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"Das vereinte Europa schließt Russland vorläufig nicht ein"

14. März 2003

- Dmitrij Rogosin, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, zum Strafgerichtshof für Tschetschenien und dem Verhältnis Russland - Europa

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Berlin, 13.3.2003, DW-radio / Russisch, Nikita Jolkver

(...)

Frage:

Herr Rogosin, Sie haben auf den Vorschlag des Abgeordneten des Europäischen Parlaments Rudolf Bindig, einen Strafgerichtshof für den Kaukasus zu schaffen, sehr kritisch reagiert. In diesem Tribunal wollten die Europäer Verbrechen untersuchen, die in der Tschetschenischen Republik begangen worden sind, die sowohl von der einen als auch von der anderen Seite begangen worden sind. Trauen Sie der europäischen Rechtsprechung nicht?

Dmitrij Rogosin

: Weil es einfach keine Möglichkeit für äußere Rechtsprechung gibt, wenn eine innere Rechtsprechung existiert. In Bezug auf Tschetschenien möchte ich nur eines sagen: Ich bin der Ansicht, dass die Europäer Präsident Putin nicht daran hindern sollten, konsequent den Weg der politische Lösung des Tschetschenien-Konflikts zu beschreiten. Referendum, nach dem Referendum die Annahme der Verfassung, nach der Verfassung die Schaffung des nationalen Systems der Rechtsprechung, die Ausbildung von Richtern für die Arbeit auf dem Territorium der Tschetschenischen Republik selbst, die schrittweise Übergabe der Vollmachten von den Militärs an die zivile Verwaltung, Wahlen des neuen tschetschenischen Parlaments, Wahlen eines neuen Oberhauptes Tschetscheniens. Lediglich dieser Weg kann zur Beruhigung der Lage führen. Daran glauben wir sowohl in Moskau als auch in anderen Städten, weil alle Einwohner Russlands sich wünschen, dass dieses schreckliche nationale Leid endlich ein Ende nimmt.

Was ein externes Tribunal angeht, so gibt es bereits in Den Haag solch ein Tribunal für das ehemalige Jugoslawien. Die Arbeit dieses Tribunals ist nicht besonders effektiv. Wäre sie effektiv, wäre es nicht vor zwei Tagen zum Tode des serbischen Regierungschefs Zoran Djindjic gekommen. Dieses Tribunal wurde erst dann geschaffen, als man bereits nicht mehr damit rechnen konnte, dass irgendein Gericht in Bosnien-Herzegowina in der Lage sein wird, objektiv über die Verbrechen der Serben, Kroaten und Muslime gegeneinander während des Bürgerkrieges zu urteilen. In Tschetschenien herrscht keine Situation, in der man nicht auf das russische Rechtssystem vertrauen könnte. Wir vertrauen unserem Rechtssystem. Aber wir bringen auch riesige Oper. Einige Dutzend Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft wurden von den Rebellen, von den Terroristen regelrecht aus dem Hinterhalt erschossen.

Man muß die Fragen anders stellen. Es muss um die politische Lösung des Konfliktes, um die Übergabe der Macht an die zivilen Institutionen, um die Schaffung tschetschenischer Gerichte gehen, die allein imstande sind, eine mehr oder weniger günstige Situation für die Ermittlung der drei oder vier wirklich schweren Verbrechen zu schaffen, die in Tschetschenien begangen wurden. Alles andere würde meiner Meinung nach weitere Probleme für Russland schaffen, die aus ganz verschiedenen Gründen nicht gelöst werden können, die jedoch das Element eines neuen Konfliktes zwischen Deutschland und Russland schaffen würden, da Herr Bindig ein deutscher Parlamentarier ist, ein Sozialdemokrat von der Regierungspartei. Bei den Einwohnern Russlands würde sofort eine bestimmte Frage an Herren Schröder und seine Kollegen auftauchen: Was haben Sie sich da so Interessantes in einem Moment ausgedacht, wo sich Russland und Deutschland eigentlich näher sein sollten? Letztendlich ist das für Deutschland heute wegen der Meinungsverschiedenheiten mit den USA sehr wichtig. Deshalb halte ich diesen Vorschlag für provokativ, unrealistisch, er entspricht nicht der realen Lage in Tschetschenien. Wir idealisieren die Situation nicht, aber sie ist nicht so, wie Herr Bindig sie darstellt.

(...)

Das vereinte Europa schließt Russland vorläufig nicht ein. Es tut alles, damit Russland nie Teil Europas wird. Das ist eben die Tragödie Europas, dass ist der Grund, aus dem es im Endeffekt verlieren wird. Um in der internationalen Arena etwas darzustellen, muss man wenigstens über alles Notwendige für die eigene Unabhängigkeit verfügen, darunter die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Dafür muss Europa entweder den Persischen Golf kontrollieren – alle Gas- und Erdöllieferungen, was es nicht tut oder nicht tun kann - oder Europa muss sehr enge, ich würde sogar sagen familiäre Beziehungen zur Russischen Föderation pflegen, das der Garant der Unabhängigkeit Europas, sowohl West- als auch Osteuropas, bei allen möglichen europäischen Feldzügen sein wird, egal ob es politische, nicht politische, wirtschaftliche, militärische, kulturelle oder andere sind. Europa ist dazu leider noch nicht bereit. (...)

Frage:

Bei Ihren Auftritten, darunter hier in Deutschland, plädieren sie jedoch für eine europäische Orientierung der russischen Außenpolitik.

Antwort:

Weil ich mich mit aller Kraft für die europäische Wahl der Russischen Föderation und normale, gute Beziehungen der europäischen Staaten zur Russischen Föderation einsetze. (...) Wir werden alles tun, damit Europa neben Russlands steht, damit Russland von seiner Entscheidung für Europa nicht abgeht. (...) (lr)