Das lange Warten auf den Beginn des Regierens
31. Oktober 2001Was die neue bulgarische Regierung zweifellos als Erfolg ihres Daseins bezeichnen kann, ist: Es scheint nicht mehr paradox, einen Ex-König, in diesem Fall Simeon II. Sakskoburgotski, als Ministerpräsidenten zu haben. Positiv in der Bilanz dieser Regierung ist zudem die außenpolitische Kontinuität: Die Koalition der "Nationalen Bewegung Simeon II." (NBSZ) und der Partei der bulgarischen Türken, der "Bewegung für Freiheiten und Rechte" (BFR), hat auch in den schwierigen Tagen nach den Attentaten in den USA Bulgarien als zuverlässigen Partner des Westens bestätigt. Sie führt somit die Politik der Vorgänger-Regierung unter Ivan Kostov während des Kosovo-Krieges fort. Der NATO-Beitritt Bulgariens, der im Wahlkampf der NBSZ keine große Rolle spielte, ist zur außenpolitischen Priorität geworden. Dies gilt ebenso für den Wunsch nach EU-Beitritt: Die neue bulgarische Führung verfolgt konsequent den von der Kostov-Regierung vorgezeichneten Weg in die europäischen Strukturen weiter. Soweit zur Kontinuität im Positiven.
Kontinuität auch im Negativen
Es gibt aber auch eine Kontinuität im Negativen, wo die neue Regierung dem schlechten Beispiel ihrer Vorgänger folgt: Wie die Kostov-Regierung betreibt das Kabinett von Sakskoburgotski Innenpolitik im Ausland und Außenpolitik im Inland. Das heißt konkret: Jedes Treffen mit hochrangigen Politikern im Ausland wird in Bulgarien schon als Erfolg dargestellt. Auch die kleinsten Zeichen guten Willens aus dem Ausland stellt die Regierung zu Hause als bedeutende Unterstützung für ihre Politik dar. So erweckte beispielsweise Außenminister Solomon Passy den Eindruck, das Land sei praktisch schon in der NATO, weil es nach den Attentaten den USA gleich Hilfe angeboten und sich damit neben die anderen NATO-Mitglieder gestellt hatte - welch illusionäre Hoffnung!
Für die Regierung ist die Selbstdarstellung im Ausland offenbar wichtiger als die Erledigung der Aufgaben zu Hause. Das wurde den Bulgaren klar, als ihr Ministerpräsident sein Regierungsprogramm - auf das das bulgarische Volk ein Vierteljahr warten musste - zunächst dem EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi zeigte. Nur wenige Monate zuvor hatten bei den Parlamentswahlen solche Fehler zur Niederlage der Kostov-Regierung geführt. Man kann nur hoffen, dass das dem neuen Kabinett von Sakskoburgotski rechtzeitig bewusst wird.
Unterbeschäftigtes Parlament
Negatives Fazit der ersten 100 Tage ist auch: Noch nie war ein bulgarisches Parlament nach einem Regierungswechsel so unterbeschäftigt wie dieses - es liegen bisher einfach zu wenige Gesetzentwürfe vor. Regieren heißt, dem Volk zu dienen und Wahlversprechungen zu erfüllen. Die Regierung von Sakskoburgotski ist weit davon entfernt.
Nicht, dass sie nicht probiert hätte, ihre Wahlversprechen für eine sozialere Politik umzusetzen - weniger Steuern sowie höhere Löhne und Renten. Diese Versprechen konnten die bis vor kurzem in der Londoner Finanzwelt erfolgreichen jungen Minister bisher nicht einlösen. Sie hatten offenbar die Tatsache übersehen, dass in Bulgarien der Internationale Währungsfonds (IWF) regiert. Gegen die harten und restriktiven Vorgaben des IWF anzugehen, würde jedoch das Ende des so genannten Currency-Board-Systems - also der Währungsbindung an die D-Mark - bedeuten. Und das wäre wohl auch das Ende der wirtschaftlichen Stabilität und käme letztendlich einem "Selbstmord" der Regierung gleich. Deswegen musste die Regierung dem IWF nachgeben - die das als "Rückkehr in die Realität".
Unpopuläre Reformen sind unabdingbar
Politische Unerfahrenheit und Unsicherheit haben die Minister zu einer seltsamen Verzögerungs-Taktik verleitet: Das Regierungsprogramm beispielsweise ist erst vor wenigen Tagen veröffentlicht worden. Die entscheidende Frage lautet nun: Wie lange kann Simeon Sakskoburgotski sich diese Taktik des langen Atems noch erlauben? Denn zweifellos steht das wirtschaftlich arme Land vor großen Herausforderungen. Unpopuläre Reformen auf dem Weg zur EU und zur NATO sind unabdingbar.
Voraussetzung dafür ist aber eine ehrliche Aufklärung der Bevölkerung - und in der Regierung selbst. Das ist schwierig, nicht etwa nur, weil der Ex-König nach seinem langem Exil noch immer Probleme mit der bulgarischen Sprache hat. Es ist vor allem deshalb schwierig, weil das Volk eine Verbesserung der sozialen Lage erwartet, dafür aber keine weiteren Härten in Kauf nehmen will. Diese Regierung, die wegen ihrer politisch eher linken Versprechungen gewählt wurde, soll nun aber rechte Politik durchführen.
Die Zeit ist längst reif, auf alle anstehenden Fragen Antworten zu geben. Sonst ist der Erfolg der nächsten 100 Tage dieser Regierung gefährdet und damit auch die Ruhe im Lande.