüßt?
Der Mindestlohn und die Senkung des Rentenalters auf 63 waren die Fragen, die die Franzosen mit großem Interesse verfolgt haben. Besonders die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns wurde begrüßt. Ich bin nicht sicher, ob die Franzosen das richtig verstanden haben, zum Beispiel, dass der Mindestlohn erst 2017 kommt, und dass er nur bei 8,50 Euro die Stunde liegt. Aber er ist ein wichtiges Signal für die Franzosen, dass die Bundesregierung sozialdemokratischer wird in den nächsten Jahren. Das sehen sie nicht nur auf Deutschland bezogen, sondern auch auf die EU: Frankreich hofft, dass sich Deutschland sensibler zeigt gegenüber sozialen Problemen in der EU, wie zum Beispiel der hohen Jugendarbeitslosigkeit in den südlichen Mitgliedsstaaten.
Claire Demesmay ist Politologin und Expertin für deutsch-französische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Das Interview führte Carla Bleiker.