Das Ende von Jugoslawien
16. Januar 2003Köln, 16.1.2003, DW-radio / Verica Spasovska
Die Verhandlungen waren schwierig aber erfolgreich. Ein neues Staatengebilde wird entstehen. Aus dem gegenwärtigen Jugoslawien wird die "Staatliche Gemeinschaft Serbien und Montenegro". Der lockere Staatenbund ist ein Provisorium mit minimalem politischen Spielraum.
Der Staatenname "Jugoslawien" wird in Kürze von den Landkarten verschwinden. An seine Stelle tritt die so genannte "Staatliche Gemeinschaft Serbien und Montenegro". Ein Staatengebilde, das unter erheblichem Druck der Europäischen Union zustande kommen wird. Damit hofft die EU eine weitere Zersplitterung der Balkanstaaten zu verhindern und der Abspaltung des kleineren Partners Montenegro in einen unabhängigen Staat einen Riegel vorzuschieben.
Doch ob der neue Bund der beiden ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken diese Entwicklung verhindern kann, ist zweifelhaft. Denn die neue Gemeinschaft ist eine Zweckehe und alles andere als eine Liebesheirat.
Der montenegrinische Regierungschef Milo Djukanovic macht keinen Hehl daraus, dass er nach wie vor sein Land in die Unabhängigkeit führen will. Dabei pocht er auf die von der EU abgesegneten Vereinbarung, nach Ablauf von drei Jahren ein Referendum über die Abspaltung abzuhalten. Aber sowohl Djukanovic als auch der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic betrachten den neuen Staatenbund vorerst unter pragmatischen Gesichtspunkten. Beiden kommt es darauf an, nach der letzten großen Welle der EU-Osterweiterung nicht gänzlich den Anschluss an die EU zu verlieren.
"Es besteht die Gefahr, dass Staaten, die nicht zu dieser Erweiterungswelle gehören, nun übersehen werden", fürchtet der serbische Regierungschef Djindjic. Um so wichtiger nimmt er die Ratifizierung der neuen Verfassung, denn sie ermöglicht dem Staatenbund die Mitgliedschaft im Europarat. Und dies ist der erste entscheidende Schritt auf dem langen Weg in die Europäische Union. Der neue Staat wurde im März des vergangenen Jahres unter Vermittlung des EU-Chefdiplomaten Javier Solana vereinbart. Die dafür notwendige Verfassung soll in den kommenden Tagen von den Parlamenten Serbiens, Montenegros und Jugoslawiens verabschiedet werden.
Das Gebilde, das nun zustande kommen soll, ist ein lockerer Staatenbund, der außer einem gemeinsamen Sitz bei den Vereinten Nationen nicht viele gemeinsame Nenner hat. Es gibt zwei Währungen, - in Montenegro zahlt man mit dem Euro, in Serbien mit dem Dinar -, zwei Zentralbanken und zwei Handels- und Zollsysteme. Weder eine gemeinsame Hauptstadt ist vorgesehen noch ein Oberstes Gericht. Ein
gemeinsames Parlament soll erst in zwei Jahren gewählt werden, bis dahin stellen Serbien und Montenegro Abgeordnete. Diese wählen auch den Präsidenten des neuen Staatenbundes, der über ein überschaubares Kabinett von lediglich fünf Ministern verfügen wird. Bereits jetzt steht fest, dass der bisherige jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica bei der Neugründung des Staatenbundes sein Amt verlieren wird. Aus diesem Grund bemüht sich Kostunica intensiv um die serbische Präsidentschaft.
Hauptaufgabe der Zentralorgane ist eine "Harmonisierung" der Wirtschaftssysteme der beiden Republiken. Aber gerade darin liegt nach Auffassung der Kritiker das größte Problem. Allein die Zollsysteme zu vereinheitlichen erscheint kaum möglich, da beide Republiken unterschiedliche Interessen haben. Montenegro verlangt insgesamt wesentlich höhere Zölle als Serbien. Außerdem lehnt die Regierung in Podgorica eine finanzielle Beteiligung an den Bundesinstitutionen des gemeinsamen Staates ab. Das stößt in Serbien wiederum auf erheblichen Unmut.
Das Staatengebilde "Serbien und Montenegro" ist ein Provisorium mit minimalem politischen Spielraum, dessen Existenz offenbar lediglich eine Frage der Zeit ist. Dass die Europäische Union dennoch den Druck erhöht, dieses Staatengebilde aus der Taufe zu heben, hängt nicht zuletzt mit der ungelösten Frage des Status der autonomen Provinz Kosovo zusammen, die seit dem Kosovo-Krieg 1999 unter UN-Verwaltung steht. Solange Restjugoslawien zumindest formal erhalten bleibt, dürfte es für die Kosovo-Albaner schwierig werden, die eigene Unabhängigkeit durchzusetzen. Hinter vorgehaltener Hand wird in Brüssel auch befürchtet, dass es bei einem Bruch zwischen Serbien und Montenegro durchaus zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen beiden Republiken kommen könnte oder zu Unruhen innerhalb Montenegros, wo die Bevölkerung in der Frage der Unabhängigkeit nach wie vor gespalten ist. Vor diesem Hintergrund gewinnt die EU mit der Umwandlung des alten Jugoslawien zu einem neuen Staatenbund zunächst vor allem Zeit. Doch spätestens in drei Jahren steht eine Entscheidung über die Zukunft der Region wieder auf der Tagesordnung. (fp)