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Das Ausmaß der Schattenwirtschaft wird in Russland mit 90 bis 110 Milliarden Dollar bewertet

10. Januar 2002

– Einnahmen des föderalen Haushaltes beliefen sich 2001 auf 50 Milliarden Dollar

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Moskau, 10.1.2002, TRUD, russ., Witalij Golowatschow

In Russland gibt es neben der offiziellen Wirtschaft auch noch eine Schattenwirtschaft, die praktisch alle Branchen stark in Mitleidenschaft zieht. Fachleute teilen diese ein in "graue" (legale Betriebe, die den größten Teil ihrer Einnahmen verheimlichen, sich mit verschiedenen Machenschaften befassen) und "kriminelle" (Drogen- und Waffenhandel, Erpressung, Prostitution). Regierungsexperten bewerten das "graue" Wirtschaftssegment im Jahr 2001 mit 50 Milliarden Dollar oder 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Zum Vergleich: alle Einnahmen des föderalen Haushaltes Russlands beliefen sich im letzten Jahr auf 50 Milliarden Dollar. Weitere 40 bis 60 Milliarden Dollar sind im "kriminellen" Wirtschaftssegment im Umlauf. Letzten Angaben der Generalstaatsanwaltschaft zufolge werden bis zu 60 Prozent aller russischer Betriebe und Organisationen von kriminellen Gruppierungen kontrolliert. Insgesamt habe die Schattenwirtschaft ungeheuerliche Ausmaße erreicht – 90 bis 110 Milliarden Dollar.

Die Beamten sind nicht "kleinlich"

In die Schattenwirtschaft sind viele Beamte, Politiker und Unternehmer einbezogen. Die Lobbyisten gehen schon fast offen vor, Bestechungsgelder sind fast schon zur Lebensnorm geworden. Um bei verschiedenen Organisationen Genehmigungen oder Lizenzen zu bekommen, muss man bestimmte Taxen einhalten. So müssen zum Beispiel für die Aufnahme von Abiturienten in viele medizinische Hochschulen 15 000 bis 20 000 Dollar "bezahlt" werden. Wer Jura oder Wirtschaft studieren möchte, muss ebenfalls 10 000 bis 20 000 Dollar "in einen Umschlag stecken".

Im kleinen und mittleren Unternehmertum kann man ohne einen "Umschlag" oder ein Geschenk keinen Schritt tun. Der Abgeordnete der Staatsduma und Vorsitzende der Partei "Entwicklung des Unternehmertums", Iwan Gratschow, nannte eine schockierende Zahl: Unternehmer bestechen in unserem Land Beamte aller Ebenen mit etwa zehn Milliarden Dollar im Jahr. Ein weiteres Beispiel: Für die Ausstellung von Lizenzen für die Herstellung von Spirituosen ist nach Angaben des Innenministeriums in einem Jahr an die "richtigen" Leute 1,5 Millionen Dollar gezahlt worden.

Die Gelder aus der Schattenwirtschaft werden gewaschen, in den Umlauf gebracht, ein großer Teil im Ausland deponiert. Der ehemalige Generalstaatsanwalt Russlands, Jurij Skuratow, teilte in einem Interview mit, dass hohe russische Beamte vor einigen Jahren Millionen Dollar auf Konten bei ausländischen Banken deponiert hatten. Ihm zufolge waren "allein bei einer Bank in Lugano private Konten von Dutzenden russischer Beamten entdeckt worden". Ähnliche Konten seien in Banken Griechenlands, Zyperns, der USA, Frankreichs usw. entdeckt worden. Hat sich die Situation in den letzten Jahren geändert?

Nach Ansicht des Beraters des Präsidenten der Russischen Föderation für Wirtschaftsfragen, Andrej Illarionow, "ist das Ausmaß der Korruption derzeit sogar höher als vorher: vorher waren Amateure am Werk, heute ist es fast schon eine Institution".

Natürlich ist in den entwickelten Ländern etwas ähnliches zu beobachten. In den Staaten der Europäischen Union schwankt der Anteil der Schattenwirtschaft zwischen sieben und 14 Prozent, bei uns liegt er nach Ansicht des Direktors der Föderalen Steuerpolizei, Michail Fradkow, jedoch bei etwa 40 Prozent.

Die Wirtschaftskriminalität und die Korruption haben gefährliche Ausmaße erreicht. "Über 20 000 Amtsträger haben im letzten Jahr ihr Amt missbraucht und dabei 55 000 Verbrechen begangen", erklärte kürzlich der erste stellvertretende Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation, Jurij Birjukow. Das seien jedoch nur die aufgedeckten Fälle, vieles bleibe "im Dunkeln". (...) (lr)