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Würde eine Wehrpflicht die Wirtschaft abwürgen?

Dirk Kaufmann
23. Juli 2025

Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ist umstritten, aber derzeit durchaus mehrheitsfähig. Nun aber melden sich Wirtschaftsvertreter zu Wort, die Schaden für die Volkswirtschaft befürchten

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Wehrpflichtige marschieren am ersten Tag ihres Wehrdienstes in der Droegeheide-Kaserne in Torgelow unter der Beobachtung ihres Vorgesetzten
Dienstwillig: Junge Männer auf ihrem ersten Marsch in die UnterkunftBild: Thomas Trutschel/photothek/dpa/picture alliance

Die deutsche Volkswirtschaft könne es nicht verkraften, wenn durch die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht junge Menschen erst zum Militär gingen, bevor sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. Das sagte in der vergangenen Woche sinngemäß Steffen Kampeter von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände der Financial Times.

Seit 14 Jahren gibt es in Deutschland keine allgemeine Wehrpflicht mehr. Genau genommen wurde sie nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt. Und zwar bis zu einem Verteidigungs- oder Spannungsfall, der bislang nicht eingetreten ist.

Seither müssen junge Männer sich nicht mehr "mustern" lassen (Musterung ist die medizinische Untersuchung zur Feststellung der körperlichen Eignung zum Wehrdienst). Das fand in den sogenannten Kreiswehrersatzämtern statt, die es heute ebenfalls nicht mehr gibt.

Europa muss sich verteidigen können

Verteidigungsminister Boris Pistorius sieht aber inzwischen eine veränderte Sicherheitslage in Europa: "Nach Einschätzung aller internationalen Militärexperten muss man davon ausgehen, dass Russland ab 2029 in der Lage sein wird, militärisch einen NATO-Staat oder einen Nachbarstaat anzugreifen," sagte er im vergangenen Sommer laut der Frankfurter Rundschau.

Er stellt dazu ein Maßnahmenpaket vor, zu dem auch die Rückkehr zu einer Wehrpflicht gehört. Diese Maßnahmen sollen ein Kompromiss zwischen dem im Moment geltenden freiwilligen Dienst bei der Bundeswehr und einer Dienstverpflichtung durch den Staat sein.

Dünne Personaldecke in der Armee

Zurzeit dienen etwa 180.000 Menschen bei der Bundeswehr. Kurzfristig soll der Personalbestand um mehr als zehn Prozent erhöht werden - auf 203.000 im übernächsten Jahr. Die Financial Times berichtet, dass die Bundeswehr in den nächsten zehn Jahren etwa 80.000 Soldaten zusätzlich brauchen werde, um ihre NATO-Verpflichtungen erfüllen zu können.

Zunächst jedoch plant Boris Pistorius die Einführung eines Modells der "freiwilligen Wehrpflicht", in dessen Rahmen jährlich etwa 5000 18-Jährige eingezogen werden sollen. Wenn es aber mehr Kapazitäten als freiwillige Meldungen gebe, dann könnte gegebenenfalls auch eine Rückkehr zur Wehrpflicht beschlossen werden, wie der Minister im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) einräumt.

Der Maßnahmenkatalog wurde dem Parlament vorlegt. Das Verteidigungsministerium (BMVg) erwartet, dass es eine "Regelung durch den Bundestag noch vor der Sommerpause 2025 geben" wird.

"Im Ernstfall muss die Truppe schnell wachsen"

Doch bereits jetzt müsse dafür gesorgt werden, dass die Bundeswehr im Ernstfall schnell wachsen kann. Vom BMVg heißt es dazu: "Die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte soll dadurch deutlich verbessert werden."

Der vom Minister vorgestellte neue Wehrdienst solle mindestens sechs Monate dauern, könne aber auf 23 Monate ausgedehnt werden: "Wie lange er oder sie Wehrdienst leisten möchte, kann jeder und jede für sich selbst entscheiden. Unabhängig davon haben alle anderen möglichen Arten der Verpflichtung als Soldatin oder Soldat auf Zeit und als Berufssoldatin oder Berufssoldat weiter Bestand", so das BMVg.

Bundeswehr: Freiwillige vor!

Allen jungen Menschen würden nach ihrem 18. Geburtstag einen Brief mit einem QR-Code erhalten, der sie zu einem Onlinefragebogen führt. Wer diesen ausfüllt und sich zum Wehrdienst bereit erklärt, wird zur Musterung eingeladen. Junge Männer wären verpflichtet, den Fragebogen auszufüllen. Doch, so das Ministerium: "Für Frauen und Personen anderen Geschlechts ist die Beantwortung der Fragen freiwillig."

Unterstützung und Zweifel für die Wehrpflicht

Für seine Pläne zur Stärkung der Bundeswehr erfährt Pistorius Unterstützung von höchster Stelle: "Ich bin ein Vertreter der Wehrpflicht", so Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im ZDF-Sommerinterview. Zur Begründung verwies er auf die angespannte Sicherheitslage in Europa, den Krieg Russlands in der Ukraine und die Haltung der US-Regierung unter Donald Trump zu den transatlantischen Beziehungen.

Auch BDA-Lobbyist Steffen Kampeter erkennt die aktuelle Lage in Europa: "Die Sicherheitslage ist dramatisch", zitiert ihn die Financial Times. Und das bedeute eben: "Ja, wir brauchen mehr aktive Soldaten und wir müssen das Reservistensystem ausbauen." Einschränkend fügte er aber hinzu: "Nur eine starke Wirtschaft kann das ermöglichen."

Zahl und Ausmaß entscheidend

Um sagen zu können, wie berechtigt die - noch leisen - Zweifel Kampeters in diesem Fall sind, haben wir beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln nachgefragt. IW-Ökonom Holger Schäfer bringt die Zweifel von Kampeter auf den Punkt: "Die Wirkung einer Wehrpflicht auf den Arbeitsmarkt hängt davon ab, wie viele Rekruten eingezogen werden und wie lange sie ihren Dienst ableisten müssen. Die Einziehung von 20.000 Rekruten dürfte sich kaum bemerkbar machen, die Einziehung eines kompletten Jahrgangs hingegen schon."

An der grundlegenden Entscheidung, ob eine Wehrpflicht sinnvoll oder sogar nötig ist, will Schäfer aber keinen Anteil haben. "Natürlich spielen bei der Frage vor allem sicherheitspolitische Aspekte eine Rolle, die ich nicht beurteilen mag."

Wehrdienst gegen den Fachkräftemangel

Jungen Menschen bietet die Bundeswehr auch eine berufliche Ausbildung an: in handwerklichen Berufen wie auch in akademischen Laufbahnen, zum Beispiel als Mechatroniker oder in medizinischen Berufen.

Aktuell hält IW-Ökonom Schäfer das für eine weltfremde Idee. Der Grundwehrdienst sei zu kurz. "Das reicht in der Regel nicht, um eine Berufsausbildung zu absolvieren."

Das zur Debatte stehende Modell sieht aber die Möglichkeit der Dienstverlängerung vor, in der auch eine Berufsausbildung erfolgen könnte. Das war bereits bei der allgemeinen Wehrpflicht in der Zeit des Kalten Krieges so. So stünden dann junge Menschen zwar verspätet, aber dafür fertig ausgebildet dem Arbeitsmarkt zur Verfügung und könnten dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

Zur Bundeswehr: verpflichtet oder freiwillig?

Eine Studie des Münchner Ifo-Instituts aus dem letzten Jahr kam zu dem Schluss, es sei besser, in einen freiwilligen Wehrdienst zu investieren als eine allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Die vom Finanzministerium in Auftrag gegebene Studie warnte, dass ein Pflichtmodell teuer wäre und sich auch negativ auf die einzelnen Personen auswirken. Es verschlechtere die finanziellen Aussichten der jungen Menschen, weil sich ihr Studien- oder Arbeitsbeginn verzögern würde, wie die Financial Times berichtete.

Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, rät zur Zurückhaltung. Die Sorgen über die wirtschaftlichen Folgen einer Rückkehr zu irgendeiner Form der Wehrpflicht seien "übertrieben". Selbst bei einem verpflichtenden Modell erwartet er, dass nicht mehr als 25.000 junge Menschen jährlich eingezogen würden. Das wären deutlich weniger als die über 200.000 westdeutschen Wehrpflichtigen auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges.

Masala denkt, die deutsche Wirtschaft habe erkannt, "dass sie sich in irgendeiner positiven Weise in der Verteidigungsfrage engagieren muss. Letztendlich müssen sie es akzeptieren."